Und so ging es weiter, bis sie neun Hemden ausgezogen hatte und er neun Häute. Das fasste sie wieder Mut, denn er lag am Boden und konnte sich kaum rühren, und das Blut lief an ihm herunter. Da nahm sie die Ruten und tauchte sie in die Lauge und schlug ihn so stark sie konnte und so lange, als nur irgendein Zweig von den Reisern noch da war. Dann tauchte sie ihn in die süsse Milch und wicklelte ihn in die neun Hemden und ging ins Bett und legte ihn in ihren Arm. Dann schlief sie gleich ein, aber es war spät. Als sie wieder aufwachte, lag sie im Arm eines schönen Königssohnes.
Der Morgen kam. Niemand traute sich, zur Tür der Kammer hineinzusehen, denn sie dachten alle, es sei ihr ergangen wie den beiden ersten. Da wollte der König hineinsehen, und als er die Tür öffnete, rief sie: "Komm nur herein. Es steht alles gut!"
Er ging hinein und war voller Freude, holte die Königin und alle anderen. Und da war ein grosses Glückwünschen über dem Brautbett, wie noch niemals eines gewesen ist. Sie standen gleich auf und gingen in ein anderes Gemach, wo sie angekleidet wurden, denn in dieser Kammer sah es greulich aus. Dann wurde aufs neue Hochzeit gehalten mit Prunk und Freude, und der König und die Königin hatten die junge Königin sehr gern. Sie wussten gar nicht, was sie ihr alles zuliebe tun sollten, weil sie ihren Lindwurm erlöst hatte.
Nach einiger Zeit wurde sie schwanger; aber da war wieder Krieg, und der alte König und König Lindwurm mussten ins Feld ziehen. Ihre Zeit kam, und sie gebar zwei schöne Knaben.
Um diese Zeit war
Ritter Rot am Hofe. Der sollte dem König einen Brief überbringen, dass sie zwei schöne Knaben hatte. Er reiste eine Strecke weit, dann machte er den Brief auf und schireb statt dessen, dass sie zwei junge Hunde geboren hätte. Der König bekam den Brief und war sehr traurig, denn er fand es wunderlich, dass sie junge Hunde geboren hatte. Er hatte eher einen Lindwurm oder so etwas erwartet. Er schieb zurück, sie sollten die Geschöpfe bis zu seiner Heimkunft leben lassen, wenn sie überhaupt leben könnten. Diesen Brief sollte Ritter Rot heimbringen; aber als er ein Stück weit gereist war, machte er auch diesen Brief auf und schrieb einen anderen, sie sollten die Königin mitsamt den Kindern verbrennen.
Über diesen Brief war die alte Königin sehr traurig, denn sie hatte die junge Königin sehr gern. Bald darauf kam ein Brief vom König, wann er heimkommen werde. Da bekamen sie Angst und wussten nicht, was sie tun sollten, denn die alte Königin konnte es nicht übers Herz bringen, sie verbrennen zu lassen. Die Kinder liess sie einer Amme überbringen, denn sie dachte, der König könne doch vielleicht besseren Sinnes werden, wenn er erst zu Hause wäre. Der Königin gab sie Essen mit und etwas Geld und hiess sie in den Wald gehen.
Sie ging in den Wald und wanderte einen Tag und noch einen Tag und war in grosser Not. Da sah sie einen grossen Berg und stieg hinauf, ohne anzuhalten.
Oben auf dem Berg waren drei Bänke, und sie setzte sich auf die mittlere und presste sich die Milch aus den Brüsten, denn sie war sehr gequält, weil sie ihre Kinder nicht mehr hatte.
Da kamen zwei grosse Vögel und setzten sich rechts und links neben sie. Es waren
ein Schwan und ein Kranich, und
sie presste ihnen die Milch in den Schnabel, so nah sassen sie bei ihr. Und wie sie so dasass, wurden sie auf einmal zu den zwei schönsten Prinzen, die man sich denken kann, und der Berg wurde zum schönsten Königsschloss, das man sehen kann, mit Gefolge und Getier und Gold und Silber und allem, was dazugehörte. Sie waren so verzaubert gewesen, dass sie niemals erlöst werden konnten, wenn sie nicht Milch von einer Königin tränken, die zuvor zwei Knaben geboren hatte.
Sie ging dann mit den beiden, mit König Schwan und König Kranich.
Und der eine wollte sie heiraten und der andere auch, denn sie hatte ja beide erlöst.
Inzwischen kam König Lindwurm heim und fragte nach der Königin. "Freilich", sagte die alte Königin, "du hast gerade noch nötig, dass du nach ihr fragst! Du bist mir der Rechte! Du hast nicht mehr daran gedacht, dass sie dich aus deinem grossen Elend erlöst hat! Du hast es fertig gebracht, zu schreiben, wir sollten sie und die Kinder verbrennen! Schämen sollst du dich!"
"Nein", sagte König Lindwurm, "ihr habt mir geschireben, sie hätte zwei junge Hunde geboren, und ich habe euch geschrieben, ihr solltet die Gschöpfe leben lassen, bis ich heimkäme."
Da redeten sie lang hin und her, bis sie dahinterkamen, dass Ritter Rot Verrat geübt hatte. Da wurde er festgenommen und musste gestehen.
Und man sperrte ihn in ein mit Nägeln beschlagenes Fass und spannte vier Pferde davor, und die rannten mit ihm über Berg und Tal.
Der König war voller Trauer um seine Frau und seine Kinder, als er erfahren hatte, dass es zwei schöne Knaben waren. Die alte Königin sagte zu ihm: "Sei nur ruhig! Die Kinder sind gut aufgehoben, denn sie sind bei Ammen untergebracht. Aber wie es ihr geht, das weiss ich nicht, denn ich habe ihr etwas Essen und etwas Geld geben lassen und sie in den Wald gehen heissen, und seitdem haben wir nichts mehr von ihr gehört."
Da befahl der König, man solle die Kinder zurückholen, und nahm etwas Essen und etwas Geld und ging in den Wald, um sie zu suchen. Er wanderte zwei Tage lang und drei Tage lang und suchte nach ihr, aber er fand sie nicht.
Da kam er schliesslich an das Schloss im Wald. Als er Leuten begegnete, fragte er sie, ob sie nicht eine fremde Jungfrau im Wald hätten gehen sehen. Aber sie hatten niemand gesehen. Da wollte er in das Schloss hineingehen und sehen, was für Königsleute darin wohnten. Er ging hin und trat ein.
Gerade als er hineinkam, sah er sie, und sie sah ihn auch. Aber sie hatte Angst, weil sie dachte, er suchte sie, um sie zu verbrennen, und sie lief davon.
Die beiden Prinzen kamen herein, und sie kamen ins Gespräch miteinander und wurden recht gute Freunde. Sie luden ihn zum Mittagessen ein. Da sagte er, sie hätten da eine schöne Jungfrau, wo sie denn her sei?
Sie antworteten, ja, sie sei sehr lieb, sie hätte sie beide befreit. Da wollte er wissen, von was sie sie befreit hätte, und sie erzählten ihm die ganze Geschichte.
Da sagte er, er könne sie auch gut leiden, ob sie nicht ein Übereinkommen treffen könnten? Man könne ihr vielleicht heimlicherweise das Mittagessen versalzen, und der, den sie dann auffordern würde, er solle ihr zutrinken, der solle sie bekommen. Damit waren die Prinzen wohl zufrieden, denn so konnten sie auch gleich entscheiden, wer von ihnen beiden sie bekommen sollte, denn sie glaubten nicht, dass sie den Fremden auffordern würde, ihr zuzutrinken.
Sie gingen zum Mittagessen und da sagte sie: "Mir kommt das Essen so versalzen vor:
König Schwan sitzt nah bei mir,
König Kranich ist gut mit mir,
König Lindwurm trinkt mit mir."
Gleich nahm er die silberne Kanne zur Hand und trank auf ihr Wohl, und die anderen tranken auf ihre eigenes Wohl. Und dann mussten die anderen auf sein und ihr Wohl trinken, obgleich sie nicht zufrieden waren.
Da erzählte König Lindwurm ihnen, wie sie ihn erlöst habe, bevor sie sie erlöste; also stünde er ihr am nächsten.
Darauf sagten die beiden Prinzen, das hätte er ihnen vorher sagen sollen, dann hätten sie sie ihm überlassen. Aber er sagte, das hätte er nicht so sicher wissen könen.
Dann zog König Lindwurm mit der Königin heim, und die Kinder waren inzwischen auch heimgeholt worden.
König Schwan behielt das Schloss im Wald und holte sich eine Prinzessin aus einem anderen Königreich. Und König Krancih ging in ein anderes Land und verheiratete sich dort. So hatte jeder von ihnen etwas.
König Lindwurm und seine Königin standen in hohen Ehren ihr Leben lang. Sie waren sehr glücklich und hatten viele Kinder.
Als ich das letzte Mal dort war, bekam ich ein zinnernes Butterbrot in einem Sieb angeboten.
http://www.maerchenlexikon.de/etexte/433B/te433B-001.htm