Cancel Culture ist doch etwas völlig anderes. Denn der alleinige Widerspruch ist doch noch kein Grund für Cancel Culture.
Erst wenn durch den Widerspruch es zu persönlichen Nachtteilen kommt, vor bei allem von Menschen die in der Öffentlichkeit stehen, kann man von Cancel Culture sprechen.
Guter Punkt, an den ich bisher in unserem Dialog hier nicht gedacht habe. Danke, dass Du den Unterschied aufzeigst.
Tatsächlich sprichst Du damit etwas an, was mir seit einigen Jahren auch etwas zu Denken gibt: Mangelnde Ambiguitätstoleranz. Sehr viele Menschen scheinen nur noch in "ganz oder gar nicht"-Kategorien zu denken. Entweder jemand ist nur gut oder nur böse. Und das nervt mich manchmal.
Beispiel: Jan Joseph Liefers. Er ist ein guter Schauspieler (finde ich), und immer, wenn ich von ihm z.B. Interviews gesehen oder gelesen habe, kam er symphatisch, denkfähig und intelligent für mich rüber. Nun hat er in der Pandemie einmal daneben gegriffen und bei der zynischen Protest-Aktion #AllesDichtMachen mitgemacht. Den Shitstorm, der er damit erntete, hat er auch meiner Meinung nach durchaus verdient, bzw. ich nehmen ihm diese eine Sache auch übel. Was er aber definitiv NICHT verdient hat, ist z.B. ein Berufsverbot o.ä. Und leider wurden im Eifer des polarisierenden Gefechts auich solche Stimmen laut.
Andere Beispiele: Ranga Yogeshwar und Richard David Precht. Beides kluge und intelligente Menschen, die ich nach wie vor schätze, obwohl die derzeit im Thema Ukraine-Krieg meiner Meinung nach ziemlich daneben liegen.
Oder mal, um es salop auszudrücken: Es braucht weitaus mehr als vereinzelte "Fehlgriffe" - im Sinne von einzelnen Äußerungen, die ich nicht gut finde - um bei mir nachhaltig zu verscheißen (bitte entschuldige den Ausdruck; mir fällt gerade kein besserer ein). Könnten wir uns darauf einigen, dass Cancel Culture mit einer sehr niedrigen Hemmschwelle zum "endgültig verscheißen" beschrieben werden kann?
Mir stellen sich jedenfalls auch ein wenig die Nackenhaare auf, wenn ich lese, wie einige Leute damals bzw. nun über Liefers, Yogeshwar, Precht uvm. reden/schreiben. Aber in Anbetracht dessen, dass die alle noch in ihren altbekannten Jobs in Lohn und Brot stehen und weiter in Talkshows eingeladen werden etc., bin ich noch insofern beruhigt, dass soviel doch noch nicht gecancelt wird.
Auf den gegenwärtigen Moment bezogen entscheidet das die Gruppe welche in der Macht der Deutungshoheit ist und auch über die Mittel & Werkzeuge vefügt, diese Deutungshoheit aufrecht zu erhalten.
Diese Mittel & Werkzeuge können sehr unterschiedlich sein.
Ja, genau. Um jetzt aber über allgemeingültige und ewige Maxime zu reden - keine Todesstrafe, Homosexualität ist vollkommen ok - bräuchten wir eigentlich auch eine Definition unabhängig von der Gruppe bzw. der Macht der Deutungshoheit.
Ja, verstehe ich.
Vielleicht ist mein ( geistiger ) Anspruch an die Menschheit zu hoch, dass ich denke jedem Menschen müsste doch einleuchten WAS Todesstrafe ist; primitiv.
Meine Meinung dazu äussere ich ja schon alleine in diesem Thread.
Nun sehe ich mich allerdings auch als ein recht guter Menschenkenner und erkenne wenn Menschen nicht wirklich nachdenken wollen, sondern nur ihren konditionierten Mustern nachlaufen. Und da ich nicht den Anspruch habe die Welt oder die Menschen "bessern" zu wollen, ignoriere ich diese Menschen halt. Es ist halt meine Art und Weise.
Ah, ok. Das war auch wieder mein (Verständnis-)Fehler - bitte entschuldige. Ich habe da die Beschreibung Deiner Art und Weise mit einer allgemeinen Maxime verwechselt.
Wenn niemand mehr überhaupt den Gedanken hat bzw. bekommt, der Tod könnte eine Strafe sein, hat sich der Zeitgeist aufgelöst. Verstehst du wie ich das meine ?
Das kann doch eigentlich nur mit einem moralischen Zeitgeist z.B. als Übergangsphase funktionieren, oder?
Darüber hinaus werden Menschen wahrscheinlich immer irgendwie sehen können, dass es früher mal die Todesstrafe gab, und sich dann darüber Gedanken machen; vielleicht auch welche, die uns beiden hier nicht gefallen.
Wir Menschen sind nur biologisch-evolutionär-bedingt Gruppentiere.
Bewusstseins-evolutionär sind wir Menschen singulare Einzelwesen.
Das unterscheidet das Potenzial des menschl. Bewusstsein von allen anderen potenziellen Bewusstseinsformen auf diesem Planeten. Der grösste Teil der Menschheit verdrängt dies aber nur, weil es ihn im Geist einsam macht. Aus diesem Grund gibt es auch nur so wenig wirkliche Eremiten. Im Prinzip wissen wir Menschen doch bewusstseinstechnisch schon, dass wir alleine und einsam sterben werden. Aber es wird verderängt, denn es macht Angst.
Der Eremit hat diese Angst überwunden.
Und was das "Richtige" betrifft, so unterliegt das doch nur wieder dem Kollektiv. Dieses Kollektiv sagt: "Um aus Meinungen auch Handlungen oder praktizierte Maime zu machen, muss man doch mit anderen Menschen reden"
Das muss das "Kollektiv" auch tun, denn sonst würde das Kollektiv sich selbst ad absurdum führen.
Man sollte, meiner Ansicht nach, dem singularen Einzelwesen, welches ich "Eremit" nenne, auch eine Maxime zugestehen.
Z.B.:
"Hüte dich vor Menschen welche die Welt verbessern wollen. Denn niemand kann die Welt verbessern, so wie niemand Menschen verändern kann. Man kann sich nur selbst verändern. Mit jeder Veränderung strahlst du in die Welt dein Licht und veränderst sie. Zwar langsam, aber stetig. Denn die Ewigkeit hat viel Geduld."
Das Problem der Menschen, welche keine "Eremiten" sind ist, dass sie die Wirkung der Veränderung selbst miterleben möchten. Sie haben kein Vertrauen in das Fatale und können somit auch niemals Fatalisten sein.
Daraus ergibt sich wie zwangsläufig das nächste Problem: Das Kollektiv sieht den Fatalismus als fatal an.
Ich sehe den Fatalismus durchaus als fatal an. Und auch Du bist hier nicht wirklich ein Fatalist, wenn Du z.B. gesellschaftliche Strömungen wie hier im Thread kritisierst.
Und bei einigen Problemen würde die Welt mehr Eile benötigen, um sie zu lösen bzw. zu begrenzen. Der aktuelle Klimawandel beispielsweise. Die Ewigkeit hat zwar viel Geduld, und die Menschheit kann durchaus auch eine Erwärmung von 3° oder gar 4° überstehen... aber zu welchen Konditionen? Je stärker der Klimawandel noch fortschreitet bzw. seinen Klimax hat, desto weniger Menschen werden ein immer schwierigeres Leben haben. Sprich: Wir haben jetzt mit in der hand, wie die Menschen in 50 bis 100 Jahren leben werden. Und ich kann zwar dazu beitragen, das zu verlangsamen, indem ich z.B. auf ein eigenes Auto verzichte (so lange ich das gut in meinen Alltag integrieren kann), aber mein "Licht", was ich damit auszustrahlen vermöge, wird leider nicht viel ausrichten.
Dieses Licht wird dann auch von anderen zu verdunkeln versucht, wenn sie dann den Zeigefinger drauf halten, dass Greta Thunberg ein Sandwich aus einer Plastik-Verpackung isst, oder dass Klima-Aktivisten nach Bali geflogen sind. Da wird dann erwartet bzw. implizit gefordert: "Entweder Du lebst jetzt sofort unter allen Mühen und allem Verzicht klimabneutral, oder Deine ganzen Wünsche und Forderungen sind nichtig."