Mit der Spiritualität hat der Mensch begonnen, über Jahrtausende sich und seine Welt zu verstehen und so ist sie zu einem Grundbedürfnis geworden, das uns mit in die Wiege gelegt wird. Religion sollte dabei einen Rahmen bilden, an dem wir unsere Spiritualität ausrichten können.
Auch ein Atheist kann dieses Bedürfnis nicht abstreifen, wie ein altes Kleid, nur suchen sie ihre Götter in der seelenlosen Welt der Wissenschaft. Die neuen Götter sind nun Einstein, Hubble, Nietzsche und Co, die sie nun anbeten und als die Verkünder der unumstößlichen Wahrheit erklären. Es ist nun die Frage, ob das wirklich zum Seelenheil eines Menschen führt? Eine unterkühlte Geisteswelt, in der für die lästigen Gefühle der Menschen kein Platz zu finden ist – hat sich damit unsere Welt wirklich zum Besseren gewandelt?
Wie das mit dem Grundbedürfnis nach Spiritualität so ist, kann man am Beispiel der Sowjetunion sehen. Da hatte man auch versucht, den Glauben der Menschen durch den Atheismus auszutreiben. Kirchen wurden zu Lagerhäusern umfunktioniert, die Gläubigen verfolgt und dennoch hat der Glaube all die Zeit im Kommunismus überdauert. Ja, die Gläubigen sind sogar noch näher zusammengerückt und ließen sie hoffen.
Wenn ich mich nun auf der Welt umschaue, sind da immer noch die Gleichen, denen es nur um Macht und Besitz geht und für die das Teilen etwas für die Dummen ist. Gerade diese sind es dann, die sich geschmeidig der jeweiligen Weltanschauung zu eigen machen. Früher bezogen sie ihr Tun auf eine Gottgewollte Ordnung und heute ist das Zauberwort die Globalisierung, der sich jeder unterzuordnen hat und dafür jeder Preis gerechtfertigt wird.
Jesus und viele andere Heilsverkünder hatten schon ihr Evangelium von einer besseren Welt gepredigt, die uns hoffen ließ, bis sich dann die Geschmeidigen ihren Vorteil daraus zogen. Religionen sind immer dann entstanden, wenn sich die Menschen einen Wandel zu einer besseren Gesellschaft herbeisehnten. Wenn ich aber die Evangelien von Jesus aufschlage, was haben die Menschen nach ihm, denn aus seiner frohen Botschaft gemacht? Soll ich nun aber resignierend die Botschaft von der Nächstenliebe Jesus oder Zarathustras Ermahnung zum Guten beiseitelegen?
Werden diese Botschaften nun schlechter, weil sich die Geschmeidigen in den Umhang mit dem Kreuz hüllten und sich im Namen Christi als Kreuzritter aufmachten, um Tod und Verderben zu verbreiten? Deshalb möchte ich mich auch nicht an den Kreuzzügen beteiligen, die sich gegen all die Gläubigen in dieser Welt richten.
Merlin
Eigentlich schätze ich die meisten Deiner Posts, dieser hier aber trieft von hohlen Versatzstücken und klischeehaften Reflexen.
Ich musste über
Spiritualität als Grundbedürfnis genauso grinsen, wie über die
unterkühlte Geisteswelt. Ganz famos ist die ungewohnt einfältige „Darstellung“ der Religion in der Sowjetunion.
Dabei fallen mir bei Dir normalerweise keine solchen Plattitüden auf.
Ein menschliches Grundbedürfnis ist sicher die Welt und die Erscheinungen und Vorgänge um uns herum verstehen zu wollen und möglicherweise auch einen Sinn im Leben zu finden.
Dafür braucht es aber keine (religiös unterfütterte) Spiritualität in der Begriffe wie Transzendenz, (ein wie auch immer gearteter) göttlicher Grund oder eine letztgültige nicht-personale Wahrheit, Erleuchtung o.ä. eine Rolle spielen.
Für den Erkenntnisgewinn, wie „unsere Welt“ funktioniert, hilft mir, trotz aller Unvollständigkeit, die Wissenschaft aus den verschiedensten Bereichen. Dabei verspüre ich nicht dass Bedürfnis, Wissenslücken reflexartig mit einem „göttlichen Wirken“ zu füllen. Etwas nicht zu wissen, oder nicht fundiert erklären zu können, macht einen Gott weder nötig noch argumentativ logisch.
In meinem persönlich-sozialen Umfeld spielt Wissenschaft naturgemäß kaum eine Rolle.
Das Leben als solches und das individuelle Leben jedes einzelnen hat per se keinen Sinn. Ebenso wenig haben Krankheiten, Artensterben, Hungersnöte, Vulkanausbrüche, Tsunamis oder ein Asteroideneinschlag einen Sinn. Sie geschehen, weil sie geschehen können, weil die Welt in der wir leben und die Art wie unser Organismus sich entwickelt hat, diese Möglichkeiten enthalten.
Unserem Leben Sinn zu geben ist ein aktiver (und ziemlich luxuriöser) individueller Prozess, mit vielen post hoc Interpretationen. Aber auch, wenn mein Leben nicht von irgendeiner „höheren Macht“ geplant war (oder gar das Leben insgesamt) und ich mich als kulturell geprägten bio-psycho-sozialen Organismus begreife, schätze ich es nicht weniger oder respektiere das Leben meiner Mitmenschen nicht weniger.
Es ist erheiternd und traurig zugleich, dass Du dieses Klischee der „
unterkühlten Geisteswelt, in der für die lästigen Gefühle der Menschen kein Platz zu finden sei“als Pseudoargument an Deine Fahne heftest.
Auch wenn Gefühle eine biologische Ursache haben und im Rahmen von Evolution entstanden sind sind sie nicht weniger wichtig oder echt. Für Mitgefühl, Gerechtigkeitsempfinden, Redlichkeit, Aufrichtigkeit, Staunen, Verantwortungsgefühl und Zuwendung zu Mitgeschöpfen uäm. brauche ich kein göttliches/ religiöses Hilfskonstrukt. Dafür genügt Humanismus und die Erkenntnis der eigenen Unwichtigkeit.
Ebenso wenig brauche ich für Missgunst, Hass, Aggression, Neid oder Gier das religiös verbrämte personifizierte Böse. Unsere evolutionäre Entwicklung hat in jedem von uns die Möglichkeit dazu gefestigt – und oft genug sind sie wichtige Triebfedern, ohne ein gewisses Maß an Aggression wären wir schon lange vor Einsetzen der kulturellen Evolution ausgestorben.
Als Atheistin habe ich nicht einfach einen Gottglauben durch einen Nicht-an-Gott-Glauben ersetzt. Genau so wenig, wie ich meinen kindlichen Glauben an den Osterhasen durch einen Nicht-an-den-Osterhase-glauben ersetzt habe oder durch einen Glauben an Match-Box-Autos oder die Lebensmittelindustrie.
Er hat mit meinem Reifeprozess einfach ersatzlos aufgehört zu „existieren“.
Meinem Gottglauben erging es ebenso. Gäbe es nicht so viele Gläubige, die ihrem Gottglauben staatstragende Macht und überindividuelle Wichtigkeit zuschreiben (ich denke mit Schaudern an PEGIDA und das christliche Abendland, aber auch an islamistische Sektierer), bräuchte ich keinen Begriff für Gottlosigkeit. Wir brauchen ja auch keinen Begriff für Nicht-an-den-Osterhasen-glaubend.
Jedwede Gottesform (ob personell, metaphysisch, pantheistisch) steht für mich persönlich in der gleichen Reihe wie Schneewittchen, Einhörner, Elfen, der Osterhase oder PanTau. Ich liebe Märchen und Märchenfiguren, sie sind absolut unterhaltsam, aber es sind eben Fantasiegestalten.
Um die Welt zu verstehen oder Sinn zu finden brauche ich sie nicht, und in meinem persönlichen Leben fehlen sie mir nicht. Es gibt einfach keinen Grund ihre Existenz anzunehmen, schon gar nicht, solange es keinerlei haltbaren Hinweise auf ihr Vorhandensein gibt. Das gilt auch für die „Seele“ (als unabhängiges Etwas, dass den individuellen Tod überdauert). So gesehen lebe ich in einer völlig seelenlosen, aber keineswegs unterkühlten Welt
Ich habe meinen Gottglauben auch nicht durch einen Wissenschaftsglauben ersetzt. Ich „glaube“ nicht an die Schwerkraft, die starke od. schwache Kernkraft, die Gesetze der Thermodynamik, die Evolution oder den möglichen Erkenntnisgewinn von randomisierten, placebokontrollierten Doppelblind-Studien. An Dinge, die in konkreten Fragestellungen, unzähligen Wiederholungen und den beständigen Versuchen der Widerlegung Bestand haben und eine Fülle von reproduzierbaren Belegen liefern, brauche ich nicht zu glauben. Sie gehören zu unserem Wissenskanon. Sie sind, da es letztendliche Gewissheit nicht geben kann, vorläufig aber keineswegs beliebig.
Warum solltest Du übrigens die „Botschaft Jesu“ resigniert beiseite legen? Wenn sie in Deinem Leben wichtig ist, gibt es doch keinen Grund dafür. Ein persönlicher Glaube, eine Überzeugung ist genau das – persönlich.
Da spielt es keine Rolle, dass es keine Belege gibt, oder ob andere Menschen den gleichen Glaubenssatz anders interpretieren.
Die "Botschaft Jesu" wird durch negative Anwendung nicht schlechter, sie wird aber auch durch positive Interpretation nicht wahrer...