Eine Vollmondnacht
Meine Frau und ich waren in der Nacht des 29. unterwegs. Wir besuchten im Vollmondlicht eine einsame Kapelle, die auf einer Höhe mit einer faszinierenden Weitsicht steht. Rundherum sind saftige Wiesen und weiter unten befinden sich mehrere Täler. Der Mond befand sich noch verdeckt gerade oberhalb des Horizonts hinter einer scharf umrissenen, horizontal ausgerichteten Wolke. Da schoss der Mond schon über die Wolke in einer Schnelligkeit hinweg, wie man es eigentlich nicht glauben kann. Er wuchs und wuchs, bis sein Gesicht, das unserer Beobachtung nach nicht immer als Solches zu erkennen ist, komplett aufgetaucht war. Es begann mit seinen Augen zu zwinkern, indem dunkle, in sich bewegliche Schatten im ständigen Wechselspiel das eine Auge umspielten und dann zum anderen übergingen. Sein Mund war zu einem Schmoll- oder Kussmund geformt. Nach etwa fünf Minuten hörten die Phänomene auf, der Mond nahm sein übliches Bild ein. Es schien mir so, als ob er sich für die mystische Bescheinung der Nacht und ihr Eintauchen in sein silberweißes Licht zurechtmachte es war wohl seine Morgentoilette.
Langsam ballte sich der Nebel in den Tälern wie zu einem unwirklich weiß leuchtenden Band zusammen. Ein Wind blies ihn über die Höhe in Richtung Mond, der so einen farbigen Strahlenkranz bekam. Wir bemerkten den wundersamen Geruch des Nebels. Meine Frau meinte, er würde seltsam nussig riechen.
Stille blieben wir im vorbeiziehenden Nebel und betrachteten seine Schönheit. Nach einer Weile klärte sich die Luft, dafür zogen in Richtung Mond netzartige Wolken mit unterschiedlicher Dichte auf. An manchen Stellen ließen sie das Mondlicht nicht hindurch, doch an ihren Seiten lockerte sich die Dichte und das Licht konnte durchscheinen. Auch dieses kontrastreiche Bild verlor sich nach einer Weile. Dunst und vereinzelte Wolken formten nun das Antlitz des Himmels. Zusammen mit der Atmosphäre fühlten wir uns innerlich auf seltsame Weise gewaschen und gereinigt.
Wir setzten uns vor der Kapelle auf eine Bank und sprachen andächtig über die uns beeindruckten Naturschauspiele. Nicht weit entfernt steht versteckt ein einsames Haus. Schwach war ein Fenster erleuchtet, daneben sahen wir eine auf der Stelle stehende, aber in sich bewegende, undeutliche Gestalt in der Farbe des Mondlichtes. Es sah so aus, als ob sie Flügel hätte, die sie immer wieder abwechselnd bewegte, ähnlich wie der Mond zuvor mit den Schatten seiner Augen spielte. Nach einer Weile schauten wir weg und dann wieder hin. Das Wesen war verschwunden und das Licht des Fensters aus. Vermutlich konnte das Schemen durch das diffuse Licht des Fensters entstehen. Ähnliche sich bewegende Wesen entstehen auch an der Kapelle, wo sie weiß gestrichen ist oder angestrahlt wird, was so nur zu sehen ist, steht man etwas weiter weg.
Auf der Bank sitzend, schrie meine Frau plötzlich auf und ich sah eben noch ein grünliches, herabstürzendes Licht, bevor es hinter den Fichten verschwand. Ein Meteorit schenkte uns als letzten Gruß für diese Nacht an der Kapelle sein vom Himmel kommendes Leuchten.