Heike Pourian hat ein gutes Buch geschrieben, unter anderem beleuchtet sie auch das Schulsystem
mit ihrer Wahrnehmung... es kann auch als "Arbeitsbuch" verwendet werden oder als Grundlage für
den Austausch dienen.
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WENN WIR WIEDER WAHRNEHMEN
„Es ist unabdingbar geworden, dass wir uns mit jeder Faser unseres Seins dem Wandel widmen. Unsere Kultur macht es uns allerdings sehr schwer, beides überhaupt zu spüren: die Fasern und das Sein. Wir haben den Kontakt zu unseren Körpern verloren und damit zu unseren Sinnesempfindungen. Und wir haben verlernt, einfach nur da zu sein. Wieder wahrnehmen zu lernen kann uns den Weg zu wirklicher Veränderung weisen. Es ist radikal und sehr politisch.“
Anliegen des Buches
„Wenn wir wieder wahrnehmen“ möchte ein Weckruf sein. Kein Aufschrei, auch kein Aufruf zu panischem Aktionismus um kurz vor oder nach zwölf. Eher eine Einladung, innezuhalten und dadurch wach zu werden. Es möchte be- schreiben, was uns abhanden gekommen ist – tiefes, bezogenes Wahrnehmen – und wie wir es wiederfinden können. Dazu erzählt dieses Buch nicht nur viele persönliche Geschichten, sondern dient auch als eine Art Wandel-Almanach. Informative Einschübe widmen sich Themen und Begriffen wie z. B.: Tiefenökologie, regenerative Kulturen, Transformation, Privilegbewusstsein, strukturelle Gewalt, kollektives Trauma.
Wir müssen anerkennen: Wie sich im Moment das gestaltet, das wir Leben nennen, dient nicht dem Leben. Wenn sich nicht etwas Wesentliches verändert an unserer Kultur, dann wird die Menschheit als kurze Episode in die Geschichte des Lebens auf diesem Planeten eingehen. Ein evolutionärer Irrtum, eine Sackgasse, die in abseh- barer Zeit ein Ende finden wird, weil wir mit unserer Lebensweise sowohl anderes Leben vergiften und auslöschen, als auch in logischer Folge unser eigenes. Ohne anderes Leben können wir nicht sein.
Der Klimawandel – als Symbol für die vielfältigen Krisen unserer Zeit – ist zwar in unser Bewusstsein gerückt, nicht aber die Einsicht, dass es darum geht, unser Verhältnis zum Leben, das ganze Narrativ, auf dem unsere Kultur fußt, grundsätzlich zu hinterfragen. Dazu fehlt uns die Zeit, wir sind gestresst und hecheln im Hamsterrad. Und wir fühlen uns ohnmächtig, leiden unter den Lebensbedingungen unserer zivili- sierten Welt – und kreieren sie doch mit. Denn wir verkörpern diese Kultur und erschaffen sie durch unser Handeln jeden Tag neu, geben ihr Futter und Bestätigung. Wir selbst schaffen diese Kultur – nicht irgendwelche externen Kräfte. Wenn wir das begreifen und bereit sind, unsere Verzweiflung darüber zu spüren, erst dann kann sich etwas verändern – nicht oberflächlich, sondern grundlegend.
„Wenn wir wieder wahrnehmen“ ist ein Plädoyer dafür, dass wir Menschen unserem überbewerteten Verstand eine feine Wahrnehmungsfähigkeit und Sinnlichkeit an die Seite stellen, damit wieder in Balance geraten kann, was momentan in einer Schieflage steckt. Wie können Denken und Spüren in ein produktives Wechselspiel miteinander kommen und wie können wir aus so einer Haltung und Fähigkeit heraus die Welt lebensförderlich gestalten?
Ohne wache Sinne hat der Verstand keine Basis, wir haben uns im wahrsten Sinn des Wortes entwurzelt. Oder vielmehr: Wir konnten nie ganz auf der Erde landen und uns in der Geborgenheit des Lebensgefüges beheimaten, weil wir bei unserer Geburt keine guten Bedingungen vorfanden. Vor lauter Schreck haben wir uns in unseren Kopf zurückgezogen und hoffen, dort Sicherheit über Kontrolle zu finden. Dieses Bedürfnis zu kontrollieren entspringt allerdings nicht einer Souveränität, sondern unserer starken Verunsicherung und dem über die Jahre angehäuften (kollektiven) Trauma. Was dieser Kontrollzwang anrichtet, davon zeugen die vielfachen Krisen unserer Zeit.
Also gilt es, die Errungenschaften des Verstandes mit unserer Kreatürlichkeit bewusst wieder zu verweben, um in unser volles Potenzial hineinzuwachsen. Das erfordert Übung und die beherzte Entscheidung, gewohnte Pfade und damit auch liebgewordene vermeintliche Sicherheiten zu verlassen.
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Kulturwandel braucht eine Rückbesinnung auf die Weisheit, die allem Lebendigen innewohnt. Ich erzähle davon, wie ich meiner Sehnsucht nach Lebendigkeit folgte und beschreibe, welche somatisch-künstlerisch-politische Praxis daraus erwuchs. Damit will ich nicht unbedingt zum Nachmachen anregen – vielmehr dazu, dem eigenen Ruf zu folgen.
Heike Pourian • WENN WIR WIEDER WAHRNEHMEN: Wach und spürend den Krisen unserer Zeit begegnen • mit Bildern von Sibylle Reichel • Ein Buch von Ideen hoch drei
wahrnehmen.org