Zwanzigstes Kapitel
Die göttliche Vorsehung einigt
das Entgegengesetzte
Um die Probe zu machen, dass wir durch unsere Prämissen zu tiefer Erkenntnis geführt werden, wollen wir nun das Gesagte auf die göttliche Vorsehung anwenden. Da gezeigt ist, dass Gott der Inbegriff von Allem ist, auch von dem Entgegengesetzten, so kann seiner Vorsehung nichts entgehen. Wir mögen etwas tun oder das Gegenteil hiervon, oder auch gar nichts, so war Alles in dem Vorhersehen Gottes enthalten. Nichts wird sich also ereignen, außer gemäß der göttlichen Vorsehung. Wenn man daher auch annehmen wollte, Gott habe vieles vorhersehen können, was er nicht vorhersah und nicht vorhersehen wird, und wenn er auch vieles vorhergesehen hat, was er auch konnte nicht vorhersehen, so erleidet doch die göttliche Vorsehung keinen Zuwachs oder Verminderung, wie folgende Vergleichung zeigt.
Die menschliche Natur ist Eines und einfach. Würde nun auch ein Mensch geboren, dessen Geburt man nie erwartete, so würde doch die menschliche Natur dadurch eben so wenig einen Zuwachs erhalten, als durch sein Nichtgeborenwerden einen Abgang erleiden, wie sie auch durch das Sterben der Geborenen keinen Abgang erleidet; denn die menschliche Natur fasst eben so wohl Die in sich, welche existieren, als auch Die, welche nicht existieren und auch nicht existieren werden, wiewohl sie hätten existieren können. Würde sich daher auch ereignen, was sich nie ereignen wird, für die göttliche Vorsehung wäre dies kein Zuwachs, weil sie sowohl das umfasst, was geschieht, als auch das, was nicht geschieht aber geschehen kann. Denn gleichwie in der Materie vieles möglich ist, was nie geschehen wird, so ist im Gegenteile Alles, was nicht geschieht, obgleich es geschehen kann, in der göttlichen Vorsehung nicht möglich, sondern wirklich, woraus nicht folgt, dass Jenes auch wirklich eintrete. Wie die unendliche Einheit alle Zahl in sich fasst, so fasst die Vorsehung Gottes Unendliches in sich, sowohl was geschieht, als auch was nicht geschieht, aber geschehen kann, und das Gegenteil, wie die Gattung die entgegengesetzten Differenzen in sich fasst. Und was die göttliche Vorsehung weiß, weiß sie nicht mit einem Zeitunterschiede, denn sie weiß die Zukunft nicht als Zukunft, die Vergangenheit nicht als Vergangenheit, sondern ewig, das Veränderliche in unveränderlicher Weise. Daher ist sie unveränderlich und nichts kann ihr entgehen, nichts ihr entweichen. Alles hat in Bezug auf sie Notwendigkeit, und zwar mit Recht, weil Alles in Gott Gott ist, der die absolute Notwendigkeit ist. Hieraus erhellt, dass das, was sich nie ereignen wird, in der oben dargegebenen Weise in Gottes Vorsehung enthalten ist, auch wenn es nicht als künftig eintretend vorhergesehen ist. Gott muss notwendig vorausgesehen haben, was er vorausgesehen hat, weil seine Vorsehung notwendig und unveränderlich ist, wiewohl er auch das Gegenteil von dem vorhersehen konnte, was er vorhergesehen hat; denn mit dem Inbegriffe ist noch nicht der inbegriffene Gegenstand, wohl aber mit der Entwicklung der Inbegriff gesetzt. Ich kann morgen lesen oder nicht lesen - was immer ich auch tue, ich entgehe der Vorsehung nicht, die das Entgegengesetzte umfasst, weshalb, was ich auch immer tue, der göttlichen Vorsehung gemäß geschieht. Ohne uns dabei die Freiheit der Entscheidung zu nehmen. So sehen wir, wie wir nach den Prämissen, die uns zeigen, dass das Größte allen Gegensätzen vorausgehe, weil es Alles in sich fasst, und es damit nur schwer ist, über die göttliche Vorsehung und verwandte Gegenstände uns einen richtigen Begriff bilden zu können.