Die Goldberg-Variationen als "geführte Meditation"?

wolfgangwallner

Neues Mitglied
Registriert
2. Oktober 2004
Beiträge
6
Ort
Wien/Österreich
Hallo,
eine mögliche Form der Meditation ist die "Geführte Meditation", die aber die Gefahr beinhaltet, Wesensteile des Meditationsführers zu integrieren. Damit kommt man nicht in die eigene Mitte (was Meditation eigentlich sein soll). Es gibt aber auch zufällig sich ergebende geführte Meditationen. Von einer solchen habe ich in meinem Buch "Elihu; Hinterlassene Aufzeichnungen aus der Ewigkeit" geschrieben und will Euch den Ausschnitt zeigen (beachtet das Copyright).
Liebe Grüße
Wolfgang Wallner-F.

Die Goldberg-Variationen

Jemima nahm einen CD-Recorder in Martins Zimmer und spielte Glenn Goulds letzte Interpretation der Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach.

Elihu sah sich in einem gemauerten Labyrinth von Gängen. Doch war er sich seines Weges wohl bewusst. Keine Verlockung der Querverbindungen, der verheissungvollen Nebenwege, brachte ihn von dem Weg ab, den er gehen musste. Diese Verlockungen und Irrwege hatte er schon lange absolviert. Die Zeit, die erforderlich gewesen wäre, den Verführungen der untersten Ebene zu folgen, war einfach nicht mehr vorhanden.

Elihu betrat die nächste Ebene. Ein prächtiger, barocker Garten tat sich auf. Viele wunderbare Plätze harrten seiner Rast und Muße, der Beschäftigung mit ihnen. Doch alle Pracht konnte Elihu nicht irritieren, er ging seinen Weg weiter.
Ein Baum erschien. Unter dem Baum waren fröhliche, barock gekleidete Kinder, die ausgelassen den Freuden der üblichen Kinderspiele frönten. Doch Elihu konnte dem Treiben der Kinder nichts mehr abgewinnen, die Spiele hatte er alle gespielt.

Er setzte sich unter den Baum und betrachtete den Himmel zwischen den grünen Ästen.
Plötzlich entdeckte er die Leiter, die aus dem Baum auf natürliche Weise gewachsen schien, so als ob sie immer dort gewesen war.
Die Kinder waren längst entschwunden.
Elihu stieg mühelos die Naturleiter empor, als ob er dies sein ganzes Leben trainiert hätte. Da sah er links ein Felsplateau, auf dem ein archaischer Patri-arch zu sehen war. Seine langen Haare wurden vom Wind nach hinten geblasen, sein Gesicht war zum Himmel gewandt. Das Felsplateau und die ganze darunter befindliche urtümliche Landschaft war in ein Licht getaucht, das die Besonderheit der Szene erkennen ließ. Donner, Sturm und Blitz waren anwesend.
Es war Moses, der von seinem Gott die Gebote erhielt, sich der Wichtigkeit seiner Aufgabe bewusst. Normalerweise wäre Elihu von dieser Vision so gebannt gewesen, dass er unbeweglich die Gottesoffenbarungen des Patriarchen aufgenommen hätte. Doch wäre es vor allem die Erscheinung der Vision gewesen, die seine Gotteserfurcht veranlasst hätte. Elihu betrachtete die Vision, ohne sich über die Gründe bewusst zu werden, als Erscheinung, deren Bedeutung längst hinter seiner eigenen zurück geblieben war.

Er stieg die Leiter weiter empor. Eine einfache und unscheinbare Tür fiel ihm auf.
Sie war aus ehemals gestrichenem, aber längst verfallenem Holz. Sie machte den Eindruck, als ob sie lange Zeit niemand geöffnet hatte.
Elihu war im Zweifel, ob er die Türe öffnen sollte. In einem früheren Bewusstseinszustand hatte er auch einmal eine ähnlich bedeutungsvolle Türe gesehen.
Die damalige Türe war aus getriebenem Edelmetall, wahrscheinlich Bronze und war über und über mit prächtigen Figuren verziert. Damals war die Türe offen gewesen. Eine Menge interessanter und freundlicher Menschen hatte Elihu im Raum hinter der Türe wahrnehmen können, die ihn alle freundlich und erwartungsvoll aufzufordern schienen, doch einzutreten. Die Versuchung war dort sehr groß gewesen, doch irgendetwas sagte damals Elihu, dass es noch nicht an der Zeit wäre, einzutreten.
Die jetzige Türe war alles andere als prächtig und einladend.
Die Musik Bachs aus Jemimas CD-Recorder drängte Elihu zu einer Entscheidung, doch war er erfreut, dass ihm die Musik trotz der Bedrängung großzügig Zeit für die Entscheidung ließ.
Kurz vor der nächsten Variation öffnete Elihu die verfallene Türe.

In dem Raum, dessen Wände und Beleuchtung nicht wahrnehmbar waren, saß Bach. Er strahlte ein Licht aus, das voll Liebe, Verständnis und Freude für Elihu war.
Friede und Wohlgefühl waren spürbar, obwohl keine Absicht Bachs dafür sprach.
Bach war einfach.
Elihu sah Bach aber nicht in einer normalen Erscheinung. Alle Farben waren in die Komplementärfar-ben verkehrt. Weiß war schwarz, rot war grün und so weiter.
Elihu war sich bewusst, dass er sich richtig und seinem Bewusstseinszustand entsprechend verhalten hatte, als er den Entschluss fasste, die Türe zu öffnen.
Ewigkeiten verflossen, Welten entstanden und vergingen, als Elihu in der Weisheit verblieb.
Irgendwann gab Bach den Blick auf eine dicht begrenzte, beschnittene Allee frei, die von ihm zur Sonne führte. Ohne Worte empfahl Bach ihm, das letzte Stück Weges zu gehen.
Ergriffen folgte Elihu seiner Bestimmung.

Na, was sagt Ihr dazu? Antworten würde mich sehr freuen!
(schaut Euch dazu auch die Seite http://goldbergvariationen.wolfgangwallnerf.com an)
Wolfgang Wallner-F.
 
Werbung:
Zurück
Oben