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Franz Kafka-Das Brot (TommyG)

Sprecher: Hans Jörg GroßeMusik: Tommy GärtnerKurzinterpetation: Das ist Kafka im Streichholzschachtel-Format. Der wichtigste Satz des Textes lautet: "Warum w...
Sprecher: Hans Jörg Große
Musik: Tommy Gärtner

Kurzinterpretation: Das ist Kafka im Streichholzschachtel-Format. Der wichtigste Satz des Textes lautet: "Warum wundert ihr euch? Ist es nicht merkwürdiger, dass etwas gelingt, als dass es nicht gelingt?"

Es liegt nicht am Messer, und es liegt auch nicht an der Beschaffenheit des Brotes, dass die Operation misslingt. Beides schließt Kafka gleich zu Anfang des Textes kategorisch aus (" trotzdem das Messer stark und scharf, das Brot nicht zu weich und nicht zu hart war...") Es liegt an keiner Besonderheit der Situation, sondern an der Situation selbst. Oder besser gesagt: an der Wirklichkeit im allgemeinen. Die ist nämlich so beschaffen, dass ein Scheitern und ein Irrtum unausweichlich wird. Die Kafkasche Welt ist prinzipiell unbegreifbar und unberechenbar, es ist eine absurde Welt. und deshalb irren und scheitern die Figuren in ihr.

Diese Parabel lässt sich aber auch hervorragend als Waffe im Alltag einsetzen. Angenommen, ihr haut daneben und es misslingt euch etwas ganz fürchterlich (z.B. kommt der Kuchen, den ihr backen wolltet, als verkohltes, dampfendes Ding aus dem Bachofen). Dann sagt ihr einfach: "Warum wundert ihr euch? Ist es nicht merkwürdiger, dass etwas gelingt, als dass es nicht gelingt?"

Und schon seid ihr aus dem Schneider. So kann euch Kafka über eine peinliche Situation hinüberretten.

Text:
Auf dem Tisch lag ein großer Laib Brot. Der Vater kam mit einem Messer und wollte ihn in zwei Hälften schneiden. Aber trotzdem das Messer stark und scharf, das Brot nicht zu weich und nicht zu hart war, konnte sich das Messer nicht einschneiden. Wir Kinder blickten verwundert zum Vater auf. Er sagte: "Warum wundert ihr euch? Ist es nicht merkwürdiger, daß etwas gelingt, als daß es nicht gelingt? Geht schlafen, ich werde es doch vielleicht noch erreichen."

Wir legten uns schlafen, aber hie und da, zu verschiedensten Nachtstunden, erhob sich dieser oder jener, von uns im Bett und streckte den Hals, um nach dem Vater zu sehn, der noch immer, der große Mann in seinem langen Rock, das rechte Bein im Ausfall, das Messer in das Brot zu treiben suchte.

Als wir früh aufwachten, legte der Vater das Messer eben nieder und sagte: "Seht, es ist mir noch nicht gelungen, so schwer ist das."

Wir wollten uns auszeichnen und selbst es versuchen, er erlaubte es uns auch, aber wir konnten das Messer, dessen Schaft übrigens vom Griff des Vaters fast glühte, kaum heben, es bäumte sich förmlich in unserer Hand. Der Vater lachte und sagte: "Lasst es liegen, jetzt gehe ich in die Stadt, Abends werde ich es wieder zu zerschneiden versuchen. Von einem Brot werde ich mich nicht zum Narren halten lassen. Zerschneiden muß es sich schließlich lassen, nur wehren darf es sich, mag es sich also wehren."

Aber als er das sagte, zog sich das Brot zusammen, so wie sich der Mund eines zu allem entschlossenen Menschen zusammenzieht und nun war es ein ganz kleines Brot.
 

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