seelensplitter aus längst vergangenen tagen

ein wiedersehen

bei einem familienfest
habe ich dich wiedergesehen,
nach einem jahr
in dem viel geschehen ist,
nach einem jahr
in dem ich lernen durfte
nicht mehr
um die liebe zu trauern,
die du
mir nie gegeben hast.
du bist für mich
eine fremde geworden,
eine fremde
nicht nur
weil du dich rein äußerlich
so sehr verändert hast.
das blond gefärbte haar,
die übermäßig gebräunte haut,
lässt mich dich sehen
wie eine junge frau
von einem maskenbildner
auf alt geschminkt.
zum abschied
reiche ich dir die hand,
doch du
willst mich zu dir
hinunter ziehen,
mit aller kraft,
die deinem alten arm
noch immer gegeben ist.
wieder
hast du mich gezwungen
mich gegen dich zu wehren.
 
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wach auf

wunden heilen,
narben bleiben zurück,
zum glück
zur mahnung
zur erinnerung,
dieselben fehler
nicht mehr wiederzubegehen.

erinnerungen verblassen,
andere lassen nicht los,
als anstoß,
als mahnung,
als erinnerung,
in den gedanken
immer weiter zu gehen.

leben wird gegeben,
leben wird genommen,
bestens ersonnen,
zur mahnung,
zur erinnerung,
in unseren mühen zu begreifen
niemals stille zu stehen.
 
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tagebuch

es ist kalt in der kirche, die reihen spärlich besetzt, sparsam die beleuchtung, wohl um den reinertrag des konzertes, der als beitrag zur renovierung dienen soll, nicht noch geringer ausfallen zu lassen als er ohnehin schon ist.
der organist intoniert eine fuge von bach, in die andächtige stille einer satzpause hinein ein scharrender laut.
eine mutter wendet sich dem kinderwagen zu, aus dem das wenig menschliche geräusch gekommen ist, unendliche liebe und hingabe in ihrem blick.
eine leichte berührung mit der hand, das wesen mit dem uralten gesicht und den wie zufällig hingeworfen wirkenden gliedmaßen ist beruhigt.
das konzert endet mit den wuchtigen klängen des präludiums von franz schmidt.
der orgelkünstler verlässt die empore, durchschreitet das schiff,
am kinderwagen hält er inne, beugt sich hinunter, ganz zärtlichkeit,
bevor er sich vor seinem publikum verbeugt.
ich verlasse die kirche und begreife, dass es noch unendlich viel zu lernen gibt.
 
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