Macht Glück angst?
»Viele Menschen haben Angst vorm Glücklichsein. Denn um glücklich
zu sein, müßten wir viel an uns und unseren Gewohnheiten aufgeben
oder ändern. Häufig sträuben wir uns gegen die guten Dinge, die uns
widerfahren, halten uns ihrer für unwürdig. Wir nehmen sie nicht an,
weil wir fürchten, damit in Gottes Schuld zu stehen.
Wir denken: >Es ist besser, nicht vom Kelch der Freude zu trinken,
weil wir leiden werden, wenn wir ihn einmal nicht mehr haben.<
Aus Angst, an Größe zu verlieren, wachsen wir nicht. Aus Angst davor
zu weinen, hören wir auf zu lachen.«
Wozu leben?
Zu den Festen im spanischen Valencia gehört eine merkwürdige
Tradition, die ihren Ursprung in der alten Bruderschaft der
Zimmerleute hat.
Das ganze Jahr hindurch bauen Handwerker und Künstler riesige
Holzskulpturen. In der Woche der Feria stellen sie diese Skulpturen
auf dem Hauptplatz der Stadt auf, zur Freude der Passanten. Doch
am Tag des heiligen Joseph werden alle Skulpturen - bis auf eine - in
einem riesigen Feuer vor Tausenden von Zuschauern verbrannt.
»Wozu die ganze Arbeit?« fragte ein englischer Tourist, als er die
Flammen zum Himmel aufsteigen sah.
»Auch du wirst eines Tages enden«, antwortete ein Spanier. »Glaubst
du, daß ein Engel, wenn dieser Tag gekommen ist, Gott fragen wird:
>Wozu die ganze Arbeit?<«
Liebe
»Wir alle brauchen Liebe. Liebe ist Teil der menschlichen Natur,
genauso wie Essen, Trinken und Schlafen. Manchmal sind wir
vollkommen allein, betrachten einen wunderbaren Sonnenuntergang
und denken: »Diese Schönheit macht keinen Sinn, weil ich sie mit
niemandem teilen kann.<
In diesen Augenblicken sollten wir fragen: Wie häufig sind wir um
Liebe gebeten worden und haben uns einfach abgewandt? Wie oft
haben wir Angst gehabt, uns jemandem zu nähern und ihm oder ihr
ins Gesicht zu sagen, daß wir verliebt sind? Hütet euch vor der
Einsamkeit. Sie macht genauso süchtig wie die stärkste Droge. Wenn
der Sonnenuntergang keinen Sinn für dich zu haben scheint, sei
demütig und mache dich auf die Suche nach Liebe. Denn du mußt
wissen, daß es bei ihr wie auch bei anderen spirituellen Segnungen
ist: Je mehr zu geben du bereit bist, desto mehr wirst du im Gegenzug
empfangen.«
Die drei Bananen
Ein Freund des Wanderers beschloß, ein paar Tage in einem Kloster
in Nepal zu verbringen. Eines Nachmittags trat er in einen der vielen
Tempel des Klosters und sah einen lächelnden Mönch auf dem Altar
sitzen.
»Warum lächelst du?« fragte er.
»Weil ich die Bedeutung der Bananen begriffen habe«, sagte der
Mönch und öffnete seinen Beutel, aus dem er eine verfaulte Banane
zog. »Dies ist ein Leben, das zu Ende gegangen ist, bevor es genutzt
wurde - und nun ist es zu spät.«
Dann zog er eine noch grüne Banane aus seinem Beutel. Er zeigte
sie dem Mann und steckte sie wieder ein. »Dies ist ein Leben, das
noch nicht zu Ende ist und auf den richtigen Augenblick wartet«, sagte
er.
Schließlich zog er eine reife Banane aus dem Beutel, schälte sie, teilte
sie mit dem Mann und sagte:
»Dies ist der jetzige Augenblick. Lebe ihn furchtlos.«
Im Namen der Wahrheit
Im Namen der Wahrheit hat die Menschheit einige ihrer schlimmsten
Verbrechen begangen. Männer und Frauen wurden auf dem
Scheiterhaufen verbrannt. Die Kultur ganzer Zivilisationen wurde
zerstört. Diejenigen, die die Sünde begingen, Fleisch zu essen,
wurden verbannt. Diejenigen, die einen anderen Weg suchten,
wurden an den Rand der Gesellschaft gedrängt.
Einer von ihnen wurde im Namen der Wahrheit gekreuzigt. Doch er
hinterließ uns, bevor er starb, die Definition der Wahrheit.
Sie gibt uns keine Gewißheiten.
Sie gibt uns keine Größe.
Sie macht uns nicht besser als andere.
Sie hält uns nicht im Kerker der Vorurteile gefangen.
Die Wahrheit macht uns frei.
Erkennt die Wahrheit, und die Wahrheit wird euch frei machen, sagte
Er.
Gibt es Gott?
Eines Morgens, als Buddha inmitten seiner Schüler saß, trat ein Mann
hinzu.
»Gibt es Gott?« fragte er.
»Es gibt ihn«, antwortete Buddha.
Nach dem Mittagessen kam ein anderer Mann.
»Gibt es Gott?« fragte er.
»Nein, es gibt ihn nicht«, sagte Buddha.
Am Abend kam ein dritter Mann, der dieselbe Frage stellte:
»Gibt es Gott?«
»Das mußt du selber entscheiden«, antwortete Buddha.
»Meister, das ist absurd!« sagte einer seiner Schüler. »Wie könnt Ihr
auf ein und dieselbe Frage verschiedene Antworten geben?«
»Weil es unterschiedliche Menschen sind, die mir die Frage stellen«,
antwortete der Erleuchtete. »Ein jeder nähert sich Gott auf seine
Weise: durch die Gewißheit, die Negation und den Zweifel.«
der wanderer von paulo coelho