Also das verstehe ich nicht.
Es geht doch darum einfach nur Zeuge zu sein. Was immer auch auftaucht , sehe es. So kenne ich vipassana. Wenn es dann dazu kommt , dass nichts mehr auftaucht, also ein verweilen in der Gedankenleere stattfindet , dann nennst du das Rigpa? das ist auch in der vipassana so.
Ich sehe da keinen Unterschied. Vielleicht kannst du mich ja aufklären.
Der Punkt ist: Die meisten Meditationslehrer würden den Unterschied auch nicht verstehen. Weil sie ganz einfach nie gelernt haben, so präzise ihren Geist zu erforschen. Ich kenne tatsächlich nur einen einzigen Lehrer, welcher in der Lage ist, solch feine Unterscheidungen zu verstehen und seinen Schülern auch zu vermitteln. Bevor ich das nicht selbst erlebt hatte, hätte ich gar nicht gedacht, dass es möglich ist, auf diese unglaublich präzise Weise Meditation zu lehren. Das ist ungefähr so, als wäre die Mehrheit der Meditationslehrer, die du triffst, auf dem Niveau eines PhD-Studenten - und plötzlich triffst du zum ersten Mal einen Professor.
Interessanterweise hat besagte Person sowohl Lehrberechtigung in der Therevada-Vipassana Tradition als auch in Vajrayana-Mahamudra und Dzogchen-Techniken. Er lehrt aber heute nur noch die Vajrayana-Techniken.
Du sagst, es ginge doch darum, im Vipassana Zeuge zu sein. Aus meiner Erfahrung ist das eine inkorrekte Anweisung. Im Therevada ist Anatta - Nicht-Selbst - eine der grundlegenden Lehren. Da es nirgendwo ein Selbst gibt, das gefunden werden könnte, kann es auch keinen Zeugen geben, in dem man ruhen könnte. Wenn also eine Meditationsanweisung lautet, man solle im Zeugen ruhen, so ist das per definitionem kein Therevada-Vipassana (es klingt viel eher nach Ken Wilber oder nach Hinduismus für mich).
Es gibt viele Ansätze, Vipassana zu lehren und zu lernen. Gemeinsam ist ihnen, dass jeder Geistesmoment von Moment zu Moment wahrgenommen und wieder losgelassen wird. Wenn du das tust, dann kommen die Geistesmomente mit der Zeit immer rascher hintereinander, bis sie quasi stroboskopisch schnell aufblitzen und sofort wieder vergehen. Wenn du an diesem Punkt weitergehst, dann musst du die bereits extreme Aufmerksamkeit, die du da erreicht hast, auf das Vergehen der Momente lenken (bzw. du tust es automatisch, wenn alles korrekt läuft). In diesem Moment lernst du die tiefere Bedeutung von Vergänglichkeit, Leidhaftigkeit und Nicht-Selbst durch Erfahrung kennen. Dies ist jedoch eine ziemlich fortgeschrittene Stufe von Vipassana, die meiner Erfahrung nach eher wenige Menschen im Westen erreichen. (Vermutlich weil sie keine präziseren Anweisungen erhalten haben. Ein Freund von mir hat in einem kompletten Dreimonatsretreat diese Stufe offenbar nicht erreicht, obschon er zuvor mehrere Jahre Meditationserfahrung hatte.) Durch die Erfahrung der drei Daseinsmerkmale entsteht eine ungeheure Abneigung - das ist die Erfahrung der Dukkha-Nanas, der leidhaften Meditationsstufen. Wenn du auch dort hindurch gehst, dann trittst du in einer noch tiefere Phase ein, in welcher eine Art felsenfester Gleichmut entsteht, der durch nichts erschüttert werden kann. Wenn du lange genug in diesem Zustand geblieben bist und einsiehst, dass auch dieser Zustand nichts bringt, dann besteht eine gewisse Chance, den sogenannten Stromeintritt zu erleben. Damit hättest du gewissermassen die erste von vier Erleuchtungsstufen im Therevada erreicht.
Das ist keineswegs dasselbe wie Ruhen in Rigpa. Zuerst einmal ist die Philosophie und die Terminologie eine andere. "Gewahrsein" - einer der Grundbegrifflichkeiten im Vajrayana - existiert auf diese Weise im Therevada schlichtweg nicht. Im Vajrayana hat Gewahrsein viele Ebenen und Bedeutungen, und je nach Schule und Lehrrichtung - Tantra, Mahamudra, Dzogchen - gibt es wiederum subtile Unterschiede. Im Dzogchen beispielsweise gilt Gewahrsein gleichzeitig als "leer" und "spontan manifest". Es werden verschiedene Techniken gelehrt, welche den Fokus auf den einen oder den anderen Aspekt legen, so dass diese Einsicht auch wirklich gewonnen wird. Aus Sicht des Therevada machen diese Anweisungen überhaupt keinen Sinn, da es dort gar kein Gewahrsein gibt, das sich irgendwie manifestieren könnte. Was sich im Vajrayana-Dzogchen auch immer spontan manifestiert, wird im gleichen Moment als nichts anderes als spontan manifestes, erleuchtetes Gewahrsein erkannt. Diese Einsicht wird nach und nach vertieft, bis am Ende überall nur noch spontan manifestes, erleuchtetes Gewahrsein vorhanden ist. Alles und jedes ist dann spontan manifest erleuchtet - es gibt nichts mehr zu erreichen und vollständige Buddhaschaft ist erreicht. (Dies ist freilich ein extrem fortgeschrittener Zustand, von dem ich selbst meilenweit entfernt bin.)
Die genauen Meditationsanweisungen werden allerdings nur mündlich weitergegeben, auf die detaillierteren Anweisungsschritte kann (und will) ich also nicht eingehen.
Aber selbst wenn hier der Unterschied schwierig zu verstehen sein sollte - die Studie bezeugt ganz plastisch, dass es Unterschiede geben muss. Vielleicht nicht in Bezug auf das Endresultat der Erleuchtung (wobei ich persönlich genau das glaube), aber zumindest auf die neurophysischen Wirkungen auf das Körper-Geist-System.