Wie abstrakte Ideologien entstehen, warum sie gefährlich sind und stets gewalttätig werden
Der Anfang aIler gewalttätigen Ideologien beginnt damit, daß jemand eine Art Weltuntergang oder eine für viele Menschen existenzbedrohende Katastrophe voraussagt. Wichtig dabei ist, daß der Zeitpunkt für den Eintritt der Katastrophe richtig gewählt wird. Legt man das Datum zu weit in die Zukunft, dann kann man keine Massen bewegen. Weit entfernt liegende Katastrophen interessieren die jeweils lebende Generation nicht besonders. Wählt man einen zu frühen Eintrittstermin, dann besteht die Gefahr, daß die Ideologieerfinder von der noch lebenden Generation als falsche Propheten entlarvt werden.
An dieser vermeidbaren Panne sind schon viele Heilsverkünder gescheitert, die ganz gut im Geschäft waren. Enttäuschte Gläubige sind unberechenbar. Am sichersten ist es natürlich, das Datum für den Eintritt der Katastrophe offen zu lassen und stets die Gefahr als unmittelbar drohend zu beschwören. Doch das lassen sich die Anhänger nicht lange gefaIlen. Sie wollen nach einiger Zeit wissen, für welchen Tag sie die Opfer bringen müssen, die von ihnen verlangt werden und deren Last sie so drückt.
Die Katastrophenprophezeiung ist in jedem Fall nichts weiter als eine Behauptung. Doch diese Behauptung kann niemand widerlegen. So absurd sie auch aufgebaut sein mag, es gibt immer einige Menschen, die daran glauben. Es ist eben unmöglich, schlüssig zu beweisen, was in der Zukunft passieren kann oder was nicht stattfinden wird. Wenn eine Gruppe die Katastrophenbehauptung immer wieder hervorbringt und sogar noch als Beweise getarnte neue Behauptungen hinzufügt, dann wächst auch die Zahl derer, die den Behauptungen einen gewissen Wahrscheinlichkeitsgrad einräumen und dann daran glauben. Der Zweifel nährt die Furcht. Irgendwas könnte vielleicht doch an der Sache dran sein, obwohl es recht unglaubhaft klingt und auch von vielen bestritten wird. Auch ist die Mehrzahl der Menschen davon überzeugt, daß niemand so töricht sein dürfte, etwas immer wieder zu behaupten, was tatsächlich nicht stimmt. Hier spielt der sogenannte gesunde Menschenverstand seinen Eigentümern einen schlimmen Streich.
Er durchschaut nicht, daß abstrakte Ideologien gerade das Prinzip der ewigen wiederholung als Erfolgsmasche perfektioniert haben. Das aIlein ist die Grundlage ihrer Existenz, das Nichtbeweisbare solange zu behaupten, bis die Menschen es als Tatsache hinnehmen. In den Überzeugungsgesprächen und Diskussionen wird immer der gleiche Trick angewandt. Die Katastrophenverkünder stellen zuerst ihre Behauptung auf und verleihen ihr den Anschein einer Wahrheit. Dann verlangen sie von ihrem Gesprächspartner, daß dieser das Gegenteil beweisen müsse, wenn er glaubwürdig sein wolle.
Der richtige Gang der Diskussion muß umgekehrt ablaufen. Zuerst müssen die Katastrophenverkünder ihre Behauptung beweisen, damit man sich ernsthaft damit auseinandersetzen kann. Man muß die Möglichkeit haben, die Tragfähigkeit ihrer Beweisführung zu prüfen. Natürlich können die Katastrophenverkünder auch keinen Beweis für ihre Behauptung erbringen. Das ist prinzipiell unmöglich. Man kann eben keine Zukunftsereignisse beweisen, bevor sie stattgefunden haben. Damit steht immer nur Behauptung gegen Behauptung. Dieser Umstand erlaubt jedem, zu glauben, was er für wahrscheinlicher hält. Doch damit sind die angstproduzierenden Katastrophenverkünder in der besseren Position. Da jedes Lebewesen die Angst vor dem Tode in seinen Erbanlagen als Urinstinkt mitbekommen hat, ist seine natürliche Reaktion, sich vor drohenden Gefahren zu schützen. Daher möchten immer einige sich absichern und versuchen zu erfahren, wie man sich vor den drohenden Gefahren schützen kann. Damit sind sie aber bereits in den Sog der Ideologie geraten, und die Gemeindebildung kann beginnen.
Damit sind schon die Voraussetzungen für die zweite Lektion gegeben. Jetzt werden die Verunsicherten mit Informationen höchster Wissenschaftlichkeit gefüttert, die alle die Untergangstheorie zu beweisen scheinen. Das gemeinsame Merkmal aller dieser Informationen ist, daß sie für die ängstlich lauschenden Gemeindemitglieder nicht nachprüfbar sind; man muß glauben. Entscheidend für die folgende Heilsverkündung ist, daß man den jeweils letzten Stand des Wissens für die eigene Botschaft verarbeitet. Wichtig ist, daß man die Gläubigen gegen fremde Informationsquellen so weit wie möglich abschirmt. Wo das nicht gelingt, diffamiert man diese Quellen als wenig seriöse und kaum wissenschaftliche Propagandaerzeuger gewinngieriger Interessengruppen.
In der dritten Lektion wird den Hörern erklärt, daß gerade ihr bisheriges Verhalten die Katastrophe heraufbeschwören würde. Jenes Streben, das sie bisher arglos als natürliches Recht zu besserem Leben beflügelt hat, ebendas wäre ihr Untergang. Dieser zweite Schock erzeugt zu der bereits vorhandenen Angst noch das schlechte Gewissen. Damit ist dann der Schuldkomplex installiert und die Sühne und Opferbereitschaft hergestellt.
Nach dieser Lektion beginnt die freiwillige Unterordnung unter das Gebot der neuen Lehrer. Alle wollen umkehren, niemand möchte in die Katastrophe hineingeraten. Nachdem die eigene alte Fortschrittsrichtung im Untergang enden würde, folgt man erlöst der echten Zielbeschreibung der neuen Lehrer.
In der vierten Lektion wird der neue Rettungsplan für die bedrohte Menschheit erläutert, und die neuen Mitgüeder bekommen ihre Aufgaben gestellt. In den meisten Fällen sind sie unlösbar. Das hat den Sinn, ein Abhängigkeitsverhältnis zu den neuen Lehrern herzustellen. Immer wieder muß man um ihren Beistand bitten, sobald man versucht, die gestellten Aufgaben zu bewältigen. Gleichzeitig werden in dieser Lektion die Feindgruppen bestimmt, die der Erfüllung des eigenen Rettungsplanes im Wege stehen.
Als Eliteverschwörung wird die fünfte Lektion gestaltet. Sie schließt die Verheißung ein, der ausgewählten Gruppe der Menschheitsretter anzugehören, der zur Erfüllung ihrer Aufgabe jedes Mittel recht sein darf, damit die Rettung der Menschheit gelingt. Das ist dann die unverhüllte Aufforderung zur Gewaltanwendung gegen alle, die den eigenen Zielen im Wege stehen.
Was danach kommt, ist reine Routine und Organisation. Wer einmal so weit mitgegangen ist, empfindet nicht mehr die Irrealität der Zielsetzung. Er empfindet auch nicht mehr die Maßlosigkeit des Herrschaftsanspruchs der Organisation. Für ihn ist die durch Emotionen aufgeladene sektirerische Gruppe die einzige Realität. Darüber hinaus gibt es nur noch Strukturen, die zerstört werden müssen, damit die eigene Saat zur Rettung der Menschen einen neuen Acker findet, auf dem sie wachsen kann.
Quelle:
http://www.konservativ.de/iamg/romahn3.htm#elementen