Matangi
Sehr aktives Mitglied
MEIN MEERSTERN
Ich erinnere mich noch gut an die Sonntage meiner Kindheit, an denen die Bewohner des halbkroatischen Dorfes, in dem ich aufwuchs, dichtgedrängt auf den groben Holzbänken in unserer kleinen Kirche saßen, um am katholischen Gottesdienst teilzunehmen.
„Meerstern, ich dich grüße...“
Von den vielen Liedern, die während der Messe gesungen wurden, faszinierte mich am meisten das von Maria, dem Meerstern.
Ich weiß noch, dass ich mich oft während der langen kroatischen Passagen der Messe langweilte, und dann ging mein Blick zur Marienstatue links vorne in der Ecke. Ich betrachtete sie genau und grübelte darüber nach, was es mit dieser Bezeichnung wohl auf sich hatte. Damals als 6-jähriges Kind einer kleinen burgenländischen 200-Seelengemeinde hatte ich natürlich noch nie das Meer gesehen. Fernsehen gab es bei uns noch nicht, aber in der Schule hatte ich zumindest so viel über das Meer gehört, dass ich mir ein gewisses Bild davon machen konnte.
Was hatte Maria also mit dem Meer zu tun?
Die Gottesmutter nahm in der kroatischen Frömmigkeit einen zentralen Platz ein. Vor allem bei den immer schwarz gekleideten, vom Alter und vom Leben gebeugten Großmüttern, diese hatten nicht umsonst den Spitznamen „Rosenkranzmafia“.
Mit ihren ernsten, faltigen Mienen strahlten sie Autorität aus und flößten uns Kindern Respekt ein. Ein, zwei, hinter vorgehaltener Hand gezischte Worte des Tadels genügten, um uns in der Kirche zum Schweigen zu bringen. Gottesfürchtigkeit bedeutete ihnen, die das Trauern um ihre Verstorbenen zu einer Art Lebensphilosophie gemacht hatten, alles.
Ich zweifelte nie daran, dass diese alten Frauen, obwohl man sie immer nur in Röcken sah, in Wirklichkeit zuhause die Hosen anhatten. Ihre Männer, so sie noch unter den Lebenden weilten, waren neben ihnen in der Kirche recht farblose Erscheinungen. In stumpfe Braun- und Grautöne gehüllt hockten sie da wie matte Nebelkrähen zwischen schwarzglänzenden Raben.
Wir kannten Maria als „Gebenedeite Jungfrau“, als „Mutter Gottes“ und als „Himmelskönigin“, doch es war unüberhörbar, dass beim Rosenkranzbeten in der schier endlosen Reihe der einzelnen „Ave Marias“ die meiste Inbrunst in den sogenannten schmerzensreichen Rosenkranz gelegt wurde. Das monotone Gemurmel der Frauen bekam dann eine dichte, spannungsgeladene Intensität und spiegelte einen tiefempfundenen inneren Leidensdruck wider. „Maria, wir verstehen dich!“, schienen sie zu sagen. „Wir wissen was du durchgemacht hast, als sie dir deinen einzigen, geliebten Sohn ermordet in den Schoss gelegt haben. Wir halten mit. Beim Trauern kennen wir uns aus.“
So war für mich der Meerstern etwas hoch Exotisches, Fremdartiges, er passte so gar nicht zu dem Bild der „Großen Leidenden“, das in unserer kleinen Kirche so gern heraufbeschworen wurde. Mir erschien er unendlich groß, stark und mächtig. Unantastbar glänzte er jenseits vom Schmerz menschlicher Verwundbarkeit.
Immer wieder sagte ich mir dieses Wort leise vor und lauschte seinem Klang:
Meerstern.
Meerstern.
Es fühlte sich weit und schön an.
In diesem Lied, das wir von Zeit zu Zeit sangen, vielstimmig, aber immer dominiert von den klagenden, brüchigen Stimmen der Alten und mit ihrer Angewohnheit, die Vokale endlos nasal in die Länge zu ziehen, hatte er sogar die Macht, uns Sündern in unserer tiefsten Not beizustehen und uns zu beschützen!
Immer wieder schaute ich nach vorne links und da stand Sie, eine fast lebensgroße Statue mit dem rundlichen, arglosen Gesicht eines Bauernmädchens, die Hände gefaltet, ein schlichtes weißes Kleid unter dem hellblauen, bodenlangen Umhang. Artig gescheiteltes braunes Haar.
Sie war keine Schönheit, bei Gott nicht, sie strahlte weder Eleganz noch Vornehmheit aus, aber ich mochte ihren sanften, verklärten Blick und ihre einfache Art.
Wenn ich sie lange genug betrachtete, schien ihre hölzerne Miene ein lebendiges Spiel zu bekommen, so als ob sie die wechselhaften Regungen meines kindlichen Gemüts widerspiegeln wollte.
Ich sah in ihr alles Mögliche, doch den Meerstern konnte ich beim besten Willen nicht entdecken, das kam erst viel später, und so blieb er eines der großen Mysterien meiner Kindheit.
Ich erinnere mich noch gut an die Sonntage meiner Kindheit, an denen die Bewohner des halbkroatischen Dorfes, in dem ich aufwuchs, dichtgedrängt auf den groben Holzbänken in unserer kleinen Kirche saßen, um am katholischen Gottesdienst teilzunehmen.
„Meerstern, ich dich grüße...“
Von den vielen Liedern, die während der Messe gesungen wurden, faszinierte mich am meisten das von Maria, dem Meerstern.
Ich weiß noch, dass ich mich oft während der langen kroatischen Passagen der Messe langweilte, und dann ging mein Blick zur Marienstatue links vorne in der Ecke. Ich betrachtete sie genau und grübelte darüber nach, was es mit dieser Bezeichnung wohl auf sich hatte. Damals als 6-jähriges Kind einer kleinen burgenländischen 200-Seelengemeinde hatte ich natürlich noch nie das Meer gesehen. Fernsehen gab es bei uns noch nicht, aber in der Schule hatte ich zumindest so viel über das Meer gehört, dass ich mir ein gewisses Bild davon machen konnte.
Was hatte Maria also mit dem Meer zu tun?
Die Gottesmutter nahm in der kroatischen Frömmigkeit einen zentralen Platz ein. Vor allem bei den immer schwarz gekleideten, vom Alter und vom Leben gebeugten Großmüttern, diese hatten nicht umsonst den Spitznamen „Rosenkranzmafia“.
Mit ihren ernsten, faltigen Mienen strahlten sie Autorität aus und flößten uns Kindern Respekt ein. Ein, zwei, hinter vorgehaltener Hand gezischte Worte des Tadels genügten, um uns in der Kirche zum Schweigen zu bringen. Gottesfürchtigkeit bedeutete ihnen, die das Trauern um ihre Verstorbenen zu einer Art Lebensphilosophie gemacht hatten, alles.
Ich zweifelte nie daran, dass diese alten Frauen, obwohl man sie immer nur in Röcken sah, in Wirklichkeit zuhause die Hosen anhatten. Ihre Männer, so sie noch unter den Lebenden weilten, waren neben ihnen in der Kirche recht farblose Erscheinungen. In stumpfe Braun- und Grautöne gehüllt hockten sie da wie matte Nebelkrähen zwischen schwarzglänzenden Raben.
Wir kannten Maria als „Gebenedeite Jungfrau“, als „Mutter Gottes“ und als „Himmelskönigin“, doch es war unüberhörbar, dass beim Rosenkranzbeten in der schier endlosen Reihe der einzelnen „Ave Marias“ die meiste Inbrunst in den sogenannten schmerzensreichen Rosenkranz gelegt wurde. Das monotone Gemurmel der Frauen bekam dann eine dichte, spannungsgeladene Intensität und spiegelte einen tiefempfundenen inneren Leidensdruck wider. „Maria, wir verstehen dich!“, schienen sie zu sagen. „Wir wissen was du durchgemacht hast, als sie dir deinen einzigen, geliebten Sohn ermordet in den Schoss gelegt haben. Wir halten mit. Beim Trauern kennen wir uns aus.“
So war für mich der Meerstern etwas hoch Exotisches, Fremdartiges, er passte so gar nicht zu dem Bild der „Großen Leidenden“, das in unserer kleinen Kirche so gern heraufbeschworen wurde. Mir erschien er unendlich groß, stark und mächtig. Unantastbar glänzte er jenseits vom Schmerz menschlicher Verwundbarkeit.
Immer wieder sagte ich mir dieses Wort leise vor und lauschte seinem Klang:
Meerstern.
Meerstern.
Es fühlte sich weit und schön an.
In diesem Lied, das wir von Zeit zu Zeit sangen, vielstimmig, aber immer dominiert von den klagenden, brüchigen Stimmen der Alten und mit ihrer Angewohnheit, die Vokale endlos nasal in die Länge zu ziehen, hatte er sogar die Macht, uns Sündern in unserer tiefsten Not beizustehen und uns zu beschützen!
Immer wieder schaute ich nach vorne links und da stand Sie, eine fast lebensgroße Statue mit dem rundlichen, arglosen Gesicht eines Bauernmädchens, die Hände gefaltet, ein schlichtes weißes Kleid unter dem hellblauen, bodenlangen Umhang. Artig gescheiteltes braunes Haar.
Sie war keine Schönheit, bei Gott nicht, sie strahlte weder Eleganz noch Vornehmheit aus, aber ich mochte ihren sanften, verklärten Blick und ihre einfache Art.
Wenn ich sie lange genug betrachtete, schien ihre hölzerne Miene ein lebendiges Spiel zu bekommen, so als ob sie die wechselhaften Regungen meines kindlichen Gemüts widerspiegeln wollte.
Ich sah in ihr alles Mögliche, doch den Meerstern konnte ich beim besten Willen nicht entdecken, das kam erst viel später, und so blieb er eines der großen Mysterien meiner Kindheit.
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