Gewagt? Es ist genau das, wie ich die Stelle auch verstehe. Im Matthäus 27.46 wendet sich Jesus in seinem Leiden direkt an Gott: "Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Noch tiefer kann vermutlich die Qual eines Menschen gar nicht gehen. Der körperliche, geistige und seelische Schmerz führt Jesus hier in die absoluten Tiefen des Menschseins, und das heisst: Des Getrenntseins von Gott. Jesus ist hier isoliert bis zum Gehtnichtmehr, nämlich isoliert von seinen Jüngern (z.B. die Geschichte mit Petrus, der ihn verleugnet), isoliert von der Gesellschaft, deren Vertreter ihn ja munter an den Nagel geliefert haben, isoliert auch von den Machthabern, die dem aufgebrachten Mob Einhalt hätten gebieten können, es aber wohl aus Feigheit nicht getan haben, isoliert von jeglicher Normalität durch den grausamen körperlichen Schmerz und die Erniedrigung - und offensichtlich fühlt er sich auch verlassen von Gott. Und dennoch, und trotzdem, und gerade hier kotzt er sich alles aus dem geschundenen Leib und liefert sich völlig dem ihm (von Gott?) auferlegten Schicksal aus. "Nicht mein, sondern dein Wille geschehe." Der Mann muss verdammt Angst gehabt haben, als er zuvor betete: "Lass diesen Kelch an mir vorübergehen." Verständlich, ich hätte mir vor Angst in der entsprechenden Situation in die Hosen gemacht.Amixipi schrieb:Ich gehe mal davon aus dass Jesus nicht ständig mit Gott EINS war ( eine gewagte These, ich weis ). Auch er empfand Gottesferne, hatte Angst vor seinem zu erwartenden Tod und hat Gott gebeten "dass dieser "Kelch" an ihn vorrüber gehen möge". Doch hatte er so eine Treue zu Gott, dass er bekräftigt hat: "dein Wille geschehe". Seine Liebe zu den Menschen hat ihn das alles auf sich nehmen lassen. "Dein Wille geschehe" kann man auch "sein Ego aufgeben" nennen.
Die Auferstehung findet erst nachher statt, ist aber für das Verständnis der christlichen Heilslehre zentral. Denn: Selbst in diesem absoluten Nullpunkt der Entmenschlichung, den Jesus hier durchgeht, ist der Anfang des Neuen bereits wieder gesät. Das Ende ist gleichzeitig auch der Anfang. Tod und Auferstehung gehen zusammen, sind zwei Seiten einer Münze. Die Einheit wurde niemals verletzt, auch wenn das uns Menschen in unserer Beschränktheit und also Dualität oft ganz anders vorkommt.