seelensplitter aus längst vergangenen tagen

M

magdalena

Guest
der raum in dem ich schreibe

ich kann das antlitz der sphinx nicht erkennen,
im starken lichtstrahl zerfällt sie zu staub.
ich suche in längst vergessen geglaubten bildern,
jage einer erkenntnis nach, die sich verbirgt.

gedanken durchstreifen die räume der seele,
suchen brücken zu bauen zwischen erinnerung und vergessen,
lauschen auf klänge, die emporsteigen aus den tiefen der träume,
ringen um das aufstoßen der tür, die sich verschließt.
 
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gefangen

ich fühle mich in einem käfig gefangen,
obwohl ich weiß, dass es ihn längst nicht mehr gibt.
bin wie ein vogel, an einem schweren seil festgebunden,
dem nicht die freiheit gegeben,
sich in die lüfte zu erheben.
statt dessen zieht ihn der geist, der nicht loslassen kann,
nieder zu sich auf den grund.

ich werde den schlüssel zu meinem käfig finden,
das messer mit dem ich das seil durchtrenne, das mich niederringt.
ich werde wieder fliegen, wie in den träumen der jugendtage,
werde die freiheit und leichtigkeit fühlen,
die ich damals so köstlich empfand.
aber der traum wird kein traum sein,
sondern mein leben,
weil mir jetzt endlich bewusst ist,
was mir schon so lange fehlt.​
 
erste liebe

cremeweiße rosen, blassrosa schatten,
letzte schönheit kurz vor dem verblühen.
tanzender staub im späten sonnenlichtkegel,
vergänglichkeit.

ovaler tisch, weiße spitzendecke,
sich wiegende figuren aus altem porzellan,
ölgemälde an hellen hohen wänden,
vergangenheit.

die zarte frau in ihrem lehnstuhl,
das haar der farbe der rosen gleich.
im alter zur ruhe gekommene hände,
zerbrechlichkeit.

eine fotographie auf dem hohen sims des kamins,
gehütet im vergoldeten rahmen,
er, der am ersehnlichsten ersehntt,
weggeblieben.

nicht geweinte tränen in sinnenden augen,
zarte stiche ganz tief im verborgensten inneren,
nicht losgelassen unwiderbringliches,
erinnerung.

wehmütiges sehnen nach dem glücksgefühl und einer liebe,
niemals zuvor und niemals danach empfunden in solch schmerzlicher süße,
als das kind aus der liebe geboren,
endlich, in den armen der mutter gelegen.

verwehender duft welkender blüten,
letzte strahlen untergehenden sonnenlichts.
eine alte frau in ihrem lehnstuhl,
nie vergehende vergangenheit.
 
feuer der hölle

rot und gelb hochzüngelnde flammen
demütig büßende zu füßen liegend
gefangen in den qualen ihrer seelen
nicht wahrnehmend die nähe des lichts
ihrer erlösung.
 
gebet

die erkenntnis ist nahe
und doch so weit entfernt.
wo ist das ende
und wo der anfang?
oh gott,
zeig mir den weg!​
 
ende der nacht

nachtschwarzer, nicht enden wollender tunnel,
durchrast in gellender geschwindigkeit.
alptraum einer jugend, die das jungsein nicht kennt.
geifernde fratzen, die den wurm sich zum würmchen krümmen lassen,
eiserne hand, die das nichts zu boden bannt.

und dann doch endlich das licht am ende der nacht,
das licht einer liebe, die hinausführt in eine leben,
das licht einer liebe, die alte fesseln sprengt,
und mich, die ich freiheit niemals gekannt,
mit neuen reißfesten, wenn auch zarteren banden umspannt.
 
die läuferin

verhangener himmel
grau in grau
zwischen hoch aufragenden bäumen
ihre dunklen kronen
wie betend
dem licht entgegengestreckt.

federnder boden
von einem teppich
aus gestorbenen nadeln bedeckt
einladend niederzusinken
um endlich zurückgegeben
nie mehr wieder aufzustehen.

ein schritt vor den anderen
dem gleichmäßigen stampfen
einer maschine gleich
sklave eines antriebs
in getreulicher pflichterfüllung
niemals stille zu stehn.

immer schneller
der schlag des trommlers
der den takt angibt
immer schneller
die schläge der ruder
die eintauchen in die ozeane der tränen.

ein trommelwirbel
keuchender rhythmus
gesteigert bis zur rammgeschwindigkeit
ein körper sich ausarbeitend
bis an die grenzen der belastbarkeit.

nicht mehr zu beherrschendes schluchzen
das droht die kehle zuzuschnüren
erkenntnis der unmöglichkeit
ihrer verzweiflung
zu entfliehen.
 
frau im schatten

früh ist es am morgen,
ein schutzlos nacktes, zitterndes kindlein,
die dünnen ärmchen wärme ersehnend,
den ersten strahlen der noch schwachen sonne entgegengereckt.
mächtig der vogel, der sich herabsenkt,
seinen schatten wirft auf das frierende kind,
das würmchen umschließt mit seinen kräftigen schwingen,
nicht erwärmen kann, vielmehr erdrücken,
das kind erstarrend in seiner kalten umarmung.

mittag ist es geworden, das kind eine frau,
sengend die strahlen der hoch stehenden sonne.
zuflucht hat sie gefunden im schatten des baumes,
weit ausladend und üppig die krone,
stark der stamm, an den sie sich lehnt.
milde die lichtstrahlen, die durch sein dichtes laub dringen,
kaum beschienen die frau,
doch dem drohenden flügelschlag und der hitze entronnen.

schräg stehend die sonne am frühen abend,
nicht mehr brennend die kraft, die sie verströmt.
hinaustreten will sie aus dem bergenden schatten,
wohltuende wärme auf ihrem erwachenden körper verspüren.
allzulange behütet verharrt,
scheut sie die mühsal schwierigen unterfangens.
zaghaft vorwärtstastend, den starken wurzeln entlang,
fühlt sie erlahmen allzuleicht ihre kraft.
doch der schimmer des lichts beflügelt sie neu,
wie weit auch entfernt, sucht sie aufrichtend hinauszufinden,
bevor sich endgültig herniedersenken, für immer verhüllend,
schwarze schleier, die schatten der nacht.​
 
momentaufnahme

leer, ausgebrannt, ausgehöhlt
und doch so voll leben,
mutlos an alten hoffnungen zweifelnd
und doch voll nie zuvor gekannter energie.
brennend der schmerz in der brust
und doch beginnt sich ein weg zu zeigen.
ich stehe an einer kreuzung,
nein, stehe nicht mehr,
habe mich für die richtung entschieden,
aber die ersten schritte sind schwer.​
 
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schreibrezept

man nehme ein kilo fein zugerichteter worte, schneide sie in
nicht zu große stücke und brate sie in einer großen pfanne scharf
an.
dann wasche man eine stange erinnerung unter fließendem
wasser gut ab, entrinde sie und füge sie den worten hinzu.
man rühre alles kurz durch, lösche mit einem glas realität ab
und lasse das ganze köcheln.
man würze mit einem stengelchen phantasie und einer großen
prise gefühlen.
zum schluss mische man ein blättchen traurigkeit hinzu, oder
humor, ganz nach belieben, vergesse aber nicht auf den
gehäuften teelöffel selbstkritik.
nachdem alles gut durchgekocht ist, streiche man die
abgekühlte masse auf ein sauberes blatt papier und lasse sie im
backrohr trocknen.

guten appetit!​
 
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