Ich sammle Geschichten,wer macht mit ?

Wachsam

KOMISCH, DASS man jetzt, wo jeder Haushalt seine Interkontinentalrakete hat, kaum noch darüber nachdenkt. Anfangs wurden sie nicht wahllos ausgegeben. Da war es noch aufregend: Ein Bekannter bekam ein Schreiben von der Regierung, und eine Woche später lud ein Laster die Rakete ab. DANN mußte jedes Eckhaus eine haben, DANN jedes zweite Haus, und JETZT würde es merkwürdig aussehen, wenn man beim Geräteschuppen oder der Wäscheleine keine Rakete stehen hätte.

Uns ist durchaus klar, wozu sie da sind, jedenfalls in einem weiteren Sinn. Wir wissen, dass wir in einem zunehmend gefährlichen Klima unsere Lebensweise schützen müssen. Wir wissen, dass jeder seinen Beitrag zu unserer nationalen Sicherheit leisten muss (indem er den Druck von den Waffenlagern nimmt) und, was am wichtigsten ist, dass man mit dem Gefühl belohnt wird, dass wir unseren Beitrag leisten.

Es ist ein bescheidenes Engagemant. Man muß die Rakete nur am ersten Sonntag im Monat waschen und hin und wieder den Meßstab an der Seite herausziehen, um den Ölstand zu kontrollieren. Alle zwei Jahre steht ein Eimer Farbe in einem Pappkarton vor der Tür, was heißt, dass es Zeit wird, etwaigen Rost zu entfernen und der Rakete einen frischen, metallicgrauen Anstrich zu verpassen.

Viele von uns haben jedoch damit angefangen, die Rakete bunt anzustreichen, sogar Muster darauf zu malen, etwa Schmetterlinge oder schablonierte Blumen. Sie nehmen ja im Garten so viel Raum ein, da können sie ja ruhig auch hübsch aussehen, und in dem Regierungsschreiben steht nicht, dass man die bereitgestellten Farben auch benutzen muss.

Auch haben wir es uns zur Gewohnheit gemacht, zur Weihnachtszeit Lichter daran zu binden. Sie sollten mal Nachts auf den Hügel gehen, dann sehen sie im ganzen Umkreis Hunderte von funkenden Türmen, die alle blinken und blitzen.

Außerdem gibt es noch alle möglichen anderen sehr guten und praktischen Verwendungen für eine Gartenrakete. Schraubt man unten die Verkleidung ab und zieht die ganzen Kabeln und so weiter heraus, kann man den Raum nutzen um Sämlinge zu ziehen oder Gartnegeräte, Wäscheklammern und Brennholz zu lagern. Nach einer umfangreichen Renovierung gibt sie auch ein hervorragendes "Raumschiff"- Häuschen ab, und wenn man einen Hund hat, braucht man keine Hütte für ihn zu kaufen. Eine Familie hat ihre sogar oben ausgehölt und einen Pizzaofen daraus gemacht.

Doch, wir wissen alle, dass es gut möglich ist, dass die Raketen nicht mehr richtig funktionieren, wenn die Leute von der Regierung sie einmal holen wollen. Aber im Laufe der Jahre haben wir aufgehört, uns darüber Gedanken zu machen. Tief im Inneren finden die meisten, dass es wahrscheinlich besser so ist. Denn wenn es in fernen Ländern auch Familien mit Gartenraketen gibt, deren Sprengköpfe auf uns gerichtet sind, hoffen wir schließliche auch, dass sie eine bessere Verwendung dafür gefunden haben.

Shaun Tan
 
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Der Gartenzaun


Es war einmal ein Junge mit einem sehr schwierigen Charakter.


Sein Vater gab ihm einen Beutel voll mit Nägeln und bat ihn, jedesmal dann einen Nagel in den Gartenzaun zu schlagen, wenn er seine Geduld verliert und/oder mit jemandem in Streit geraten ist. Am ersten Tag schlug der Junge 37 Nägel in den Gartenzaun. In den folgenden Wochen lernte der Junge, sich zu beherrschen und die Zahl der Nägel, die er in den Zaun schlug, wurde immer weniger. Der Junge merkte, dass es einfacher ist, sich zu beherrschen, als Nägel in den Zaun zu hämmern.


Schließlich kommt der Tag, an dem der Junge keinen Nagel in den Gartenzaun schlägt. Er geht zu seinem Vater und erklärt ihm, dass er heute keinen Nagel in den Gartenzaun geschlagen hat. Da sagt sein Vater zu ihm, er soll jeden Tag wieder einen Nagel aus dem Zaun entfernen, an dem er sein Temperament erfolgreich unter Kontrolle halten kann. Viele Tage vergingen, bis der Junge seinem Vater erzählen kann, dass er alle Nägel aus dem Zaun gezogen hat.


Der Vater geht mit seinem Sohn zu dem Zaun und erklärt ihm: „Mein Sohn, du hast dich in letzter Zeit gut benommen, aber schau wie viele Löcher du in dem Zaun hinterlassen hast. Er wird nie mehr der gleiche sein. Jedes Mal, wenn du Streit mit jemandem hast und ihn beleidigst, bleiben Wunden wie diese Löcher im Zaun. Jedes Mal, wenn du jemanden mit einem Messer stichst und es wieder herausziehst, bleibt so eine Wunde. Ganz egal, wie oft du dich entschuldigst, die Wunde wird bleiben. Eine Wunde, die du durch Worte erzeugst tut genauso weh, wie eine körperliche Wunde.“
 
Ein "Winternachttraum"

Es gab einmal ein Mädchen...
es träumte von einem Prinz, der sie und damit die ganze Welt retten wird.

Das hat sie in ihrem Tagebuch aufgeschrieben....in das Buch ihren jugendtlichen Träumen.

Doch es gab eine mutter, die meinte, sie müsste ihre Tochter sehr gut unter Konrolle halten. Sie hat das Träumelele Buch gefunden, gelesen und dann bei der nächsten Ausseinandersutzungen zugeschlagen: "Du träumst viel zu viel, du wirst sicher nur einen Mann finden, der dich nur schlagen wird!!!"

Ab da an hat das kleine Mädchen nur den Angst von der Männer bekommen aus Angst geschlagen zu werden...hat sich manchmal aus Welpenschutz sich unterworfen, mit der bitte: "Schlage mich bitte nicht!"

Hat aber auch nicht viel genutz, denn wer sich geschlagen fühlt, wird noch mehr geschlagen.

So musste das Mädchen sich währen lernen und auf ihren Rechten bestehen, aber ohne dabei Gleichgewicht zu verlieren, noch aufhören zu lieben, ihr Herz zu öffnen....

vertrauen...den andern und sich selbst....
 
(Internetfund)

Der kleine Schmetterling

Eines Tages erschien eine kleine Öffnung in einem Kokon.
Ein Mann beobachtete den zukünftigen Schmetterling für mehrere Stunden,
wie dieser kämpfte, um seinen Körper durch jenes winzige Loch zu zwängen.
Dann plötzlich schien er nicht mehr weiter zu kommen.
Es schien als ob er so weit gekommen war wie es ging, aber jetzt aus
eigener Kraft nicht mehr weitermachen konnte.

So beschloss der Mann, ihm zu helfen.
Er nahm eine Schere und machte den Kokon auf.
Der Schmetterling kam dadurch sehr leicht heraus, aber er hatte einen verkrüppelten Körper,
er war winzig und hatte verschrumpelte Flügel.

Der Mann beobachtete das Geschehen weiter, weil er erwartete, dass die Flügel sich jeden Moment
öffnen, sich vergrößern und sich ausdehnen würden, um den Körper des Schmetterlings zu stützen
und ihm Spannkraft zu verleihen.

Aber nichts davon geschah!
Stattdessen verbrachte der Schmetterling den Rest seines Lebens krabbelnd mit einem verkrüppelten
Körper und verschrumpelten Flügeln.
Niemals war er fähig zu fliegen.

Was der Mann, in seiner Güte und seinem Wohlwollen nicht verstand war,
dass der begrenzende Kokon und das Ringen, das erforderlich ist damit der Schmetterling durch die
kleine Öffnung kam, der Weg der Natur ist, um Flüssigkeit vom Körper des Schmetterlings in seine
Flügel zu fördern.
Dadurch wird er auf den Flug vorbereitet sobald er seine Freiheit aus dem Kokon erreicht.

Manchmal ist das Ringen genau das, was wir in unserem Leben benötigen.
Wenn wir durch unser Leben ohne Hindernisse gehen dürften, würde es uns lahm legen.
Wir wären nicht so stark, wie wir sein könnten, und niemals fähig zu fliegen.
 
Der kleine Baumwollfaden

Es war einmal ein kleiner, kurzer Baumwollfaden
der mit sich haderte.
Voller Angst war er außerdem:
“So wie ich bin, bin ich doch überflüssig.
Nichts kann ich – zu nichts bin ich
zu gebrauchen. Für ein Schiffstau bin ich viel zu schwach“,
so jammerte er, „und für einen schönen Pullover viel zu kurz.
Und an andere anzuknüpfen traue ich mich nicht.
Ich habe zu viele Hemmungen.
Für die Stickerei bin ich auch gänzlich ungeeignet, farblos und blass, wie ich bin.
Jaaa wenn ich aus Lurex wäre“, so sagte er sich, „sähe alles anders aus.
Ich könnt eine Stola verzieren oder auch ein Kleid.
Aber so? Es reicht einfach nicht. Zu nichts bin ich nutze.
Niemand braucht mich. Niemand mag mich – und ich selbst
Mag mich am allerwenigsten.“

So lamentierte der kleine Baumwollfaden vor sich hin,
legte traurige Musik auf und war sehr niedergeschlagen in
seinem so großen Selbstmitleid.

Da klopfte eines Tages ein kleines Klümpchen Wachs an seine Tür.
Er fragte den Baumwollfaden warum er denn so traurig sei.
Und der Faden erzählte ihm sein Leid.
Da sprach das Klümpchen Wachs: „Lass dich doch nicht
so hängen, kleiner Baumwollfaden. Weißt du ich habe eine Idee.
Wir beide tun uns zusammen.
Für eine große Kerze bist du zwar zu kurz
und ich habe auch nicht genügend Wachs, aber für ein Teelicht reicht es allemal.
Es ist doch viel besser ein kleines Licht anzuzünden
als immer nur in Dunkelheit
zu jammern.“

Da war der kleine Baumwollfaden ganz glücklich, tat sich mit dem Klümpchen
Wachs zusammen und sprach:“ Endlich hat mein Dasein doch einen Sinn.“

Und wer weiß:
Vielleicht gibt es auf dieser Welt noch viel mehr kleine,
kurze Baumwollfäden und kleine Wachsklümpchen,
die sich zusammentun können, um in die Welt zu leuchten………..!
 
ZWEI BRÜDER (eine Parabel)

"Es lebte einst ein Ehepaar, das lange kinderlos blieb. Erst im höheren Alter wurde die Frau schwanger. Sie gebar Zwillingsbrüder und starb kurz nach der schweren Geburt. Der Mann stellte Ammen an und versuchte, so gut er es konnte, seine Söhne zu versorgen. Als die beiden vierzehn Jahre alt wurden, verließ auch ihr Vater diese Welt. In großer Trauer saßen die Söhne im leer gewordenen Haus. Der eine von ihnen galt in der Familie als älterer Bruder, denn er war um drei Minuten vor seinem Zwillingsbruder geboren worden. Er brach als erster das Schweigen: "Im Sterben war unser Vater darüber besorgt, dass er uns nicht mehr die Weisheit unserer Ahnen hatte lehren können. Ohne Weisheit, so meinte er, werden wir und auch unsere Kinder von den anderen verachtet leben müssen, wenn sich nicht einer von uns aufmacht, die Weisheit zu suchen."
"Ich bin bereit mich darauf einzulassen', antwortete der jüngere Bruder. Aber wenn du meine Meinung hören magst, dann sage ich dir: Ich lebe auch ohne Weisheit glücklich und freue mich über jeden Tag. Dich sehe ich oft in Gedanken versunken. Deshalb schlage ich dir vor, lass mich für uns und das Haus sorgen. Du aber sinne ungestört nach und suche die Weisheit unserer Ahnen."

"Nur glaube ich nicht", sprach der ältere Bruder, "dass ich die Weisheit, die mir nicht gegeben wurde, in mir finde. Ich werde mich auf den Weg in die Welt hinaus machen und die Weisheit in allen Ländern suchen müssen. Finde ich sie, so bringe ich sie in unser Haus zurück, für dich, für mich und für unsere Kinder, die es ihren Kindern über Jahrhunderte weiterreichen werden."

"Du hast einen langen Weg vor dir, Bruder", sagte der Jüngere, "so nimm unser Ross, unseren Wagen und alles, was du für deine Reise brauchst. Möge sie dir gelingen. Ich aber werde in unserem Haus auf dich warten."
Über sechzig Jahre vergingen, das Haar des älteren Bruders wurde grau. Gepilgert von einem Weisen zum anderen, von einem Tempel zum anderen, war er im Norden und Süden, im Osten und Westen dieser Welt. Mittlerweile wurde er als der Weiseste unter den Weisen verehrt, viele Schüler folgten ihm auf seinen Wegen, sein Ruhm ging ihm überall voraus. So kehrte er, der Hochverehrte, zu seinem jüngeren Bruder heim.

Alle Menschen aus der Siedlung liefen ihm entgegen, allen voran sein eigener Bruder. Er verneigte sich vor dem Weisen und sprach in großer Freude: "So segne mich und lass dich begrüßen, mein weiser Bruder! Lass mich deine müden Füße waschen. Lass dich in unserem Haus nieder und erhole dich nach deiner langen Reise." Der Weise ließ seine Schüler auf einem Hügel vor seiner Ortschaft rasten und die ihnen dargebrachten Gaben genießen. Er selbst folgte seinem jüngeren Bruder und betrat sein Haus. Während der Fußwaschung sprach der grauhaarige Weise: "Bruder, ich habe mein Vorhaben erfüllt. Die großen Lehren habe ich studiert, aus ihnen kommt meine Weisheit, sie lehre ich alle Menschen. Doch ich habe mein Wort an dich nicht vergessen. Ich kam für einen Tag, um dir und deinen Kindern das Wichtigste weiterzugehen."

Und während sein jüngerer Bruder ihm die Füße mit einem verzierten Tuch trocknete, sprach der Weise: "Das Erste: Alle Menschen sind für das Leben in einem blühenden Garten geboren." Während sein jüngerer Bruder ihm Früchte aus dem eigenen Garten anbot, kostete der Weise davon und sprach nachdenklich: "Jeder Mensch sollte in seinem Leben einen Baum gepflanzt haben, der seinen Nachkommen eine gute Erinnerung an ihn und eine reine Luft zum Atmen schenken wird."

"Verzeih mir, mein weiser Bruder, ich habe vergessen das Fenster zu öffnen, damit du frische Luft bekommst. Schau, siehst du diese beiden Zedern dort? Ich pflanzte sie in dem Jahr, in dem du von hier fortgingst. Für die eine Zeder grub ich das Loch mit meinem Spaten aus, für die zweite benutzte ich deinen kleinen Spaten, mit dem du als Kind gespielt hattest."
Der Weise betrachtete die Bäume und antwortete: "Die Liebe ist das größte Gefühl, dessen wir fähig sind. Nicht jeder Mensch erfährt es in seinem Leben. Die Weisheit des Lebens besteht jedoch darin, die Liebe beharrlich zu suchen."

"Vor deiner Weisheit, oh mein Bruder, gerate ich in Verwirrung. Verzeih mir, ich habe ganz vergessen, dir meine Frau vorzustellen. He, meine Liebe, meine Alte, wo bleibst du denn?"
"Da bin ich", erklang eine muntere Stimme, und ins Zimmer trat die Alte mit den frischen Speisen auf einem Tablett. Sie machte vor den beiden Männern einen lustigen Knicks und flüsterte ihrem Mann zu, jedoch so laut, dass ihr Gast auch mithören konnte: "Verzeih, mein Lieber, ich muss mich hinlegen!"
"Jetzt doch nicht, während solch ein Gast, mein Bruder, da ist."
"Es ist mir so schwindlig, so komisch zumute, als wäre bald..."
"Na was denn?"
"Als wäre ich bald wieder schwanger von dir...", prustete die Alte und rannte lachend aus dem Zimmer.
"Verzeih ihr", sagte derjüngere Bruder beschämt, "sie versteht die Weisheit nicht zu schätzen, sie war immer schon so laut und lustig."

Der Weise wurde immer nachdenklicher. Kinderstimmen brachten ihn aus seinem Schweigen. "Die große Weisheit ist die Kunst, Kinder zu glücklichen und gerechten Menschen zu erziehen", sagte er weiter. "Ja, erzähl doch bitte darüber", bat ihn der jüngere Bruder, "ich will auch sehr, dass meine Kinder, meine Enkel glücklich werden."

Indessen betraten seine Enkel, zwei Jungen um die sechs Jahre und ein vierjähriges Mädchen, unter lautem Streit den Raum. "Oh", staunte ein Junge, "aus unserem Opa sind zwei Opas geworden. Welcher ist der unsere?"
"Da ist er, siehst du es nicht?" Das kleine Mädchen lief zu ihrem Opa, drückte ihre Wange an sein Bein und platzte, indem sie an seinem Bart zupfte, heraus: "Opa, Opa, ich wollte dir zeigen, wie ich tanzen kann, und meine Brüder sind mir hinterhergelaufen. Einer will mit dir malen. Und der andere will, dass du ihm auf der Flöte und auf der Pfeife vorspielst. Ich war die erste, die zu dir wollte. Schicke die beiden fort!"

"Stimmt nicht", mischte sich einer der beiden Jungen ein, der mit einem Brett und einem Stück Kreide in der Türe stand, "ich war der erste, der zu dir wollte, Opa! Mein Bruder wollte dann auch mit."
Das kleine Mädchen schien dem Weinen nah, ihr Blick bat beide Opas um Hilfe. Der jüngere Opa sprang auf, nahm die Flöte aus der Hand seines Enkel und sagte, ohne großartig zu überlegen: "Ist das ein Anlass zu streiten? Wartet mal, ich sag euch etwas. Ich werde auf der Flöte spielen. Du, meine Liebe, wirst dabei tanzen und du, mein Musikus, versuch munter mit zu pfeifen. Ach, unser Maler! Ja, das ist doch gut! Male du mit deiner Kreide das auf, was ich jetzt spielen werde. Und den Tanz deiner Schwester, den male auch auf."
Der Opa begann zu spielen und seine Enkel beteiligten sich voller Freude.

Als das lustige Treiben zu Ende war, richtete sich der grauhaarige Weise auf und sprach zu seinem Bruder:
"Mein lieber Bruder, bitte bringe mir das alte Werkzeug unseres Vaters."
Dem Werkzeug entnahm er dann einen Hammer und einen Meißel. "Ich werde jetzt gehen und nicht wiederkommen. Halte mich bitte nicht auf und warte nicht auf mich." Mit diesen Worten verließ er das Haus und ging bis zu der Ortsgrenze. Dort, am Rande des Weges, lag noch immer der große Findling, an dem seine lange Reise einst begonnen hatte. Einen Tag und eine Nacht blieb der alte Weise am Findling sitzen. Am darauffolgenden Morgen lasen seine Schüler die von ihm in den Stein eingemeißelte Inschrift:

"WAS DU SUCHST, WANDERER, IST STETS IN DIR,
FÜRCHTE ES UNTERWEGS ZU VERLIEREN!"




zitiert aus: Wladimir Megre, ANASTASIA Band 4 oder 5, Silberschnur oder Govinda oder Wega Verlag​
 
ZWEI BRÜDER (eine Parabel)

"Es lebte einst ein Ehepaar, das lange kinderlos blieb. Erst im höheren Alter wurde die Frau schwanger. Sie gebar Zwillingsbrüder und starb kurz nach der schweren Geburt. Der Mann stellte Ammen an und versuchte, so gut er es konnte, seine Söhne zu versorgen. Als die beiden vierzehn Jahre alt wurden, verließ auch ihr Vater diese Welt. In großer Trauer saßen die Söhne im leer gewordenen Haus. Der eine von ihnen galt in der Familie als älterer Bruder, denn er war um drei Minuten vor seinem Zwillingsbruder geboren worden. Er brach als erster das Schweigen: "Im Sterben war unser Vater darüber besorgt, dass er uns nicht mehr die Weisheit unserer Ahnen hatte lehren können. Ohne Weisheit, so meinte er, werden wir und auch unsere Kinder von den anderen verachtet leben müssen, wenn sich nicht einer von uns aufmacht, die Weisheit zu suchen."
"Ich bin bereit mich darauf einzulassen', antwortete der jüngere Bruder. Aber wenn du meine Meinung hören magst, dann sage ich dir: Ich lebe auch ohne Weisheit glücklich und freue mich über jeden Tag. Dich sehe ich oft in Gedanken versunken. Deshalb schlage ich dir vor, lass mich für uns und das Haus sorgen. Du aber sinne ungestört nach und suche die Weisheit unserer Ahnen."

"Nur glaube ich nicht", sprach der ältere Bruder, "dass ich die Weisheit, die mir nicht gegeben wurde, in mir finde. Ich werde mich auf den Weg in die Welt hinaus machen und die Weisheit in allen Ländern suchen müssen. Finde ich sie, so bringe ich sie in unser Haus zurück, für dich, für mich und für unsere Kinder, die es ihren Kindern über Jahrhunderte weiterreichen werden."

"Du hast einen langen Weg vor dir, Bruder", sagte der Jüngere, "so nimm unser Ross, unseren Wagen und alles, was du für deine Reise brauchst. Möge sie dir gelingen. Ich aber werde in unserem Haus auf dich warten."
Über sechzig Jahre vergingen, das Haar des älteren Bruders wurde grau. Gepilgert von einem Weisen zum anderen, von einem Tempel zum anderen, war er im Norden und Süden, im Osten und Westen dieser Welt. Mittlerweile wurde er als der Weiseste unter den Weisen verehrt, viele Schüler folgten ihm auf seinen Wegen, sein Ruhm ging ihm überall voraus. So kehrte er, der Hochverehrte, zu seinem jüngeren Bruder heim.

Alle Menschen aus der Siedlung liefen ihm entgegen, allen voran sein eigener Bruder. Er verneigte sich vor dem Weisen und sprach in großer Freude: "So segne mich und lass dich begrüßen, mein weiser Bruder! Lass mich deine müden Füße waschen. Lass dich in unserem Haus nieder und erhole dich nach deiner langen Reise." Der Weise ließ seine Schüler auf einem Hügel vor seiner Ortschaft rasten und die ihnen dargebrachten Gaben genießen. Er selbst folgte seinem jüngeren Bruder und betrat sein Haus. Während der Fußwaschung sprach der grauhaarige Weise: "Bruder, ich habe mein Vorhaben erfüllt. Die großen Lehren habe ich studiert, aus ihnen kommt meine Weisheit, sie lehre ich alle Menschen. Doch ich habe mein Wort an dich nicht vergessen. Ich kam für einen Tag, um dir und deinen Kindern das Wichtigste weiterzugehen."

Und während sein jüngerer Bruder ihm die Füße mit einem verzierten Tuch trocknete, sprach der Weise: "Das Erste: Alle Menschen sind für das Leben in einem blühenden Garten geboren." Während sein jüngerer Bruder ihm Früchte aus dem eigenen Garten anbot, kostete der Weise davon und sprach nachdenklich: "Jeder Mensch sollte in seinem Leben einen Baum gepflanzt haben, der seinen Nachkommen eine gute Erinnerung an ihn und eine reine Luft zum Atmen schenken wird."

"Verzeih mir, mein weiser Bruder, ich habe vergessen das Fenster zu öffnen, damit du frische Luft bekommst. Schau, siehst du diese beiden Zedern dort? Ich pflanzte sie in dem Jahr, in dem du von hier fortgingst. Für die eine Zeder grub ich das Loch mit meinem Spaten aus, für die zweite benutzte ich deinen kleinen Spaten, mit dem du als Kind gespielt hattest."
Der Weise betrachtete die Bäume und antwortete: "Die Liebe ist das größte Gefühl, dessen wir fähig sind. Nicht jeder Mensch erfährt es in seinem Leben. Die Weisheit des Lebens besteht jedoch darin, die Liebe beharrlich zu suchen."

"Vor deiner Weisheit, oh mein Bruder, gerate ich in Verwirrung. Verzeih mir, ich habe ganz vergessen, dir meine Frau vorzustellen. He, meine Liebe, meine Alte, wo bleibst du denn?"
"Da bin ich", erklang eine muntere Stimme, und ins Zimmer trat die Alte mit den frischen Speisen auf einem Tablett. Sie machte vor den beiden Männern einen lustigen Knicks und flüsterte ihrem Mann zu, jedoch so laut, dass ihr Gast auch mithören konnte: "Verzeih, mein Lieber, ich muss mich hinlegen!"
"Jetzt doch nicht, während solch ein Gast, mein Bruder, da ist."
"Es ist mir so schwindlig, so komisch zumute, als wäre bald..."
"Na was denn?"
"Als wäre ich bald wieder schwanger von dir...", prustete die Alte und rannte lachend aus dem Zimmer.
"Verzeih ihr", sagte derjüngere Bruder beschämt, "sie versteht die Weisheit nicht zu schätzen, sie war immer schon so laut und lustig."

Der Weise wurde immer nachdenklicher. Kinderstimmen brachten ihn aus seinem Schweigen. "Die große Weisheit ist die Kunst, Kinder zu glücklichen und gerechten Menschen zu erziehen", sagte er weiter. "Ja, erzähl doch bitte darüber", bat ihn der jüngere Bruder, "ich will auch sehr, dass meine Kinder, meine Enkel glücklich werden."

Indessen betraten seine Enkel, zwei Jungen um die sechs Jahre und ein vierjähriges Mädchen, unter lautem Streit den Raum. "Oh", staunte ein Junge, "aus unserem Opa sind zwei Opas geworden. Welcher ist der unsere?"
"Da ist er, siehst du es nicht?" Das kleine Mädchen lief zu ihrem Opa, drückte ihre Wange an sein Bein und platzte, indem sie an seinem Bart zupfte, heraus: "Opa, Opa, ich wollte dir zeigen, wie ich tanzen kann, und meine Brüder sind mir hinterhergelaufen. Einer will mit dir malen. Und der andere will, dass du ihm auf der Flöte und auf der Pfeife vorspielst. Ich war die erste, die zu dir wollte. Schicke die beiden fort!"

"Stimmt nicht", mischte sich einer der beiden Jungen ein, der mit einem Brett und einem Stück Kreide in der Türe stand, "ich war der erste, der zu dir wollte, Opa! Mein Bruder wollte dann auch mit."
Das kleine Mädchen schien dem Weinen nah, ihr Blick bat beide Opas um Hilfe. Der jüngere Opa sprang auf, nahm die Flöte aus der Hand seines Enkel und sagte, ohne großartig zu überlegen: "Ist das ein Anlass zu streiten? Wartet mal, ich sag euch etwas. Ich werde auf der Flöte spielen. Du, meine Liebe, wirst dabei tanzen und du, mein Musikus, versuch munter mit zu pfeifen. Ach, unser Maler! Ja, das ist doch gut! Male du mit deiner Kreide das auf, was ich jetzt spielen werde. Und den Tanz deiner Schwester, den male auch auf."
Der Opa begann zu spielen und seine Enkel beteiligten sich voller Freude.

Als das lustige Treiben zu Ende war, richtete sich der grauhaarige Weise auf und sprach zu seinem Bruder:
"Mein lieber Bruder, bitte bringe mir das alte Werkzeug unseres Vaters."
Dem Werkzeug entnahm er dann einen Hammer und einen Meißel. "Ich werde jetzt gehen und nicht wiederkommen. Halte mich bitte nicht auf und warte nicht auf mich." Mit diesen Worten verließ er das Haus und ging bis zu der Ortsgrenze. Dort, am Rande des Weges, lag noch immer der große Findling, an dem seine lange Reise einst begonnen hatte. Einen Tag und eine Nacht blieb der alte Weise am Findling sitzen. Am darauffolgenden Morgen lasen seine Schüler die von ihm in den Stein eingemeißelte Inschrift:

"WAS DU SUCHST, WANDERER, IST STETS IN DIR,
FÜRCHTE ES UNTERWEGS ZU VERLIEREN!"




zitiert aus: Wladimir Megre, ANASTASIA Band 4 oder 5, Silberschnur oder Govinda oder Wega Verlag​

:thumbup::)ja, gefällt mir !
 
Der Trinker

Einer der Pilger war ein Trinker. Als er, nachdem er neun Meilen von der Stadt her hinaufgekommen war, ankam, war die Schlange eine Meile lang. Er hatte die Situation nicht begriffen und sicherlich deshalb nicht genug Alkohol mitgebracht, den er brauchte, bis er den heiligen Mann zu Gesicht bekam. Er stellte die Flache hin, die er mitgebracht hatte und die halb leer war, und fragte die Frau vor ihm, ob sie seinen Platz in der Schlange freihalten würde, er habe in der Stadt etwas vergessen.
„Nein, wir können keine Plätze freihalten. Das wäre nicht fair. Keiner würde wissen, wie weit zurück in der Schlange er ist, wenn es vor ihnen eine Menge unbekannter, freigehaltener Plätze gäbe. Wenn die Leute kämen, um sie aufzufüllen, würden wir zurückfallen statt vorwärtskommen.“
Der Trinker sah benebelt aus.
„Verstehst Du das?“ fragte sie ihn.
Er runzelte die Stirn, überlegte und erfasste vage den Sinn, doch das hielt ihn nicht davon ab, andere Ankommende zu fragen, ob sie ihm seinen Platz in der Schlange freihalten würden. Er war ein charmanter junger Mann, doch egal, wie sehr er auch schmeichelte und schwatzte, keiner war dazu bereit.
Die Regeln der Schlange hießen: kein Freihalten (außer wenn man einem natürlichen Bedürfnis nachgehen musste; zu diesem Zweck waren auf mehr als einer Meile links und rechts Schaufeln verfügbar), keine Bestechung und natürlich keine Chance, sich hineinzudrängen.
Er nippte nur noch an seiner Flasche und versuchte, dadurch länger etwas von ihr zu haben.
Die Frau vor ihm sagte freundlich: „Irgendwann wird sich die Schlange für den Tag auflösen, und die Leute werden ihr Lager für die Nacht aufschlagen. Dann könntest Du hinunter in die Stadt gehen und rechtzeitig zurück sein, um Deinen Platz einzunehmen, wenn sich am Morgen die Schlange wieder aufstellt.“
„Du meinst, ich werde den heiligen Mann heute gar nicht sehen?“
Sie lachte: „Siehst Du nicht, wie lange die Schlange ist?“
Er sah nach vorne: „Nun ja, sie sieht ziemlich lang aus, aber....“
„Es ist nicht wie bei einem Kino, wo man plötzlich um sieben oder neun Uhr hineingehen kann. Er sieht uns, jeden einzelnen, irgendwann am Tag. Er hat noch anderes zu tun.“
„Hmmmm.“ Er beobachtete die Schlange, die sich um diese Zeit zentimeterweise vorwärts bewegte. „Es sieht so aus, als ob ich ihn auch morgen nicht zu Gesicht bekommen würde.“
Die Frau lachte wieder.
Wenn die Schlange abbricht, dacht er, werde ich in die Stadt zurückeilen und genug Alkohol für zwei oder sogar drei Tage mitbringen. Das wird eine ganz schön schwere Last sein. Warum kann ich nicht nach etwas Leichterem süchtig sein, zum Beispiel irgendein Pulver oder Tabletten? Es ist eine Schande. Das Leben ist sehr schwer. Ausserdem sprechen wir hier von achtzehn Meilen.
Um vier Uhr brach die Schlange auseinander, und er drehte sich um und eilte in die Stadt hinunter, wo er um viertel nach sechs ankam; er hatte so wenig Zeit gebraucht, dass er vor der Dunkelheit zurück sein könnte, was nicht vor zehn Uhr der Fall sein würde.
Er ging in eine Bar, trank ein paar Gläser und beschloß, in dieser Nacht nicht mehr zu versuchen, zurückzugehen; er würde am Morgen wieder hinaufsteigen. Das würde heißen, dass er dann wieder hinten in der Schlange stände, aber na und?
Am Morgen erwachte er, und neben den üblichen pochenden Kopfschmerzen brachten ihn auch noch seine Gliedmaßen schier um. Er erinnerte sich an seinen Hals-über-Kopf-Lauf den Berg hinunter. Er konnte kaum gehen. Er wartete, bis der Getränkeladen öffnete, kaufte drei Flaschen und begann den langen Aufstieg um halb zehn. Er brauchte sechs Stunden, denn der Weg war steil, ausserdem taten ihm seine Beine weh, und er trank unterwegs und stolperte und rutschte auf den letzten drei Meilen oft zurück.
Jetzt war er viel weiter hinten in der Schlange. Er erkannte dies daran, dass die Frau, mit der er gestern geredet hatte, so unglaublich viel weiter vor ihm war. Die Schlange löste siich auf, eine halbe Stunde nachdem er gekommen war und während alle ihr Lager für die Nacht aufschlugen, setzte er sich hin und trank.
Am nächsten Tag war zu beiden Seiten des Trinkers viel Platz, weil er so furchtbar roch. Sein Charme hatte ihn verlassen. Er gab muhende, grummelnde und gackernde Geräusche von sich, anstatt Worte aneinander zu reihen. Er war ein trauriger Fall. Schlimm für die Leute in seiner Nähe, doch sie dachten, er würde es nicht lange aushalten.
Tatsächlich hatte er nach zwei Tagen wieder keinen Stoff mehr, und es dämmerte ihm, dass er wieder in der Nacht nach unten laufen müßte. Er war nüchtern genug, um zu erkennen, dass, wenn er jemals den heiligen Mann sehen wollte, er gehen und sofort wieder zurückkheren mußte. Kein Herumlungern in den Bars der Stadt. Keine Nacht im Gasthaus. Er sollte besser auch etwas zu Essen mitbringen. Er hatte sich etwas zum Essen zusammengschnorrt, doch das war den Pilgern gegenüber nicht fair, die mit ihren Vorräten auskommen mussten.

Das Glück war mit ihm, denn die Schlange löste sich an diesem Tag früher auf. Er markierte seinen Platz mit einem schmutzigen Taschentuch, drehte sich um und hastete den Berg hinunter. Er erkannte, dass er unter Druck stand, noch vor der Dunkelheit zurück zu sein, und das schaffte er nicht. Doch der letzte Kilometer wurde von einem schmalen Mond derleuchtet, den ein absurder Schwarm von Sternen begleitete, und da er keine Zeit gehabt hatte zu trinken, war er nicht in Gefahr, vom Weg bazukommen oder ernsthaft hinzufallen.
Als er ankam, legte er sich auf seine neue Decke, zu müde zum Trinken, und fiel in einen langen, süßen Schlaf. Zwei Tage später hatte er wieder keinen Stoff mehr. Da er Vorräte, Kleidung und eine Decke gekauft hatte, hatte er in seinem Rucksack nicht mehr Platz gehabt als für eine Flasche, doch war er damit zwei Tage und Nächte ausgekommen. Er begann zu erkennen, dass dieser Besuch beim heiligen Mann etwas mehr Zeit beanspruchte, als ihm zunächst klargewesen war. Doch nun, da er wußte, dass er in die Stadt und zurück gehen konnte, empfand er keine Sorge mehr. Mehr noch: Er begann die Gesellschaft seiner Gefährten zu geniessen, obwohl keiner von ihnen mittrank, deshalb bot er, als er wieder hinunterlief, an, für seine neunen Freunde alles nötige mitzubringen.
Einen Monat später, als sich die Türe der Einsiedelei vor ihm öffnete, sah der heilige Mann einen muskelbepackten Mann mit fröhlichem Strahlen in den klaren Augen und einem breiten Lächeln von einem Ohr zum anderen.

“O Heilger!!“ sagte er. „Ichbin so glücklich!“
Er fiel auf die Knie und küßte den Saum des weizenfarbenen Gewandes, das der heilige Mann trug.
„Nun, nun“, erwiderte der heilige Mann, „laß das nur. Steh auf und erzähl mir, was los ist.“
Er erzählte seine Geschichte von Anfang an in einem Schwall von Worten, genauso schnell wie er den Berg hinuntergegangen war, weil er nicht zuviel von der Zeit des heiligen Mannes in Anspruch nehmen wollte.
“....und bevor es mir bewußt wurde, ging ich alle paar Tage in die Stadt, um Dinge für die Leute zu holen, die sie brauchten, aber ich kaufte überhaupt keinen Stoff mehr! Und so kam es, dass ich die Entfernung immer schneller zurücklegen konnte. Du kannst Dir nicht vorstellen, was für eine Masse aus zitterndem Pudding ich war, als ich das erste Mal den Berg hinunterging. Es ist unglaublich! Jetzt kann ich in einer Stunde hinuntergehen und in zwei hinauf! Das muß ein Rekord sein, nicht wahr?“
Der heilige Mann lächelte. Es war fast so schnell wie bei seinen Mönchen und ihm, um ehrlich zu sein, so schnell, wie er es noch vor einem oder zwei Jahren geschafft hatte.
„Diese Schlange ist das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist.“
„Das freut mich für Dich. Was willst Du jetzt tun?“
„Nun ... ich möchte Dinge für andere tun. Glaubst Du, ich könnte irgendwo helfen?“
„Fast überall.“
Inzwischen waren sie an der Hintertür angelangt.
„Gibt es etwas, was Du mich fragen möchtest?“
„Ich kam ursprünglich, weil ich so viele Fragen hatte, aber jetzt habe ich sie alle vergessen.“
„Dann auf Wiedersehen und gute Reise!“
„Auf Wiedersehen und von ganzem Herzen Danke!“
„Ich habe nichts getan.“ sagte der heilige Mann.

*

Was von uns so genannte oder selbsternannte Heilige sagen, zu sagen haben, ist meist völlig unwichtig. Das Leben aber, das wir leben, um zu ihnen zu gelangen, lehrt uns viel mehr und meistens genau das, was wir brauchen. Wir sind dann so erstaunt über die Weisheit des Lebens und die in uns selbst bereits vorhandene Weisheit, dass wir wahrnehmen könnten, dass die Heiligen auch nur ganz normale Menschen sind. Mich hat das Leben das nicht in einem Monat gelehrt, sondern in etwa 10 Jahren und ich bin dem Leben sehr dankbar dafür. Und den Heiligen auch. Und noch etwas: das Leben geht sogar noch weiter. :D

* Zitat aus:Susann Trott, Der heilige Mann vom Berge,Knaur, ISBN 3 426 820 98 6
 
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Der Harmonika-Lipp

Eine wahre Weihnachtsgeschichte


Die nachfolgende Begebenheit handelt von einem echten Spuk-Erlebnis, welches ein älteres Ehepaar aus Kärnten berichtete. Im dortigen Sprachgebrauch ist das Wort 'Keusche' üblich. Darunter versteht man ein einfaches Haus oder Häuschen.

Der Mann wuchs in einem kleinen Landstädtchen auf. Etwa zwei Wegstunden davon entfernt war ein Dorf. Man bekam dort zur Zeit der Obstreife einen ausgezeichneten Most. Deshalb waren seine Eltern oft mit ihm dorthin gepilgert. Er erzählt:

„Das Dorf war nicht klein, weit zerstreut lagen die Häuser und Keuschen. Unweit der waldbestandenen Landstrasse, schon nahe der dichteren Siedlung, stand eine Ruine, genannt die Schusterkeusche. Nur die geborstenen Grundmauern ragten noch empor, die Tür- und Fensteröffnungen waren eben noch zu erkennen. Meterhoch wuchsen rundherum Gras und Nesseln, Schlingpflanzen bedeckten Steine und Ziegel.

Etwas unsagbar Düsteres ging von diesem zerfallenden Mauerwerk aus. Die Mutter nahm mich stets fester bei der Hand und führte mich raschen Schrittes an dieser Ruine vorbei, wenn es schon dämmerte oder gar die Nacht herabsank.

Nach Möglichkeit mied man nachts diesen Weg. Man erzählte sich nämlich, dass zuweilen - Schlag Mitternacht - die Schusterkeusche erleuchtet sei und dann töne ganz deutlich Harmonikaspiel heraus. Das sei dann immer ein Vorzeichen dafür, dass im Dorf bald jemand sterben würde.“

Der Erzähler erfuhr diese Dinge nicht von seinen Eltern. Die liebten solche Gespräche nicht. Aber „es ging im Dorf herum“ und weckte bei ihm brennendes Interesse, Näheres zu erfahren. Von einer alten, gebeugten Näherin, die bei den Leuten Flickarbeiten erledigt, erfuhr er schliesslich folgendes:

„Manchmal“, so sagte die alte Aga (so wurde sie genannt), „wird ein Mensch schon bei der Geburt heimgesucht. Was für ein Glück ist es doch, wenn einem der Herrgott gerade Glieder gegeben hat. - In der Schusterkeusche“, so fuhr sie fort, „lebte zuletzt ein Ehepaar, dem viele Jahre hindurch ein Kind versagt blieb. Endlich war es doch so weit, ein Bub kam zur Welt. Aber es war eine Missgeburt: Der Kopf zu gross, die Arme zu lang, die Beine verkrüppelt.

Ein bisschen wuchs sich der arme Lipp - man hatte ihn Philipp getauft - noch zurecht. Der Kopf wurde fast normal, die Arme passten sich dem aufwachsenden Körper an, aber die Beine! Sie schlotterten immer einwärts; auch ein längerer Spitalaufenthalt vermochte nichts zu ändern.“
Der Lipp war nicht dumm. Er hätte einen besseren Beruf ergreifen können, wenn seine Eltern das Geld dazu gehabt hätten. Das Erstaunliche an ihm war, dass er wunderschön singen und pfeifen konnte.

Lernen musste er schliesslich etwas, und so nahm ihn der Flickschuster des Dorfes in die Lehre. Zumal man beim Schustern sitzen kann. Und weil er so schön sang, wurde er in den Kirchenchor aufgenommen. Manch einer, der unten in der Kirchenbank sass, wischte sich die Augen, wenn er daran dachte, wer es war, der zur Ehre Gottes wie ein Engel sang.

Die Eltern vom Lipp starben. Er blieb allein. Im Dorf war er sehr beliebt, und zu Weihnachten gab es für ihn, mit den anderen Armen der Gemeinde, kleine Geschenke. Wieder einmal nahte die Weihnachtszeit. Der Ortsvorsteher liess sich vom Lipp ein Paar Schuhe reparieren und fragte leutselig, was Lipp sich heuer zu Weihnachten wünsche. Es dürfe durchaus etwas Besonderes sein, als Dank für das schöne Chorsingen.

- Da legte Lipp sein Werkzeug hin, faltete bittend die Hände und sagte treuherzig, wenn er wirklich um etwas bitten dürfe, dann bitte er ... um eine Ziehharmonika! (Akkordeon) Dem Vorsteher blieb der Mund offen: Was, so etwas Teures?! Er hatte gemeint, der Lipp würde sich eine warme Weste oder dicke Strümpfe wünschen. Verstimmt ging er weg und erzählte - halb erbost, halb lachend - während der nächsten Gemeinderatssitzung von Lipps Wunsch.

Der Inhaber eines Kaufladens aber zog nachher den Pfarrer und. den Gemeindevorsteher beiseite: Er wolle versuchen, eine gebrauchte Harmonika zu beschaffen. Der arme Lipp sei doch so ein braver Bursch, und so übel dran mit seinem unverschuldeten Gebrechen...

Am Weihnachtsabend erfolgte, wie alljährlich, eine Bescherung für die Armen. Auch der Lipp bekam ein Paket mit Äpfeln, Nüssen, Klezenbrot und einem Paar warmen Strümpfen. Der Pfarrer war da, der Dorfvorsteher und jener Kaufmann. Schon wollte sich der Lipp mit einem leisen „Dankeschön“ auf seinen Watschelbeinen davonmachen, als ihn der Kaufmann beim Ärmel nahm: „Schau Lipp, da ist noch was für dich!“

Unterm Lichterbaum lag ein Kasten. Der Pfarrer machte ihn auf. Der Lipp konnte nicht schnell genug alles weglegen, was er in den Händen hielt, stürzte fast über seine armen Beine, eilte hin, sah mit Augen, aus denen Tränen flossen, bald den einen, bald den andern an, zog die Harmonika heraus, küsste sie, drückte sie an seine Brust - kurz: er geriet in einen wahren Freudentaumel! Wie sollte er danken?

Die Herren hatten sich, selber die Augen nass, leise davongemacht. Lipp jedoch war im Himmel! Er hatte eine Harmonika! Von da an hörte man den Lipp im Schusterhäusl täglich üben. Bald schon beherrschte er das Instrument. Nun spielte er auf, wann und wo immer man wollte. Oft stand er vor der Kirche, selbst bei Schnee oder Regen, wenn ein armes Paar heiratete, das sich keine Orgelmusik leisten konnte (!).

Die Flickschusterei hatte er aufgegeben, nur seiner Harmonika lebte er noch; sie war sein Ein und Alles. Bei einer Tanzerei zur Winterszeit muss er sich eine Grippe geholt haben. Er legte sich nieder, „für ein paar Tage“, wie er meinte, „dann spiele ich euch wieder auf.“ Neben sich am Bett hatte er seine Harmonika stehen. So fand ihn eine Nachbarin, die ihn ein wenig betreute. Er lag schon lange steif und tot, die Finger fest um die Lederschlaufe seiner Harmonika gekrallt ...

„Nicht lange darauf“, so erzählte die alte Näherin weiter, „wurde getuschelt, im Schusterhaus geistere es. Um Mitternacht brenne Licht, und man höre den Lipp Harmonika spielen. Ich selber hab's gehört und gesehen, und jedesmal ist jemand in der Gemeinde gestorben. Der Lipp hat eine schier sündhafte Liebe zu seiner Harmonika gehabt; das darf man auch nicht, sein Herz so stark an etwas Irdisches hängen.“

Der Erzähler dieser Begebenheit hätte nun gern einmal selber das Licht in der Schusterkeusche gesehen und die gespenstische Musik des Lipp vernommen. „Allein hinzugehen in tiefer Nacht, fürchtete ich mich. Und ich hatte niemanden, den ich ins Vertrauen ziehen konnte.“

Jahre vergingen. Der alte Pfarrer war gestorben, und ein neuer junger Geistlicher kam, mit dem sich unser Berichterstatter rasch anfreundete. „Einmal, als wir zu später Stunde beisammen sassen, kam mir der Geisterspuk um das Schusterhaus in den Sinn, und ich erzählte dem Priester die Einzelheiten. Er war ein lebhafter, aufgeschlossener Mensch. Entgegen vielen anderen seines Standes glaubte er an die Möglichkeit von Geistererscheinungen.

Nur meinte er im Falle des Lipp, es müsse durchaus keine sündige Liebe zu einem irdischen Gegenstand - der Harmonika - die Ursache seiner Ruhelosigkeit nach dem Körpertod sein. Der Lipp sei doch ein guter, dankbarer Mensch gewesen. Vielleicht wolle er sich - auch noch nach seinem Hinübergang - dankbar erweisen, indem er die Mitmenschen seiner Gemeinde vor einem unvorbereiteten Sterben bewahren möchte und sie rechtzeitig warnt.“

Der junge Priester äusserte den Wunsch, der Sache auf den Grund zu gehen. Er wolle in den folgenden Nächten zum Schusterhäusl gehen, natürlich ohne jegliches Aufsehen. Wenn er (unser Berichterstatter) wolle, könne er mitkommen.

Es war Sommer und Ferienzeit. Immer wieder stiegen die beiden zur Ruine des Schusterhauses hinauf und standen die ganze Mitternachtsstunde davor. Nichts geschah. Meistens gingen sie schweigend wieder zurück, um am nächsten Abend den Gang zu wiederholen.

„Schon hatten wir jede Hoffnung auf das Erleben des Spuks aufgegeben. Die Ferien neigten sich dem Ende zu. In einer Vollmondnacht stiegen wir wieder die wie ein weisses Band dahinziehende Strasse hinan. Da ergriff der Pfarrer meinen Arm: 'Dort, schau hin, es brennt Licht im Schusterhaus!' - Ich blieb stehen, starrte hin; kein Zweifel, ein trübgelber Lichtschein fiel in einem breiten Kegel auf die Wiese vor dem zusammengefallenen Gemäuer!

Ein Schauer ging mir über den Rücken. Am liebsten hätte ich kehrt gemacht und wäre geflohen. Aber mein Begleiter lockerte seinen Griff nicht und zog mich vorwärts. Wir gingen über die Wiese, und da, horch: deutlich langgezogene wehmütige Töne einer Ziehharmonika!

Dann standen wir am Ort der Ruine. Aber es war keine Ruine da! Mit meinen eigenen Augen habe ich es gesehen: es war eine Bauernkeusche mit niedrigem strohbedecktem Dach und kleinen vergitterten Fenstern!
Aus einem der Fenster fiel das trübe Licht einer schlecht brennenden Petroleumlampe heraus und erklang diese wehmütige Weise.

Wir wollten noch näher, heftig riss mich der Geistliche vorwärts. Doch eigenartigerweise kamen wir trotz aller Anstrengungen nicht voran. Wir stolperten über Steine und Gebüsch, verfingen uns in Brennesseln, Dornenranken schlugen uns ins Gesicht.

Da blieb der Pfarrer stehen, atmete tief ein, zog ein Kruzifix hervor, machte das Zeichen des Kreuzes in die Richtung des Lichtes und der Töne, und rief mit kräftiger Stimme: 'Lipp! Im Namen des Ewigen! Geh' ein in den himmlischen Frieden. Wir wissen, dass du es gut meinst. Aber lass' es jetzt sein, jetzt und in der Stunde des Sterbens, Amen!'

Sachte begann das Licht zu verlöschen, Das Harmonikaspiel hörte auf, fing aber ganz leise wieder an. Angestrengt lauschten die beiden. ‚Er ist ein guter Geist', sagte der Priester nach einer Weile, während ihm Tränen über die Wangen rollten. ‚Was er jetzt spielt, ist die schöne Hymne von Beethoven: Die Ehre Gottes'.

So allmählich, wie das Licht erloschen war, verklang auch die Musik, und nur das Sausen des Windes in den Baumkronen des nahen Waldes war noch zu vernehmen. Vom Kirchturm drunten im Dorf erklangen zwei Glockenschläge.

‚Halb eins', sagte der Pfarrer.“ Tief erschüttert schritten die beiden talwärts. Nach einer Weile sprach der Geistliche: "Ich bin sicher, im Schusterhäusl wird's nicht mehr spuken". Er hat recht behalten: Niemals mehr wurde dort im alten Gemäuer Licht wahrgenommen, niemals wieder erklang von dort die Harmonika ...

Noch in der gleichen Nacht musste der Priester den Versehgang zu einem sterbenden alten Bauern antreten. Ihm also hatte der letzte Liebesdienst des Harmonika-Lipp gegolten. Von da an jedoch gab es keine solchen Vorwarnungen mehr.

LG
 
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