Angela war in gespannter Erwartung, als sie mit Diogo bei dem Terreiro eintraf. Terreiro nennt man in Brasilien das Haus von der Macumba. Am Stadtrand von Jacarepagua, auf einem abgelegenen Hügel, stand ein einfaches Häuschen mit einem Dach aus Palmenfasern. Davor lag ein großer freier Platz mit hohen Palmen.
Auf der Veranda war bereits eine Menschenmenge versammelt und wartete, um eingelassen zu werden. Sie schauten neugierig zu Angela, sie aber lächelte die Menschen an und dies brach den Bann. Die Menschen nickten ihr freundlich zu.
Es wird gleich losgehen, sagte Diogo leise zu ihr.
Was genau wird losgehen?, fragte sie gespannt.
Am besten du siehst es mit eigenen Augen.
In diesem Augenblick begann die Zeremonie. Als erstes wurde der Terreiro ausgeräuchert.
Frauen in weißen Kleidern mit weiten Röcken stellten sich vor den Altar. Sie schwenkten Weihrauch und sangen leise, eher murmelnd, ein Lied.
Dort ist die Ialorixá, flüsterte Diogo und deutete nach vorne zum Altar. Meine Mãe de Santo.
Die Mãe de Santo, die heilige Mutter, wie sie genannt wird, war eine alte Negerin in einem langen, weißen Kleid. Der weite Rock war mit Spitzenborten verziert. Sie war barfuss. Um den Hals trug sie verschiedene Ketten, und den Kopf schmückte ein weißer Turban.
Sie hob die Arme und begann ein Gebet an die Orixás zu sprechen:
Salve meu Pai Oxossy
Salve toda sua Macaia
Salve todo o Jurema
Saravá meu Caboclo Norikuá...
Die Mãe de Santo, die heilige Mutter, setzte sich vor einen Tisch. Plötzlich blickte sie zu Diogo herüber und winkte ihn zu sich.
Guten Tag, verehrte Mutter Dona Ismelia.
Dona Ismelia lächelte. Angela betrachtete die alte Frau neugierig. Sie musste weit über siebzig sein. Ihr Gesicht war voller Runzeln, aber es strahlte etwas Gutmütiges aus.
Jetzt wendete sie sich an Angela. Der Blick der Alten hatte etwas zwingendes, dem Angela sich schwer entziehen konnte. Sie hatte das Gefühl, als blickten die Augen der alten Frau bis tief in ihre Seele hinein. Als vermochten diese Augen einen Bogen von der Vergangenheit bis weit in die Zukunft zu spannen.
Willkommen bei uns im Heiligen Haus. Diogo ist in Liebe zu dir entflammt, meine Tochter. Sie lachte laut und schüttelte den Kopf. Wenn die Liebe kommt, dann ist sie wie das Feuer. Entweder man löscht es, solange es noch geht... sie zwinkerte Angela zu. Oft geht es aber gar nicht mehr. Und das ist besser so. Sie seufzte und schwieg. Um die Schatten zu vertreiben, von einem Toten...
So ist das also, dachte Angela. Ich habe es eigentlich gefühlt... Wollte es nur nicht richtig wahrhaben, als wir uns heute Abend ansahen.
Ich werde die Buzios-Muscheln zuerst für das Mädchen werfen, sagte sie und begann. Sie hielt die Buzios-Muscheln in ihren zusammengefalteten Händen.
Aduadá, dadá Orunmilá
Babá mi alari ki Babá
Das ist afrikanisch, flüsterte Diogo Angela zu. Das ist Ketô.
Es war, als würde Angela in den Bann einer mystischen Handlung hineingezogen. Die Vergangenheit war weit weg. Die Zukunft wurde gerade geboren, in dieser Sternstunde ihres Lebens. Etwas Außergewöhnliches ereignete sich und sie fühlte, es hatte mit ihrem zukünftigen Leben zu tun.
Auf dem kleinen Tisch lag eine weiße Tischdecke. Angela bemerkte alle möglichen Kultgegenstände. Da brannte eine weiße Kerze, ein Glöckchen stand da und eine Kokosnuss. Weihrauch verströmte einen starken, eindringlichen Geruch. Auch ein Glas mit Wasser und einige Pflanzensamen, sowie getrocknete Früchte. Und außen an der Tischkante hatte man verschiedenfarbige Ketten zu einem magischen Kreis angeordnet in dem Kultgegenstände für das Buzios Orakel, aufgestellt waren.
Exú mujibá, betete die Mãe de Santo. Sie stampfte dreimal mit dem Fuß auf und schreckte Angela aus ihren Beobachtungen:
Okê Oxê
Ifá Agõ...
Sie hielt die Buzios-Muscheln in den geschlossenen Händen erst nach links, dann nach rechts und über ihren Kopf.
Xangõ und Iansã... Sie lächelte in sich hinein und murmelte irgendwelche unverständliche Worte. Ihr habt die gleichen Götter, die euch beschützen und lenken, das ist sehr verheißungsvoll. Beide besitzt ihr einen guten Charakter. Ihr seid füreinander bestimmt.
Angela war erstaunt, diese Worte von der Alten zu vernehmen. Eine Wahrheit, die sie noch nicht richtig begriff.
Die Mãe de Santo klingelte mit dem Glöckchen. Völlig von dem Buzios-Orakel absorbiert, hatte sie den Beginn der Zeremonie eingeläutet und befand sich außerhalb von Zeit und Raum. Sie war eine ausgebildete Zauberpriesterin. Dazu wird man geboren und dann berufen. Ihr ganzes langes Leben widmete sie den Göttern. Götter aus Afrika, deren Anrufung von ihren ehrenwerten Ahnen aus Nigeria stammte. Als Tradition seit Jahrhunderten gehütet, unvermischt und rein in ihrer Überlieferung der Ketô Nation.
Sie hatte die Augen geschlossen und begab sich auf eine weite Reise. In das Land der Geister und geheimer Symbole.
Als sie ihre Augen öffnete, warf sie die Buzios-Muscheln auf die Mitte des Tisches, in den magischen Kreis der Perlenketten.
Drei Muscheln lagen mit der geöffneten Seite nach oben und dreizehn Muscheln waren geschlossen.
Ogum hat gesprochen!, verkündete Dona Ismelia. Offene Wege und die Möglichkeit von unbegrenzten Siegen. Sie schwieg eine Zeit. Dann begann sie zu lächeln. Ein Lächeln des Triumphs. Du wirst siegen, meine Tochter! Auch über Gegner und Neider. Du gehst den Weg des Kriegers und Ogum wird dich leiten, meine Tochter Sie schwieg. Und wenn Schwierigkeiten auf deinem Lebensweg auftauchen, so komme zu mir, meine Tochter, sagte sie schließlich.
Dona Ismelia schloss die Augen und begann die vorherige Zeremonie zu wiederholen. Sie betete, reichte die Buzios-Muscheln mit geschlossenen Händen in die verschiedenen Himmelsrichtungen. Dann läutete sie das Glöckchen, hielt die Buzios Muscheln vor ihre Stirn und betete, um die Muscheln erneut auf den magischen Kreis zu werfen.
Ihr Gesicht erhellte sich. Sechzehn Muscheln sind geöffnet!, rief sie aus. Alle Orixás haben geantwortet! Sie hob die Arme zum Himmel. Dank, dank! Ogum, begann sie zu sprechen. Ogunhê Patacori, sie begrüßte alle Orixás... bis sie mit Iemanjá endete. Odoiá, Odofeiabá, Iemanjá! Verehrung, göttliche Iemanjá. Göttin des Wassers und der Meere. - Die Götter antworten dir mit Licht auf deinem Weg und Triumph in allem. Eine große Reise steht bevor. Sie sah ihn aufmerksam an. Und die Liebe, mein Sohn, wird in deinem Leben von Bedeutung sein. Bewahre dich vor jeglichem Hochmut, sonst stürzt du ab, vom Himmel des Ruhmes in die Tiefe. Sie atmete hörbar aus. Die Zukunft hängt mit unseren Handlungen zusammen, Didi. Die Zukunft gehört den Göttern... beendete sie das Orakel.
aus: Maracanã 2005
Karuna
Fortsetzung folgt bei Intresse