Ich bemerke immer wieder, wie die halbe Welt meint, Wilber besser zu verstehen, als er selbst. Dazu gibt es zwei Dinge zu sagen:
1. Wilber hat an seinen Theorien mehrere Jahrzehnte herumgefeilt. Ich glaube, wer ein Buch (oder auch zwei oder auch alle Bücher) von ihm gelesen hat, und dann denkt, er hätte schon alles kapiert, was Wilber da schreibt, der hat einfach nicht wirklich viel kapiert davon.
Hm, kann ich Dir durchaus so lassen, Deine Einschätzung, ich bin nicht verantwortlich für eventuelle Selbsttäuschungen, denen Du selber so aufsitzen könntest. Vielleicht ist es hilfreich, mal einzubeziehen, daß auch andere außer Dir Erkenntnisfähigkeit besitzen könnten.
Um Wilber wirklich zu verstehen, ist es notwendig, seine Quellen zu kennen. Es gibt im Netz eine riesige Menge schlichtweg unqualifizierter Kritik an ihm.
Und was wenn mehr als Grundlagen der Entwicklungspsychologie, Empirik, Hermeneutik, Der Dualismustheorie ( und Praxis) sowie Verständnis von den Holons sowie Holarchien ( früher hieß das ja stark reduktionistisch Mikrokosmos/Makrokosmos) da sind, darf man ihn dann lesen
?
Aber vor allem: Kritik ist dann möglich, wenn etwas an der von ihm postulierten "Wahrheit" nicht stimmt, dazu muß man nicht sein ganzes Werk gelesen haben, da reicht der betreffende Teil.
Und noch viel wichtiger: Es ist notwendig, sich selbst zu verändern. Lebendig, als Mensch, also seelisch, geistig, emotional, körperlich - das ganze Leben betreffend.
??? Was hat das denn mit Kritik an Wilber zu tun? Weiß ich denn, was Du die letzten 20 Jahre so getrieben hast, um zu Deinem Weltverständnis zu kommen, oder weißt Du das von mir? No. Also überflüssig.
Ich selbst hatte nie das Gefühl, alles verstanden zu haben, wovon Wilber schreibt - und dazu zähle ich insbesondere seine Stufensysteme.
(Übrigens darf die Frage aufgeworfen werden, wie gut Wilber diese Stufen selbst verstanden hat. Das gilt ganz besonders für die subtile, die kausale und die nicht-duale Stufe. Wilber beginnt bei Beschreibungen dieser Stufen jeweils einen interessanten Trick anzuwenden: Er beginnt zu dichten oder persönliche Erlebnisse zu erzählen.)
Das ist ja o.k., das ist Deine persönliche intensive Auseinandersetzung, für mich ist Wilber ein Synthetiker, nichts weiter, also kein Guru. So erlaube ich es mir Fragmente zu beurteilen und ihn daran zu messen. Kein Mensch kann allerdings nur an Fragmenten, also rein situativ gemessen werden, der Wahrheitsgehalt von Theorien, die er aufstellt, aber schon. Speziell wenn die direkte Erfahrung dessen, was als die "Wahrheit" wie ein roter Faden durch jede Tradition läuft, im Hintergrund da ist.
2. Dummerweise hat Wilber selbst begonnen, sich, vor allem seit dem Erscheinen von Eros, Kosmos, Logos, langsam und beständig selbst zu disqualifizieren, indem er immer sturer auf der "Richtigkeit" seiner eigenen Position zu beharren begonnen hat. Offenbar hat er sich immer weiter entfernt von einer echten, kritischen Auseinandersetzung gemeinsam mit anderen Personen mit seinen Werken. Wilber's Behauptung, er würde "die grösstmögliche Anzahl Quellen mit dem grösstmöglichen Konsens zusammenfassen", also quasi den wahren Kern freilegen, ist bei genauerer Betrachtung längst nicht so stimmig, wie das zuerst den Anschein macht. Aus diversen Gründen, auf die ich hier nicht weiter eingehen will. Wilber's Arbeiten sind gewaltige geistige Produkte, aber sie sind nicht der Weisheit letzter Schluss. Und sowohl Wilber weiss das, wie auch seine Kritiker das wissen. Die "Marke Integral" ist nicht in einem lebendigen Diskurs gewachsen, sondern sie ist Wilber's persönliches Produkt. Im Gegensatz zu Aurobindo scheint Wilber (und auch z.B. Andrew Cohen) das Gefühl zu haben zu wissen, wie die weitere Entwicklung des Menschen aussieht.
Ich schätze, sowas passiert jedem, der einen so hohen Anspruch hat und sich in irgendwelchen unklaren egoistischen Motiven verläuft. Menschlich. Würd ich ihm jetzt nicht so sehr übelnehmen, aber er muß sich in meinen Augen ja auch nicht menschlich bewähren, das sagt aber nicht, daß vieles seiner einmal gemachten Aussagen oder Systematiken sowie Komplexitäten nicht wertvoll wäre.
Ich glaube nicht, daß er sich einen großen Gefallen tut, wenn er sich Zukunftsprognosen erlaubt, das würde ich doch eher in die Sparte der Mystiker sortieren, er ist für mich trotz spirituellem Hintergrund Systematiker, aber man wird sehen, er fegt sich eben selbst von der Platte damit oder festigt seine Prominenz, alles offen.
Grüße.