Liebe Tina,
irgendwann fiel es plötzlich um, das kleine Boot, und ich landete im kalten Wasser,
und nirgends schien Halt zu sein, keine Hand, die mich festhalten konnte,
und es wurde dunkel, und die Wellen schlugen über mir zusammen, und der Sturm heulte.
Mein kleines Ego zitterte fürchterlich, und sah das Ende sehr nah kommen,
es wollte wieder zurück in das gewohnte kleine Boot, weil es nichts anderes kannte,
weil sich ein Ego immer an dem festhält, was es bisher hatte und behalten will.
Die Wellen warfen mich hin und her, ich hatte keine Ahnung, wo ich war,
doch ich war immernoch da.
Und die Dunkelheit wiech, das Wasser wurde ruhiger, und ich war immernoch da.
Und die Sonne erhob sich blutrot leuchtend über dem Horizont, ein Kormoran flog über mir,
und plötzlich waren mehrere Delphine an meiner Seite.
Sie waren vergnügt, verspielt, kamen immer nah an mich heran, und ich spürte,
dass sie mich mitnehmen wollten.
So hielt ich mich einfach an einem Delphin fest, und gemeinsam schwammen wir durchs Meer.
Bald war ein grüner Streifen am Horizont zu sehen, der breiter und breiter wurde,
sie hatten mich zur Küste eines mir unbekannten Landes gebracht.
Ich bedankte mich, und ging durch das seichte Wasser an Land.
Dort traf ich bald fröhliche, liebevolle Menschen, die mich mit allem versorgten,
was ich brauchte, ohne nach dem wieso und weshalb zu fragen.
Sie hatten alles in Fülle, doch sie lebten in Einklang mit der Natur, sie nahmen sich selbst
von allem immer nur soviel, wie sie wirklich für sich brauchten.
Sie lebten sehr einfach, doch ihre Herzen waren voll von Freude, von Liebe,
und Verbundenheit.
Irgendwann fragte ich, ob sie vielleicht ein kleines Boot für mich hätten, und sie lachten.
Sie zeigten mir eine abgelegene, ruhige Bucht, und dort lagen eine ganze Reihe von
kleinen alten Booten, die aber schon lange niemand mehr zu benutzen schien.
Und ich verstand, warum. Niemand führ hier allein mit einem kleinen Boot.
Und ich fragte sie, ob sie nicht manchmal Lust hätten, zu anderen Ufern zu reisen.
Und sie lachten wieder, und sie setzten sich alle in einem großen Kreis auf den Boden,
und sie sangen gemeinsam ein wunderschönes Lied, direkt aus ihren Herzen heraus.
Der Klang des Liedes vermischte sich mit dem Wind, und mit den weißen Wolken,
und mit dem Rauschen der Wellen, und den Strahlen der Sonne, und es wuchs daraus
ein leuchtender, kräftiger Regenbogen.
Zwei von ihnen erhoben sich, namen mich an die Hand, und wir gingen gemeinsam hoch
auf den Regenbogen, immer höher, weit über das Meer.
Als wir ganz oben waren, sah ich am anderen Ende des Regenbogens die Küste,
von der ich gekommen war, und sie fragten mich, ob ich dorthin gehen wollte.
Ich konnte mich nicht entscheiden, denn es gefiehl mir dort sehr, aber ich wollte
auch mal wieder in die Heimat.
Sie verstanden meine Gefühle, uns sie sagten mir, dass ich jederzeit zu ihnen kommen kann,
ich brauche nur den nächsten Regenbogen zu nehmen, oder die Delphine zu rufen,
und es gibt auch noch mehr Wege.
So bin ich erstmal wieder hier, doch irgendwie mag ich keine kleinen Boote mehr.
Doch es ist etwas geblieben, ein Gefühl, direkt in meinem Herzen.
Was mag das sein?
Ales Liebe,
Diddi