Ich möchte nur zu bedenken geben, dass ein "Lückenbüssergott", der also in den kleinen Lücken hockt, die ihm die Wissenschaft übrig lässt, ein ziemlich trauriges Dasein fristet.
Er duckt sich immer unter die Nachweisgrenze der Messinstrumente. Und die Instrumente werden immer schärfer, also die Nachweisgrenze immer kleiner. Je schärfer wir messen, desto kleiner wird das Phänomen Gott. (Im Gegensatz zu allen anderen Phänomenen.) Er wird weiter und weiter marginalisiert und löst sich schliesslich ins nichts auf.
So einen Glauben fände ich ziemlich unbefriedigend.
Jeder Glaube an etwas "übernatürliches" hat in meinen Augen etwas von "Lückenbüßergott". Das ist unweigerlich so, denn irgendwie muss er in die Erlebniswelt passen.
Außerdem ist die Frage: Wie groß oder klein sind die Wissenslücken wirklich, in die er gestopft wird? Und sind sie schließbar?
Es gibt einige Wissenslücken, die schon prinzipiel nicht schließbar sind. Und eine davon sind die von mir zitierten Zufallsprozesse; erst recht, wenn das System chaotisch ist. Da wird eine Vorhersage schlicht unmöglich... und ich glaube, das wird immer so bleiben. Das soll natürlich nicht heißen, dass man es nicht versuchen darf.
Ich bezweifle, dass wir jemals in der Lage sein werden, genau vorherzusagen, wie ein Mensch sich verhalten wird, wenn wir die Anfangsbedingungen noch so genau kennen. Oder folgendes Gedankenexperiment: Angenommen Du könntest Menschen dublizieren... oder komplett den Organismus in einen Zustand Rückversetzen. Du tust das einmal, Mensch macht A. Du machst das ein zweites Mal... ich persönlich glaube nicht, dass der Mensch unbedingt wieder A machen wird.
Desweiteren halte ich ein größeres Eingreifen Gottes oder des "übernatürlichen" für durchaus möglich... es passiert nur im allgemeinen nicht. Und wenn es mal passiert, nennen wir es Wunder. Dabei ist bei weitem nicht alles, was wir Wunder nennen, wirklich eins.
Wenn ich darf, will ich mal erzählen, wie ich zu der beschriebenen Vorstellung gekommen bin: Ich habe ein populärwissenschaftliches Buch über Gehirnforschung gelesen. Der Autor beschrieb darin, wie sich die Persönlichkeit eines Menschen durch Gehirnverletzungen verändern kann. Er stellte darin die provokannte Frage: "Was ist die wahre Persönlichkeit? Die vor oder nach der Gehirnverletzung?" Seine Antwort war, es gäbe diese "wahre Persönlichkeit" gar nicht... ebensowenig wie eine Seele, und die Leute, die daran glauben, sollten doch endlich mal erwachsen werden.
Nun gut, die Überheblichkeit, die in solchen Sätzen, Gläubige Menschen zu belächeln, steckt, finde ich ziemlichzum Kotzen. Aber seine Grundargumentation hat was für sich. Wir verstehen das Gehirn immer besser, und wissen ungefähr, wie die Persönlichkeit mit dem Gehirn zusammenhängt.
Ich bin aber bekennender Dogmatiker

also habe ich mir überlegt, wie das Bild einer Seele bzw von Gott dennoch in das Bild passt, und wieso die Schlussfolgerung "... also gibt es keine Seele" letztendlich übereilt sein könnte.
Folgender Analogschluss kam mir in den Sinn: Ein Radio geht kaputt, so dass die Musik nur noch verrauscht gespielt wird. Was ist die 'wahre Musik'? Die vor oder nach der Beschädigung? Die Antwort der Radioforschung: Gar keine, also gibt es keinen Sender.
Oder bei einer Marionette reißt ein Faden. Sie kann ein Bein nicht mehr heben. Was ist ihr wahres Verhalten? Also gibt es keinen Marionettenspieler.
Mir ist bewusst, dass es sich hierbei um Analogieschlüsse handelt, die keine wirklich gute Begründung bilden. Brauchen sie auch nicht; ich will nichts beweisen. Das Ziel ist nur einen "Freiraum" für Glauben zu schaffen.
Der nächste Schritt war dann, mir zu überlegen, wie das "übernatürliche" mit der Welt, wie wir sie kennen, im Normalfall wechselwirken könnte (weiterhin unter der Vorraussetzung, dass es existiert). Und als Chaostheoretiker fiel das auch nicht mehr richtig schwer.
Ich will betonen: Dieses Weltbild ist kein Postulat. Es hat bestimmt noch viele Schwächen. Es ist mit Hilfe "unwissenschaftlicher Überlegungen" aufgebaut. Ich will nur zeigen, dass es prinzipiel möglich ist, auch neben der Gehirnforschung mit ihren wirklich interessanten und vor allem wichtigen Ergebnissen den Glauben einzuweben. Daraus wird unweigerlich ein "Lückenbüßergott", aber ich denke wirklich, dass besagte Wissenslücken unschließbar sind. Wenn doch... muss ich mir entweder etwas anders überlegen... oder es einfach drauf beruhen lassen.
Viele Grüße
Joey