Das schwarze Lamm Gottes

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R.E.M.

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Das schwarze Lamm Gottes

Es war einmal eine Herde Schafe - in den Bergen. Alle hatten einen schwarzen Fleck auf ihrem Fell. Alle bis auf eines. Argwöhnisch betrachteten die gefleckten Schafe das einzige weiße Schaf und waren sich sicher: Mit dem stimmt etwas nicht.

Eines Tages ging wieder ein geflecktes Schaf an dem weißen Lamm vorbei und betrachtete es mit bösem Blick - und etwas sehr Seltsames passierte: Der Fleck des Vorbeigehenden ging auf das Lämmchen über. Das sprach sich schnell herum und bald hatte die Herde nur noch weiße Schafe und er war das einzige schwarze Schaf.

Die anderen sagten wieder: Wir haben es ja immer gewußt, mit dem stimmt etwas nicht. Ein Bild, das das schwarze Lamm Gottes inzwischen übernommen hatte: Mit mir stimmt etwas nicht. Und: Ich muß etwas wieder gutmachen, ich muß sie erlösen.

Aber eines Tages, als das schwarze Lamm gerade aus einem halbmondförmigen See trinken wollte, kam eine gute Fee vorbei und sie sprach: Du bist o.k. - mein Lämmchen. Sie lächelte ihn an und er spürte so ein schönes Gefühl in seiner Brust. Du bist wirklich o.k. - und die anderen spielen nur ein übles Spiel mit Dir, weil sie so schreckliche Angst haben vor ihren eigenen dunklen Stellen.

Daraufhin weitete sich die Seele des Lämmchens und es wurde zunächst sehr glücklich. Aber mit der Zeit wurde es wieder traurig, noch trauriger: Es hatte ja immer noch alle Flecke, es war immer noch Sündenbock und immer noch schwarzes Schaf. Und jetzt wußte es auch noch, daß es nicht an ihm lag.

Zunächst versuchte das Lamm, die Flecke der anderen zu reinigen und ihnen ein leichtes und einfaches Leben zu ermöglichen - aber das ging nicht gut - und es war auch sehr ungerecht: Warum sollte er die Arbeit der anderen machen und sie machten sich ein leichtes Leben und lehnten sein wahres Wesen weiter ab?

Eines Tages, als das Lämmchen gerade Löwenzahn auf einem Ringwall-Hügel fraß, teilte sich eine Schäfchenwolke am Himmel und er hörte eine Stimme: Mein Sohn, Du kannst nicht die Arbeit der anderen machen. Jeder hat hier das seine zu tun. Das einzige, was Du für sie tun kannst ist: Gib ihnen ihre Flecke zurück.

Also begann er, den anderen ihre Flecke zurückzugeben. Aber er war darin nicht sehr geschickt und machte einige Fehler. Die anderen waren übrigens mit aller Gewalt darum bemüht, alles beim alten zu lassen. Das ging sogar soweit, daß sie sich gegenseitig versicherten, daß keiner von ihnen jemals einen schwarzen Fleck hatte.

Deshalb war das schwarze Lämmchen häufig traurig und hilflos. Und die Hilflosigkeit schlug nicht selten um in Wut. Aber es half alles nichts. Was sollte das schwarze Schaf nach den Erlebnissen mit der Fee und mit der Stimme des Vaters im Wolkenhimmel tun?

Den anderen ihre Flecke zurückgeben. Das tat es dann auch. Und es tat es zunehmend ruhig und gelassen. Nur bei manchen, die ganz unverschämt waren, wurde er sehr deutlich und auch laut. Ob er das leise und in Güte tat oder konfrontierend - das Lämmchen wurde immer noch unbeliebter. Aber egal - er machte weiter und wurde zunehmend heller. So geschah es, daß eines Tages alle Schafe der Herde wieder einen Fleck hatten.

Und wieder war etwas Seltsames: Das Lämmchen hatte jetzt auch selbst einen Fleck. Er war sehr erstaunt und wieder kam die Fee und sprach: Der Fleck sagt Dir: Auch Du hast etwas falsch gemacht, Du hast nicht Nein gesagt als Du Nein meintest, Du hast nicht für Deine Seele gekämpft.

Das Lämmchen hatte Tränen in den Augen, als es die Fee anblickte und sich bei ihr bedankte. So eine tiefe Erfahrung hatte er da machen dürfen. Und nur mit der Hilfe der Fee und der Hilfe des Wolkenvaters war sie seiner kleinen Seele möglich.

Kaum war die Fee gegangen, spürte das Lamm schon wieder einen bösen Blick im Nacken: Sie versuchten tatsächlich, von vorne anzufangen. Da wußte das Lamm - es war jetzt Zeit zu gehen - in eine andere Herde - in der er seine wahren Freunde treffen würde und - seine Gefährtin - schließlich war das Lämmchen inzwischen in einem Alter, in dem solche Dinge eine Rolle spielten.

Er hatte schon von ihr geträumt. Schon vor einiger Zeit - und als er aufwachte - hatte er immer noch ihr Bild vor Augen und dieses Herzklopfen, das er seither immer hat, wenn er an sie denkt und er hörte sich sagen: Huch - Dich gibt's ja wirklich! Er ging in die Richtung, in der sein Herz am stärksten klopfte und schon beim siebten Schritt geschah es: Sein Fleck verschwand.
 
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