Der Wald über der Au ist schon so ein eigener Gesell', er fängt die hektischen Gedanken förmlich ein, läßt die Sorgen irgendwo und irgendwie in den Wurzelgeflechten seiner Bäume verschwinden, und das anfängliche bloße Gefühl der Kühle, das ganz alleine die Aufmerksamkeit auf sich zieht, wird langsam, ganz langsam zum Erleben. Zu der Kühle gesellt sich unauffällig die Stille, welche die Erinnerung an Lärm und Alltagsgeräusche ersetzt ... und dann wird die Stille, eigentlich unhörbar, doch wieder hörbar, aber anders ... sie wiederum wird zum leisen Raunen und Flüstern. Kaum ein Blatt regt sich - und doch ....
Der Blick, der so nach Innen gerichtet war, wendet sich ebenso bedächtig ans Außen, die Augen werden größer, das Erkennen beginnt ... fast zögernd verlieren sich die letzten Spuren von Angespanntheit, Ärger und Sorgen, und weichen einer anderen Sichtweise, nämlich der natürlichen Sichtweise im Jetzt!
Jetzt schaue ich, jetzt höre ich, jetzt empfinde ich, jetzt fühle ich .... und bin bereit für die vielerlei Botschaften, die aus Ästen quillt, die sich hinter mächtigen Stämmen versteckt, die in der Luft schwebt ... und jetzt nehme ich IHN auch wahr, den mächtigen Botschafter am Wegrand, der prall und voll frühlingshaftem Leben verschwenderisch viele Blätter über den Weg breitet und ihn damit beschattet, kühlt ... kühlt ... jaja, und damit, mit dieser Kühle, am ersten Zipfel meiner Aufmerksamkeit gezupft hat ....
Interessiert und aufmerksam schaue ich mich um, betrachte die aufragenden Stämme und finde die Botschaft des Alterns, des Sterbens, die mir wie schon öfter die Mahnung zuruft, die Zeit zu nutzen, sie nicht zu sparen für unergründlich lange - oder kurze - Zukunft! Während ich den toten Stamm betrachte, wandert der Schatten weiter, und freundlich umschmeichelt jetzt die Sonne den Leichnam, wärmt ihn, als wollte sie ihn wiederbeleben ... und in ihrem Licht werden zitternde und flirrende Insekten sichtbar, die den Baum umschwirren ... für sie ist er wohl nicht tot, sondern einfach wichtig - als Lebensraum, als Deckung, als Nahrung, als Brutstätte - und so ihn der Mensch in seiner kurzsichtigen Handlungsweise nicht umschlägt, wird er so noch lange leben .. mit Anderen und durch Andere ....
Der Waldrand bringt feuchten, kalten, frösteligen Wind mit sich - und in der Ferne über dem Donaubecken zieht sich Unheil zusammen. Die Donau, uralter Fluß, heiliges Wasser, in der nach alten Sagen die Göttin wohnt, ja, die selber die Göttin IST, denn sie bringt Fruchtbarkeit, wie Wasser es eben überall mit sich bringt! Ob ihr Name mit der irisch-keltischen Göttin Anu (d'Anu) in Verbindung zu bringen ist? Viele uralte heilige Namen wurden am Anfang der Menschenzeiten geboren und vielleicht mitgetragen in Geschichten, Sagen, Traditionen, anderswo gleich angewendet, um die Heimat nicht zu vergessen ... aber all dies ist Spekulation und der Wissenschaft als Wissen nicht recht geheuer. Dennoch ist es ein schöner Weg, die Gedanken verfließen zu lassen mit Wissen und Halbwissen und Spüren und Ahnen ... es ist ein Spiel, das die Natur ermöglicht, denn niemand weiß darum und niemand kann es deshalb bewerten, abwerten ...
Träge fließt die Donau in ihrem Bett und läßt die Zeiten vergessen, wo sie wild und ungebärdig die frechen Menschen, welche in Booten auf ihr fuhren und Handel treiben, so manches Mal einfach verschlungen hat. Die Zeiten, wo Felsen im Flußbett die Wasser aufgischten ließen und so vor allzu großem Übermut warnten. Die Zeiten, wo die seltenen Hochwässer die Siedlungen an den Ufern mit ihren Brücken bedrohten, manchmal durch die Wassermassen zertrümmerten, mit sich rissen und jede Spur auslöschten, scheinbar sinnlos wütend die Ufer und Inseln veränderten ... um dann wieder ruhig und still dahinzufließen und Dichter und Sänger zu einschmeichelnden Reimen und sanfter Musik mit lobenden Liedern zu animieren.
Ein wundervoller Fluß, der viel Platz hat für Gedanken ....
Ich schließe die Augen, gebe jeden Rest von Belastendem diesem stillen Wasser mit, damit es das alles fortträgt, drehe mich dann leicht und unbeschwert um und wandere zurück ... in meiner Mitte ...
ein ausgeglichener
cerambyx