Eine alte Frage, die hier aufgegriffen wird. Und ein altes Problem, dass hier Ebenen gern durcheinander wirbeln.
Dabei stellt sich die Frage: wo liegt sie, die erkannte Wahrheit - in uns oder außerhalb von uns? Schaffen wir sie oder zeigt sie sich uns - in wenigen Momenten der Klarheit - nur?
Mit Heidegger könnte man sagen: Wahrheit (griech.: aletheiya - das Unverborgene) ist, was sich uns aus dem bisher Verborgenen entbirgt. Erst wenn sie von uns gesehen und angenommen ist, kann sie uns auch erfüllen. Dann können wir uns auch nach ihr richten. Vielleicht gelingt es uns (gar mir?) dann unsere Begriffe und Worte, ja unsere Gedanken so zu zügeln, dass sie mit dem Fakt, wie er sich gezeigt hat, übereinstimmen.
So können wir auch die Wahrheit, wie sie sich gezeigt hat, an der erfahrbaren Wirklichkeit (=den WIRKUNGEN) prüfen. Wir können sogar mit ihr experimentieren. Dies geschieht in der Wissenschaft. Dort gilt: wenn ein Experiment wiederholbar ist, dann ist es wissenschaftlich. Dies ist sicher eine bedeutende Anwendung der Wahrheit.
Allerdings: die Wissenschaft ist nicht die ganze Wahrheit. Überall wo es um Wesentliches geht, sei es Schicksal, Frieden, Liebe oder alles was unsere Seele erfüllt und beglückt, Weisheit, Mut oder Kunst, ja gar den Geist, dort lässt uns diese wissenschaftliche Wahrheit einfach im Stich, wie eine lieblose Geliebte.
Auch alles Handeln aus Einsicht im Moment kann sich nicht nach etwas bereits Gegebenem richten oder an ihm überprüft werden, denn es gibt oft noch keinen Sachverhalt, keinen Präzedenzfall, der dafür überprüfbar wäre, weil die Einsicht erst den Sachverhalt und das Ergebnis schafft. Dennoch erfahren die Beteiligten dieses Handeln als "richtig" und übereinstimmend mit der Wahrheit und der Situation und ihren Erfordernissen.
Unbeteiligten und Urteilenden - zudem wenn sie sich über die Beteiligten stellen - erscheint dieses Handeln dann schwer nachvollziehbar. Oft verurteilen sie dann von außen - ohne Kenntnis der der Handlung zugrunde liegenden Wahrheit - den Handelnden.
Die Einsichten dieses Handelnden kommen aus etwas Verborgenem und im Einklang mit ihm. Dieses Verborgene ist etwas, das in allem und allen schöpferisch wirkt. Die Einsicht in dieses Verborgene bewirkt Handeln und erfordert es dann auch unmittelbar.
Das Nachdenken über die Wahrheit und den Zugang zu ihr nennt man Philosophie. Leider hat die - inclusive der Esoterik - ihre Grenzen. Diese Grenzen liegen vor allem dort, wo sie mehr wissen will, als für den unmittelbaren Vollzug des Lebens wichtig ist.
Manche (auf der Basis der Gestaltpsychologie und des Konstruktivismus z.B.) leiten z.B. aus der Erfahrung der Sinnestäuschung und z.B. dem Nachweis, dass Farben sich aus der Kombination von Sinneseindrücken und deren Verarbeitung im Gehirn ergeben (also der Erkenntnis, dass es Farben wie wir sie sehen außerhalb unserer Wahrnehmung nicht gibt), ab, unsere Erkenntnis sei per se trügerisch und könne die Wirklichkeit nicht erfassen, ja konstruiere sie nur.
Solche Betrachtung verlangt, dass wir über das für unser Leben Notwendige "mehr" wissen müssten, als es für das Leben notwendig ist, etwas das jenseits von ihm und über ihm da ist und wirkt. Aber kann es eine bessere Erkenntis geben, als die, dass ganz umgekehrt die Weise unserer Sinneserfahrungen - ganz gleich wie sie denn zustande kämen - unser Leben erst erfüllt und wunderbar macht?
Fügt die kritische Betrachtung, wie denn Erkenntnis zustande kommt, dem Leben und der alltäglichen Erfahrung etwas hinzu, das wesentlich ist? Oder ist es ein Versuch, sich über diese Erfahrung (und das Leben) erheben zu wollen? Ist es nicht sogar eine Absage an das in den uns gegebenen Grenzen mögliche Leben und an die Erfüllung? Wie können wir denn - wenn wir denn so begrenzt sind, wie es gesagt wird - wissen, dass und ob es jenseits dieser Grenzen etwas für uns Besseres und Schöneres gibt?
Ganz krass wird es bei den Wirklichkeits- und Wahrheitsgestaltern, die sozusagen "selbstschöpferisch" die Wahrheit und mit ihr die Welt entwerfen und dann die Welt (und die Wahrheit), wie sie ist und die Menschen ihrem Entwurf angleichen wollen. Welt und Menschen, sie sollen um jeden Preis manchmal diesem Entwurf angepasst werden. Und dies geschieht - legitimiert durch vermeintlich "höhere" Werte (die sich einzig aus dem Entwurf ableiten) - womöglich mit Gewalt. Statt dass sich Erkenntnis nach dem richtet, was in der Welt da ist und sich in ihr vollzieht, sollen wir die Erkenntnis so verändern, das wir das erkennen, was "designed" undvorgesehen ist. So etwas enennt man dann Religion oder? Manche nennen es auch Esoterik.
Christoph