Projektive Identifizierung

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WildSau

Guest
... ist ein Begriff aus der Psychoanalyse. Genauer gesagt ist es ein (sehr primitiver) Abwehrmechanismus.
... bedeutet im Grunde nichts Anderes, als dass man die unterdrückten Gefühle anderer für sie fühlt.

Ich stelle das Thema in diesem UF zur Diskussion, weil häufig im Kontext vom Seelenverwandtschaftsglauben davon berichtet wird, man würde "den anderen spüren". Und weil das unter diesem Blickwinkel gesehen sogar stimmt. Nur ist es eben nicht wirklich etwas Gutes.

Und ich oute mich an dieser Stelle: ich kenne das Phänomen selbst sehr gut, und hatte mitunter ganz schön damit zu kämpfen. Heute bin ich gut geerdet und sortiert und bei mir, und kann in der Regel unterscheiden, welche Gefühle meine eigenen sind, und welche mir jemand unterjubelt.

Ich habe auf Youtube dieses wunderbare Video gefunden, wo erklärt wird, was genau da passiert. Ich hab mich dadurch sehr validiert gefühlt. Im Grunde erzählt er meine eigene Lebensgeschichte. Ich würde euch wirklich bitten, das Video anzusehen, bevor ihr euch hier beteiligt. Es ist halt auf Englisch.


Das einzig "übersinnliche" an der ganzen Sache ist, dass ich persönlich solche Fremdgefühle nicht nur in der physischen Gegenwart der projizierenden Person wahrnehme, sondern auch in deren Abwesenheit. Je nachdem von welchem Standpunkt man das nun sieht, kann man das nun natürlich als psychotisches Erleben einsortieren. Oder eben als Hellfühligkeit. Wie auch immer: ich empfinde diese Wahrnehmungen sehr oft als belastend.

Deswegen würde ich mich gerne ernsthaft und vor diesem theoretischen Hintergrund darüber austauschen. Ich würd auch gern lernen, mich davor besser zu schützen.

Würde mich freuen, wenn sich Leute fänden, die auch solche Erfahrungen haben!
 
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Nun ja, weiss nicht genau, was du diskutieren möchtest. Aber ja, ist halt was, was Menschen so tun. Und man kann bloss die Projektion "aufnehmen", für welche man selbst eine gewisse Neigung hat. Das heisst: "Schützen" davor kann man sich nicht. Man kann aber lernen, das als nützliches Instrument zu benutzen, um die Situation besser zu verstehen.

Wenn du in einer Situation bist, wo du dich wunderst, warum du dich grade (im Kontakt zu einer Person) so fühlst, wie du dich eben fühlst, und sich das irgendwie ungewöhnlich anfühlt, dann kannst du versuchsweise mal überlegen, ob das jetzt eine Übertragung (mittels projektiver Identifikation) der anderen Person auf dich sein könnte, mit welcher du mittels einer Gegenübertragung reagierst. Dreh den Spiess einfach mal um: "Nicht ich fühle mich so, sondern mein Gegenüber fühlt sich so." Was ergeben sich daraus für Schlüsse?

Auf diese Weise kannst du - womöglich - etwas erkennen, was auf dich projiziert wurde, für welches du eine gewisse innere Neigung mitbringst.
 
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Übertragung und projektive Identifikation sind übrigens theoretisch eng verwandte, aber unterschiedliche Begriffe. Leider fällt es auch mir schwer, den Unterschied wirklich präzise zu begreifen.

Das hier erklärt den Unterschied recht schön - ist aber immer noch schwierig genau zu begreifen: https://cyc-net.org/threads/difference.html

Ich muss mal schauen, ob ich irgendwie auf dieses Paper hier Zugriff kriegen kann: https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/00107530.1994.10746874?journalCode=uucp20

Es gibt auch eine ganze Menge wissenschaftliche Literatur zu den beiden Begriffen: https://scholar.google.ch/scholar?hl=de&as_sdt=0,5&q=Transference+and+Projective+Identification&btnG=
 
Also, so wie ich die beiden Begriffe verstehe:

Übertragung bezeichnet eher einen situativen Vorgang, weniger einen psychischen Mechanismus oder eine bestimmte psychische Funktion. Und zwar handelt es sich um eine Situation, in welcher ein Mensch Anteile aus seiner Kindheit mitnimmt, und dann sozusagen erwartet, dass der/die Gegenüber jetzt sich den eigenen Erwartungen entsprechend verhalten solle. Falls dann jene Person mit eigenen aus der Kindheit entwachsenden Erwartungen antwortet und somit auf das Spiel einsteigt, dann handelt es sich um eine Gegenübertragung.

Projektive Identifikation bezeichnet dagegen eher einen psychischen Mechanismus, weniger einen bestimmten situativen Vorgang. Und zwar spaltet eine Person eigene Empfindungen und Gefühle von sich ab, und projiziert diese in die andere Person. Dadurch erkennt die projizierende Person nicht mehr länger, dass diese Empfindungen und Gefühle tatsächlich die eigenen sind oder wären. "Nein, ich bin gar nicht wütend, ich schlag hier einfach so grad alles kurz und klein." Die andere Person kann diese projektive Identifikation in sich "aufnehmen", und beginnt dann diese abgespaltenen Empfindungen und Gefühle in sich wahrzunehmen, ohne zuerst zu merken, dass sie eigentlich von aussen kommen.

Selbstverständlich können beide - Übertragung/Gegenübertragung und projektive Identifikation - miteinander verknüpft sein und sind es oft auch! Es ist aber nicht zwingend so nötig, nämlich dann nicht, wenn z.B. die abgespaltenen Gefühle eben z.B. nichts mit der eigenen Kindheit zu tun haben.

Wie du siehst, klingt das ein wenig nach Haarspalterei, und das ist es vermutlich auch. Offenbar kommt der Begriff der Übertragung und Gegenübertragung eher von Freud, während die projektive Identifikation eher ein Begriff von Melanie Klein war. Somit stehen hinter beiden Begriffen grössere Theoriegebäude, die natürlich verwandt sind, aber eben nicht immer gleich, und auch nicht in allen Punkten übereinstimmend.
 
Nun ja, weiss nicht genau, was du diskutieren möchtest.
Nichts will ich diskutieren. Ich möchte gerne persönliche Erfahrungen zu dem Thema und zum individuellen Umgang mit diesem Phänomen austauschen.
Aber ja, ist halt was, was Menschen so tun.
Ja, und manche mehr als andere. Und manche nehmen es intensiver war als andere. Und das kann einen Leidensdruck erzeugen.

Und man kann bloss die Projektion "aufnehmen", für welche man selbst eine gewisse Neigung hat. Das heisst: "Schützen" davor kann man sich nicht.
Das finde ich z.B. eine interessante Aussage.
Und woher meinst du, sollte diese "Neigung" kommen?
Wenn du in einer Situation bist, wo du dich wunderst, warum du dich grade (im Kontakt zu einer Person) so fühlst, wie du dich eben fühlst, und sich das irgendwie ungewöhnlich anfühlt, dann kannst du versuchsweise mal überlegen, ob das jetzt eine Übertragung (mittels projektiver Identifikation) der anderen Person auf dich sein könnte, mit welcher du mittels einer Gegenübertragung reagierst. Dreh den Spiess einfach mal um: "Nicht ich fühle mich so, sondern mein Gegenüber fühlt sich so." Was ergeben sich daraus für Schlüsse?

Auf diese Weise kannst du - womöglich - etwas erkennen, was auf dich projiziert wurde, für welches du eine gewisse innere Neigung mitbringst.
Sicher. Das mach ich ja auch. Nur: problematisch wird es an dem Punkt, wo man durch diese Information, die man in sich findet, denkt, mehr über eine andere Person zu wissen, als sie selbst. Und tatsächlich tut man das ja auch. Man spürt eben dieses Gefühl, das der andere nicht haben "kann" und projizieren muss. Das schlimme daran ist nun, dass man die eigene Wahrnehmung nicht verifizieren kann, und mit diesem Wissen ganz alleine dasteht. Wenn man zu diesem Menschen hingehen würde, und ihm sagen: "du, ich fühle da etwas von dir, das du nicht fühlst", dann würde man höchstens für verrückt erklärt. Das würde massiv abgewehrt. Für den anderen ist das Gefühl nämlich nicht existent - es ist für ihn so unerträglich, dass er es abspalten muss.

Sicher, in der Psychotherapie kann es sehr nützlich sein, auf Basis derartiger Informationen zu arbeiten. Im alltäglichen Leben und in privaten Beziehungen kann es aber massiv überfordernd sein, für den, der sich mit den Projektionen anderer identifiziert. Für mich ist es das oft. Deshalb wünsche ich mir Austausch mit anderen Betroffenen.
 
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Wie du siehst, klingt das ein wenig nach Haarspalterei, und das ist es vermutlich auch. Offenbar kommt der Begriff der Übertragung und Gegenübertragung eher von Freud, während die projektive Identifikation eher ein Begriff von Melanie Klein war. Somit stehen hinter beiden Begriffen grössere Theoriegebäude, die natürlich verwandt sind, aber eben nicht immer gleich, und auch nicht in allen Punkten übereinstimmend.
Mir sind die theoretischen Begrifflichkeiten dahinter gar nicht so wichtig. Ich denke, wen es betrifft, der weiß schon, was ich meine. Mir geht es um Erfahrungen, den praktischen Umgang mit dieser Veranlagung und ein gutes Leben damit.
 
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Nichts will ich diskutieren. Ich möchte gerne persönliche Erfahrungen zu dem Thema und zum individuellen Umgang mit diesem Phänomen austauschen.

Ja, und manche mehr als andere. Und manche nehmen es intensiver war als andere. Und das kann einen Leidensdruck erzeugen.


Das finde ich z.B. eine interessante Aussage.
Und woher meinst du, sollte diese "Neigung" kommen?

Sicher. Das mach ich ja auch. Nur: problematisch wird es an dem Punkt, wo man durch diese Information, die man in sich findet, denkt, mehr über eine andere Person zu wissen, als sie selbst. Und tatsächlich tut man das ja auch. Man spürt eben dieses Gefühl, das der andere nicht haben "kann" und projizieren muss. Das schlimme daran ist nun, dass man die eigene Wahrnehmung nicht verifizieren kann, und mit diesem Wissen ganz alleine dasteht. Wenn man zu diesem Menschen hingehen würde, und ihm sagen: "du, ich fühle da etwas von dir, das du nicht fühlst", dann würde man höchstens für verrückt erklärt. Das würde massiv abgewehrt. Für den anderen ist das Gefühl nämlich nicht existent - es ist für ihn so unerträglich, dass er es abspalten muss.

Sicher, in der Psychotherapie kann es sehr nützlich sein, auf Basis derartiger Informationen zu arbeiten. Im alltäglichen Leben und in privaten Beziehungen kann es aber massiv überfordernd sein, für den, der sich mit den Projektionen anderer identifiziert. Für mich ist es das oft. Deshalb wünsche ich mir Austausch mit anderen Betroffenen.
Es gibt nicht "Betroffene" und "Nicht-Betroffene" - alle Menschen kennen das und machen das, ob bewusst oder unbewusst. Mag sein, dass einige dafür feinfühliger sind als andere, aber diesen Mechanismus lernen wir - gemäss Melanie Klein - mehr oder weniger im Baby-Alter, und deshalb sind eben alle davon betroffen. Das ist zumindest die Theorie.

Und, doch, ich würde schon sagen, dass man lernen kann, das gezielt im ausser-therapeutischen Rahmen einzusetzen. Ich mache selbst eine Ausbildung, wo wir ganz bewusst lernen, das nicht bloss wahrzunehmen, sondern im unternehmerischen Kontext beraterisch einzusetzen. Das hat mit Therapie dann eher wenig zu tun, aber durchaus viel mit Coaching, Supervision und eben Unternehmensberatung. Ich habe beispielsweise begonnen, das selbst in meiner Coaching-Praxis einzusetzen.

Und klar, man kann und soll die Gegenseite nicht einfach gradheraus damit konfrontieren. Es gibt ja einen Grund, warum dieses Gegenüber etwas abgespalten hat und irgendwohin projiziert. Der Vorgang ist also folgender:

1. Selbstwahrnehmung: Fühle ich da irgendwas, was mir "fremd" erscheint?

2. Verbalisieren: Um welches Gefühl handelt es sich genau? (Scham, Schuld, Angst, Wut, Trauer, Eifersucht und so weiter...)

3. Reflektion: Könnte es sein, dass dieses Gefühl/Empfinden eine projektive Identifikation von einer anderen Person darstellt? Bei diesem Schritt ist es sehr wichtig, das erstmal bloss als Hypothese zu nehmen. Es ist ein Verdacht, kein Wissen. Wir können hier immer falsch liegen mit unserer Einschätzung. Deshalb ist eine gute bzw. geschulte Selbstwahrnehmung und Innenschau ziemlich wichtig.

4. Falls ich glaube, es könnte sich hier um eine projektive Identifikation handeln: Dann kehre ich die Perspektive um. Ich geh einfach versuchsweise davon aus, dass dieses Gefühl im Gegenüber vorhanden ist. Was ergibt sich genau aus dieser Perspektive? Erklärt sich beispielsweise das Verhalten der Person mit und anderen Gegenüber jetzt besser als zuvor? Oft handelt die Person ja genau im Gegenteil dessen, was sie empfindet. Fühlt sich jemand klein und unwertig, dann macht er/sie sich übergross und mächtig. Fühlt sich jemand wütend, dann gibt er/sie sich betont bzw. übermässig relaxed und gelassen. Und so weiter.

5. An dieser Stelle muss ich eine Entscheidung fällen: Was soll ich nun mit dieser Erkenntnis konkret tun? Es gibt verschiedene Optionen.
i) Ich tue nichts. Es ist nicht nötig, die Welt zu verändern. Wenn es unangenehm ist, kann ich mich auch einfach der Situation entziehen, indem ich weg laufe.
ii) Ich überlege, ob die Situation eine Intervention meinerseits allenfalls erfordert, beispielsweise weil es eben nötig ist, dass ich mit der Person zusammenarbeite, zusammenlebe oder ich mich sonst nicht einfach aus der Situation entfernen kann. Wenn das der Fall ist, dann:
iii) ...muss ich abwägen, zu welchem Grad die Intervention stattfinden soll. Von "sehr sanft" bis "fadengrad ins Gesicht hinein". Dies bedarf einer gewissen Menschenkenntnis, und auch die Rollenverteilung und Situation - also der gesamte Kontext - muss in die Abwägung einfliessen. Eine "sehr sanfte" Intervention könnte sein, dass ich einfach mal frage: "Wie geht's dir grad so mit der Situation hier?" Eine "fadengrade" Intervention könnte sein: "Ich glaube, hier ist eine projektive Identifikation im Spiel." Letztere Intervention ist selbst unter geschulten Personen praktisch nie zielführend, weil sie den anderen völlig überrumpelt. Höchstens in Spezialsituationen wo eine tiefgehende Vertrauensbeziehung bereits etabliert wurde, und die Beteiligten über ein sehr grosses Mass an Erfahrung im Umgang mit solchen Themen besitzen und auch theoretische Kenntnis über das Thema besitzen kann das allenfalls mal Sinn machen.

6. Wenn die Intervention stattgefunden hat, dann beobachte ich, was sich nun aus der Situation ergibt. Fällt mein Kommentar auf fruchtbaren Boden, oder wehrt die Person ab? Man darf da nicht glauben, dass die andere Person bloss darauf gewartet hätte, dass man selbst interveniert, die meisten solchen Versuche versanden ohne Resultat. Falls man zu forsch war, dann ist die Gegenseite jetzt misstrauisch, verärgert oder sonstwas, irgendeine Abwehrhaltung halt. Falls man zu wenig forsch war, dann verpufft die Intervention einfach ohne Spuren zu hinterlassen.

Wie gesagt: Es gibt einen Grund, warum die Person solche Mechanismen einsetzt, und wir dürfen nicht glauben, wir könnten mit der Psyche anderer Menschen einfach so herumspielen, bloss weil wir ein bisschen Psychologie gelesen haben. Aber nichtsdestotrotz gibt es eben immer mal wieder Gelegenheiten, wo die Intervention tatsächlich funktioniert.

Übrigens würde ich heute so weit gehen und behaupten, dass sogar Gruppen das kollektiv tun, entweder auf einzelne Personen oder auf ganze andere Gruppen. Dann ist die projektive Identifikation nicht mehr einer einzelnen Person klar zuzurechnen, sondern "verschmiert" sich sozusagen über die ganze Gruppe.
 
Ja, ich kenne das gut. Ich habe immer wieder die Gefühle von anderen übernommen, vielleicht auch übernehmen müssen.
Irgendwann, nachdem ich das durchschaut habe und wusste, worum es dabei geht, konnte ich zumindest besser damit umgehen und war nicht mehr verwirrt deswegen.
Es kann aber auch heute noch passieren, dass ich die Gefühle von manchen übernehme, die sie selber nicht bereit sind zu spüren und deswegen auslagern.
Das kann dann auch zu körperlichen Symptomen wie Kopf- oder Magenschmerzen führen oder zu Unruhe oder Schwäche.
Manchmal gelingt es mir, mich davon zu distanzieren, indem ich mir sage: "nicht mein Zirkus, nicht meine Affen".

Bei den ganz hartnäckigen Gefühls-Evakuierern bleibt mir aber tatsächlich nur übrig auf Distanz zu gehen. Mir selbst zuliebe.
 
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In Bezug auf die Ursache der "Neigung":

Das lässt sich leider letztlich nicht in der Ursache feststellen. Genauso, wie wir nicht endgültig sagen können, warum nun ausgerechnet eine Person ein einfaches und die andere ein eher schwieriges Horoskop hat. Oder warum eine Person mit einer DNS und die andere mit einer anderen geboren wurde.
  • Esoterisch gesprochen handelt es sich um karmische Voraussetzungen, die wir in dieses Leben mitbringen.
  • Astrologisch gesprochen um die Voraussetzungen in unserem Horoskop.
  • Psychoanalytisch gesprochen um erlerntes Verhalten plus "Charakter", welcher stark in der frühkindlichen Phase angeeignet wurde, also stark beeinfluss durch Eltern und später auch Gesellschaft.
Aber du siehst, das erklärt bloss das "Woher" und nicht das "Warum".
 
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