Umgang mit Blut
Jehovas Zeugen lehnen jede Art des „Gebrauchs von Blut“ als Nahrungsmittel- oder als Medikamentenzusatz und seit 1944 auch als Bluttransfusion ab. Fleisch darf nach dem einfachen Ausbluten gegessen werden, obwohl noch geringste Mengen an Blut im Gewebe vorhanden sind. Zeugen Jehovas glauben, dies sei durch Texte wie 1 Mos 9,4 ELB („Nur Fleisch mit seiner Seele — seinem Blut — sollt ihr nicht essen“, NWÜ) und Apg 15,29 ELB („… euch […] zu enthalten […] von Blut …“, NWÜ und ELB) gestützt (siehe Jakobusklauseln). Die Verwendung von Bluthauptbestandteilen (Blutplasma, Blutplättchen, roten und weißen Blutkörperchen) wird ebenso verworfen wie die Blutspende und die präoperative Eigenblutspende. Die Akzeptanz der Verwendung von Plasmafraktionen (Albumine, Globuline, Gerinnungsfaktoren, Fibrinogen und ähnlichem) und Ableitungen von den anderen Komponenten (Hämoglobinlösung von Erythrozyten; Interferone und Interleukine von Leukozyten) stellen sie der Gewissensentscheidung des Einzelnen anheim, ebenso Organ- und Knochenmarktransplantationen. Sie sind auch mit der Entnahme von Blut für Diagnosezwecke einverstanden. Für den Kontakt zu Ärzten, Krankenhäusern und Pflegepersonal haben die Zeugen Jehovas einen weltweiten „Krankenhausinformationsdienst“ und „Krankenhaus-Verbindungskomitees“ eingerichtet.[28]
Ärzte müssen die Ablehnung einer Bluttransfusion durch einen volljährigen Zeugen Jehovas akzeptieren. Die Frage, ob den Zeugen Jehovas angehörende Eltern Bluttransfusionen für ihre minderjährigen Kinder ablehnen dürfen, war insbesondere im Falle lebensbedrohlicher Krankheitsverläufe mehrfach Gegenstand von Gerichtsentscheidungen. Inzwischen hat sich in Deutschland eine ständige Rechtsprechung dahingehend herausgebildet, dass in solchen Fällen das Kindeswohl vorgeht. Gestützt wird dies auf § 1666 BGB, wonach das Familiengericht die zur Abwendung einer konkreten Gefahr für das Wohl des Kindes erforderlichen Maßnahmen zu treffen hat, wenn die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Das Oberlandesgericht Celle formuliert bezüglich des Vorliegens der Voraussetzungen des § 1666 BGB wie folgt:
„Es kann keinem ernsthaften Zweifel unterliegen, daß diese Voraussetzungen gegeben sind, wenn ein Kind lebensnotwendig auf die Verabreichung von Blut und Blutprodukten angewiesen ist, die Eltern aber die Zustimmung zu dieser Behandlung aus religiösen Gründen verweigern.“[29]
Verweigern die Eltern in einer solchen Situation die Zustimmung zur Bluttransfusion, so erteilt das Familiengericht an ihrer statt die Einwilligung gegenüber dem Arzt, welcher die Bluttransfusion somit vornehmen darf.
Die 17. Enquête-Kommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“ des Deutschen Bundestags stellte fest, innerhalb der Religionsgemeinschaft deute sich eine vorsichtige Relativierung ihrer Haltung an:
„Zwar wird am prinzipiellen, biblisch begründeten Verbot der Bluttransfusion festgehalten. Daneben wird aber die umfassende medizinische Betreuung nicht in Frage gestellt und die Hoffnung geäußert, daß sich aufgrund des Fortschrittes in der medizinischen Technik zunehmend Eingriffsmöglichkeiten eröffnen werden, die eine Bluttransfusion nicht erfordern. Schließlich wird die prinzipielle Rechtsposition akzeptiert, daß auch gegen den Willen von Eltern Bluttransfusionen bei Kindern durchgeführt werden können.“[30]
Aussa