An alle interessierten Laien und Berufsastrologen
Ich bins, der "Typ mit der zu groß geratenen Fresse" ist wieder da.
Es geht um ein brenzliges Thema und ich werde etwas aussprechen, das, insofern ich von Zensur verschont bleibe, wohl mit an ziemlicher Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit lokale Schreie wie "MEUCHLER!", "VERLEUMDER!" oder auch "VERBRENNT DEN KETZER!" hervorrufen wird. Das Thema ist nicht ganz neu - aber trotzdem aktuell wie eh und je!
Es geht um die wuchernde Kommerzialisierung der Astrologie, welche sich langsam aber sicher immer mehr von der ernstzunehmenden Wissenschaft entfernt. Nicht nur wegen der berühmt-berüchtigten Tageshoroskope (die von bezahlten Berufsastrologen im Auftrag der Zeitschrift gefertigt werden), sondern nicht zuletzt auch wegen der Gesamtheit der in eigener Praxis arbeitenden Berufsastrologen - eben all jene Astrologen, welche Geld für ihre Dienste verlangen.
Einst noch hochgeschätzt und angesehen, wird die Astrologie heutzutage als Abwisch für alle möglichen und unmöglichen Behauptungen missbraucht - angefangen beim untersten Niveau, sprich Sternzeichenhoroskopie, bis hin zu professionell vermarktetem Nebulösitätsgeschwafel.
Schuld daran ist die Tatsache, dass konkrete Aussagen recht selten zu finden sind bzw. solche, wann immer es eben möglich ist, vermieden werden.
Früher wurde die Astrologie aufgrund ihrer mathematischen Komplexität wie eine Wissenschaft behandelt und war nur wenigen Eingeweihten zugänglich, heute kann jeder Depp sein Tageshoroskop lesen oder einen beliebigen Berufsastrologen konsultieren.
Zu viele Leute, die zu viel über sich selbst erfahren möchten, gehen zum Berufsastrologen. Der Berufsastrologe tätschelt diesen Leuten den Kopf und sagt ihnen für Geld etwas, das ihnen wohl bekommt und sie nicht verstimmt oder gar verängstigt. Ich sehe die heute vorherrschende Situation als eine gefährliche Verblendung.
Ich erkenne in der heute vorherrschenden Situation eine Parallele zum damaligen Ablasshandel ("Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt"), falls dieser jemals wirklich existierte: Der Berufsastrologe verspricht dem Suchenden für Geld einen Leitfaden zum Himmel, zum persönlichen Glück - wobei der Astrologe seine Ware natürlich nicht mit bombastisch klingender Werbung zum Verkauf anbietet, sondern diese psychologisch verbrämt und schwammige Formulierungen aufstellt, die jeden treffen könnten.
Doch Seelenglück kann man nicht kaufen, astrologische Beraterpersonen sind ein unzulässiger Wegweiser. Wann hat eine astrologische Psychologie jemals jemandem wirklich geholfen? Schon das Orakel (!) von Delphi predigt: "Erkenne dich selbst [... nur du kannst es]"
Das Orakel selbst verlangte für seine Aussagen und Beratungen nie auch nur eine kleine Gegenleistung, weder in Form von Geld noch sonst irgendeinem Mittel.
Bereits Luther erkannte, dass jede einzelne Person in ihrem Leben eigenverantwortlich handeln muss, um zu ihrem Seelenglück gelangen zu können, da dieses von äußeren Institutionen völlig unabhängig ist. Deswegen begann Luther das damals vorherrschende Kirchwesen zu reformieren; er beabsichtigte und erreichte schließlich auch einen allgemeinen Gesinnungswandel. Die Menschen erkannten, dass sie ein Ablassbrief von ihren angeblichen Sünden wohl kaum freisprechen und ihnen auch den Weg ins angebliche Paradies wohl kaum garantieren konnte.
Stattdessen war es notwendig, in eigener Verantwortung und Hingabe sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen - wodurch sich der Mensch am ehesten verwirklichen konnte.
Da ich davon ausgehe, dass ihr Astrologen in Analogie (Ablassbrief = Horoskop) denken und den Fall mit dem Ablasshandel auf die heutige Situation der astrologischen Vermarktung beziehen könnt, werdet ihr wahrscheinlich die Dimension des Problems erkennen:
Warum sollte jemand Geld ausgeben, nur damit eine Herrschaft mit Monokel erklärt, dass dessen Sonne zum Zeitpunkt der Geburt da und dessen Mond dort stand und dass der MC den Sinn des Lebens darstellt? Das kann man, falls man möchte, auch kostenlos im Internet erfahren.
Ich glaube daher nicht, dass ein Besuch beim Astrologen für irgendjemanden wirklich in Frage käme geschweige denn sinnvoll wäre, zumal alles, was der Berufsastrologe über den Klienten "weiß", derjenige im Grunde besser wissen muss.
Ich beobachte die Kommerzialisierung der Astrologie mit Besorgnis - die rückliegende Entwicklung ist äußerst unvorteilhaft verlaufen, sowohl für den Klienten als auch für den allgemeinen Ruf der Astrologie.
Außerdem, wo bleibt das Exklusivwissen?
Jeder behauptet doch zu ein und denselbem Sachverhalt etwas Widersprüchliches...
Geben wir es mal zu: Die meisten von den neumodischen Astrologiegelehrten sind blindgläubig, was die Deutung ihres eigenes Horoskops anbetrifft. Sie bitten einen Berufsastrologen, um diesen stellvertretend an ihrer Stelle deuten zu lassen. Dann glauben sie das, was der andere Astrologe ihnen sagt, im Grunde ist dies jedoch unzulässig, da sie sich selbst am besten kennen und auf ihrem Weg der Selbsterkenntnis keiner, wirklich keiner außer ihnen selbst helfen kann.
Auch die Planetensymbolik und alles Weitere wurde uns von irgendwelchen Personen überliefert, der Ursprung ist uns fast gänzlich unbekannt. Deswegen halte ich es für richtig, auch als Gelehrter die Astrologie als solche immer wieder zu hinterfragen, um Blindgläubigkeit zu vermeiden.
Anscheinend muss ich ebenso wie ihr trotz aller Bedenken weiterhin Astrologie in der heutigen Form betreiben - einmal Spinner, immer Spinner.
Das kennt ihr sicherlich auch: Sobald die Sucht einen gepackt hat, lässt sie denjenigen auf Gedeih oder Verderb nicht mehr los. Davon profitieren im Endeffekt nur all jene, die als Astrologen beruflich tätig sind...
Ich hoffe, dass ich möglichst vielen von euch nochmal die Bedeutung des erkannten Problems vor Augen führen konnte. Irgendetwas muss gegen die wuchernde Kommerzialisierung der Astrologie unternommen werden; ich bin selbst noch am Überlegen, welche von den möglichen Lösungen die beste ist.
So long
Findet euren eigenen Weg und lasst euch nicht verblenden,
euer Seelenfreund
P.S.
Ich selbst habe nie die Dienste eines professionellen Astrologen in Anspruch genommen, habe ergo keinen einzigen Cent in den Klingelkasten eingezahlt.
Stattdessen habe ich mich mit der Astrologie beschäftigt.
Ich habe dann ein interessantes Buch des Geschichts- und Gesellschaftswissenschaftlers Georges Minois gelesen, welches u.a. die Rolle der Astrologie für die Gesellschaft im Mittelalter sowie in der Renaissance sehr gut und ausführlich beschreibt und zuweilen sogar lustige Geschichten erzählt (z.B. ist von einem englischen Baron die Rede, der sich auf einem schwer zugänglichen Berghügel eine Hütte errichtet und diese mühsam mit Vorräten vollgestopft hatte, weil ein astrologischer Almanach aufgrund einer ungewöhnlich großen Planetenballung in den Fischen für das Jahr 1525 eine große Flut vorhergesagt hatte). Für jeden, der sich mit Astrologie/Prophezeiungen im Allgemeinen beschäftigt, meines Erachtens unbedingt lesenswert.