„Querdenker“ kennt Deutschland nicht erst seit Corona. Vor ziemlich genau 100 Jahren gab es eine Bewegung, die einige Parallelen zu den heutigen Querdenkern aufweist, sagt Kulturwissenschaftler Steffen Greiner: die sogenannten Inflationsheiligen.
In der Krise schlägt immer auch die Stunde der Gurus, Esoteriker und Fanatiker – das war vor 100 Jahren nicht anders als heute. Der verlorene Erste Weltkrieg, der Übergang von der Monarchie zur Demokratie und schließlich die Inflation von 1923 brachten im Deutschland der 1920er-Jahre eine Reihe „abstruser Gestalten“ hervor:
„Es sind tatsächlich vor allem Männer, die alle sowas Prophetisches haben, die meistens zugleich Jesus, Buddha und Zarathustra sind“, sagt der Kulturwissenschaftler Steffen Greiner, der diese Bewegung in seinem Buch „Die Diktatur der Wahrheit. Eine Zeitreise zu den ersten Querdenkern“ untersucht hat.
Kruder Mix mit völkischem Gedankengut
Darin werden auch Parallelen zwischen den Querdenkern der 1920er-Jahre und denen der 2020er gezogen: Denn die sogenannten „Inflationsheiligen“ der 1920er-Jahre hätten eine „ähnlich staatskritische, aber auch tatsächlich faschistoide Szene“ gebildet, „wie wir das auch heute wiederfinden“, so der Autor.
Im Grunde habe es sich dabei um klassische Wanderprediger gehandelt, die Vorträge mit schwer nachvollziehbaren Kern-Messages gehalten hätten: „Das sind immer sehr krude Mischungen aus Anarchismus, völkischem Gedankengut, fernöstlicher Weisheit, also ganz ganz viel Taoismus und Buddhismus.“
Impfgegner waren sie auch
Auch Impfgegnerschaft war bereits damals ein Thema, wie Greiner unterstreicht. Etwa bei Gusto Gräser, einem der Vordenker der sogenannten Lebensreform:
„Der sollte mal aus Baden-Württemberg ausgewiesen werden und verteidigt sich damit, dass seine Weigerung, seine Kinder impfen zu lassen, im Grunde das Deutscheste ist, was machbar ist: ein Aufstand gegen die Bazillenpolizei.“