Krankheiten nach Maß

bebe11

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Vor einigen Tagen wurde auf Arte eine Dokumentation gezeigt, die die Pharmaindustrie für das Entstehen von neuen Diagnosen verantwortlich macht, indem normale Schwankungen in der Funktion von Körper und Psyche als Symptome einer behandlungswürdigen Krankheit gewertet werden.

videos.arte.tv/de/videos/krankheiten_nach_mass-4241432.html (kann noch keine Links setzen)

Ist ja kein neuer Gedanke, trotzdem finde ich es immer wieder erstaunlich, dass vor nichts zurückgeschreckt wird, um Geld zu machen. Und ich habe in meiner Arbeit tatsächlich oft gesehen, wie man z.B. einsamen alten Menschen Antidepressiva verschrieb, anstatt ihnen einen Lebensinhalt zu ermöglichen.

Verlernen wir dadurch nicht, mit den verschiedenen Facetten unseres Menschseins umzugehen und weitestgehend selber Verantwortung für unser Gesundbleiben zu tragen? Oder im Fall der alten Menschen, andere dabei zu unterstützen?

Dennoch glaube ich, dass heutzutage viele von uns bereits 'Krankheiten' und deren Behandlung hinterfragen - man denke an Schweinegrippe, Impfungen oder ADHS - und sich selbst eine Meinung bilden.

Seht trotzdem mal in die Sendung rein, wenn Euch dasThema interessiert!

Euch einen schönen Tag,
Barbara
 
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Nichts Neues im Prinzip. Es gibt auch ein Buch: Die Krankheitserfinder: Wie wir zu Patienten gemacht werden
Jörg Blech



Produktbeschreibung Amazon:

Spektrum der Wissenschaft
Eigentlich, sollte man meinen, gibt es auf Erden von Natur aus genügend Krankheiten, und man muss nicht noch weitere hinzufantasieren. Aber genau das tun bestimmte Interessengruppen, behauptet der Journalist Jörg Blech in seinem neuen Buch. Dem markigen Titel »Die Krankheitserfinder« hat der Verlag die Anweisung »Lesen Sie dieses Buch, bevor Sie zum Arzt gehen!« hinzugefügt. Und der Rücktitel spricht von einem »Aufklärungsbuch«, in dem der Autor »enthüllt, wie wir systematisch zu Patienten gemacht werden«.
So viel Anmache macht misstrauisch. Schon wieder einer dieser endlos vielen Gesundheitsratgeber über Analfisteln, Pilzbefall oder das Zappelphilippsyndrom, die beim Leser außer Panik nichts bewirken?
Der provokante erste Eindruck täuscht: Der Inhalt des Buchs stimmt weniger nutzlos-aufgeregt als zutiefst nachdenklich. Jörg Blech will an diversen Beispielen aufzeigen, wie Krankheiten erfunden werden, um pharmazeutischen Unternehmen neue Märkte für ihre Produkte zu erschließen und Arztpraxen schleichend in Verkaufsstätten umzuwandeln. Dies gelingt zumeist, indem hinlänglich bekannte Krankheitsbilder so erweitert oder umgedeutet werden, dass aus einem Gesunden ein Kranker oder zumindest irgendwie Behandlungsbedürftiger wird.
Da gibt es etwa das »Aging Male Syndrome«, die Menopause des Mannes. Die wissenschaftliche Basis für die »männlichen Wechseljahre« ist dürftig. Nichtsdestotrotz propagieren Hormonfirmen die »Andropause« als ernste, weit verbreitete Erkrankung mit Symptomen wie Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen und Leistungsabfall, denen mit Testosteron-Gelen in Monatspackungen ab 65 Euro abzuhelfen sei.
Ein besonders schönes Beispiel dafür, wie man sich therapiebedürftige Menschen generieren kann, ist die sexuelle Unlust der Frau. Zur »weiblichen sexuellen Dysfunktion« pathologisiert, soll sie ausgerechnet mit dem Medikament kurierbar sein, das den Hersteller Pfizer zur weltgrößten Pharmafirma hat aufsteigen lassen: der Männerpille Viagra – einzunehmen, wohlgemerkt, von der Frau.
Keine »Indikationserweiterung«, sondern eine Erfindung im wörtlichen Sinn ist wohl das »Sissi-Syndrom«, eine Krankheit, die erstmals 1998 in den Medien auftauchte. Menschen, die darunter leiden, wurde behauptet, sind aktiv und lebensbejahend, allerdings nur dem Anschein nach. Denn im Grunde sind sie depressiv und damit Kandidaten für Psychopharmaka, wie die legendäre und in dem gleichnamigen Film verewigte österreichische Kaiserin Elisabeth (»Sissi«). Mediziner der Universitätsklinik in Münster, schreibt Blech, haben das benannte und angeblich drei Millionen Menschen quälende Leiden mittlerweile als Schöpfung der Industrie enttarnt.
Der Autor lässt es nicht bei der Aufzählung mehr oder weniger eindrücklicher Beispiele für »neue« Krankheiten bewenden. Er zeichnet vor allem die raffinierten Marketingstrategien nach, mit denen die Gesundheitsindustrie ihre Kunden – Ärzte und ihre Patienten – erreicht. Da werden vermeintlich unabhängige Meinungsforschungsinstitute angeheuert, teure PR- und Werbeagenturen beauftragt, Professoren angesehener Universitäten als Meinungsbildner – bei Insidern »Mietmäuler« genannt – gedungen und Journalisten als unkritische »Multiplikatoren« benutzt. Der enormen Medienpräsenz des genannten Sissi-Syndroms, die von Fachzeitschriften über »Spiegel« und »Stern« bis zur Yellow Press reichte, rühmt sich beispielsweise noch heute eine PR-Firma aus Oberursel auf ihrer Internetseite. Man habe, heißt es dort, eine »neue Depression« etabliert, die mittlerweile von Medizinern und Patienten akzeptiert sei. Zu den Erfolgen des Unternehmens zählt auch ein lanciertes Sachbuch, verfasst von einer Ärztin und Medizinjournalistin und eingeleitet vom Chefarzt einer neurologischen Fachklinik. Bis zu 80 Prozent aller Artikel und Beiträge zu Medizinthemen in den Medien, schreibt Blech, sollen auf eine derart gezielte, von langer Hand geplante Öffentlichkeitsarbeit zurückgehen.
Man sollte das Buch nicht lesen, wenn man wirklich zum Arzt muss. Wer krank ist, braucht nicht noch mehr Beunruhigung, sondern Vertrauen. Aber man sollte das spannend und populär geschriebene Buch lesen, um sich die fließende Grenze zwischen Gesund- und Kranksein zu vergegenwärtigen und sich die kritische Frage zu stellen, ob es klug ist, den Medizinbetrieb allein den Trivialgesetzen des Marktes zu überlassen.
-- Claudia Eberhard-Metzger -- Dieser Text bezieht sich auf eine vergriffene oder nicht verfügbare Ausgabe dieses Titels.
 
Hi,

ich bin nicht gerade eine Pharma-Fan.
ABER: Die Selbstverantwortung und den gesunden Menschenverstand an der Tür zum Arzt abzugeben, dafür darf sich jeder selbst "danke" sagen. Klar, es ist eine Frage der Erziehung: Lehrer, Arzt, Pfarrer, Bürgermeister und so.
Wir leben im 3. Jahrtausend - jetzt dürfen wir für uns selber schon denken.

Ich habe nicht erst einen Arzt völlig verblüfft, weil ich mich nicht gebeugt habe.

Der mündige Patient ist der Ruin der Pharmaindustrie. :D
 
Verlernen wir dadurch nicht, mit den verschiedenen Facetten unseres Menschseins umzugehen und weitestgehend selber Verantwortung für unser Gesundbleiben zu tragen?

Das ist genau die Frage, die mich schon so viele Jahre lang beschäftigt. Sind gesundheitliche Probleme nicht einfach nur ein Ausdruck vom Körper, der einem sagt, dass man nicht im Einklang ist mit sich selbst? Und wenn das tatsächlich so ist, was würde es dann für einen Sinn machen, zu einem Arzt zu gehen? Dieser sieht ja nur die Symptome und versucht sie zum Verschwinden zu bringen. Was einem vielleicht kurzfristig hilft aber längerfristig wohl kaum, denn wenn man Probleme nicht angeht sondern nur ihre Auswirkungen unterdrückt, macht man die Sache doch nur schlimmer.

Ich habe keine Ahnung, wie die Dinge wirklich sind - ich sehe nur, dass sich in meinem Leben (und im Leben der Menschen, die ich so kenne) - diese Idee, dass gesundheitliche Probleme nur ein Ausruck sind von Ungleichgewicht im Leben, bestätigt. Dies ist aber keineswegs ein Beweis für irgendwas. Aber es ist Grund genug für mich, dass ich schon vor vielen Jahren aufgehört habe, überhaupt noch zu Ärzten zu gehen, egal was ich habe. Ich kann jetzt zwar nicht damit prahlen, ich sei gesund (ich bin es nicht) - aber ich zweifle sehr daran, dass ich gesünder wäre (in einem ganzheitlichen Sinn - nicht nur auf einzelne Symptome bezogen), wenn ich mich von Ärzten behandeln liesse.

Ist es denn nicht so, dass unsere ganze westliche Medizin als Begründung ihrer Existenz behauptet, dass wir Menschen durch sie gesünder seien? Gesünder als bevor es sie gab? (Wäre das nicht so, könnten wir sie doch offensichtlich gleich weglassen.) Aber wer sagt denn, dass das wirklich stimmt, dass wir jetzt gesünder sind als früher? Für mich ist diese Aussage mehr als fragwürdig. Es ist schon so, dass wir gewisse Krankheiten jetzt nicht mehr haben - dafür haben wir andere, die es früher nicht einmal gab. Und auch wenn früher das Leiden der Menschen viel sichtbarer war, so heisst das noch lange nicht, dass wir jetzt gesünder sind. Wir haben jetzt einfach mehr Krankheiten, die man von aussen gar nicht sieht - bzw. stecken Menschen mit gesundheitlichen Probleme in irgendwelche Heime oder Spitäler, wo wir sie nicht mehr sehen.


Und noch eine Idee:
Ist es nicht so, dass unsere westliche Medizin gesundheitliche Probleme als Feinde sieht, gegen die es anzukämpfen gilt? Mindestens im Zusammenhang mit Krebs habe ich schon viele solche Äusserungen gehört. Wie soll denn das gut gehen? Mir scheint, wir suchen überall Feinde - ob im Aussen in Form von anderen Menschen oder anderen Ländern - oder im Inneren in Form von Viren oder Krebszellen (oder was auch immer) ...
Dabei gibt es das vielleicht gar nicht - Feinde. Mir ist die Idee wesentlich sympathischer, dass alles, was uns irgendwie stört, uns letztendlich nur darauf hinweisen will, dass wir mit einem Teil von uns selbst noch nicht im Reinen sind. Und dass wir, wenn wir gegen Feinde kämpfen (ob es andere Menschen sind oder die Krebszellen im eigenen Körper), letztendlich nur gegen uns selber kämpfen - und dabei immer nur verlieren können ...
 
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