Phowa-Praxis

Serenade

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Phowa-Praxis
(aus „Das tibetische Buch vom Leben und vom Sterben“ von Sogyal Rinpoche)

In meiner Arbeit mit Sterbenden habe ich eine Praxis aus der tibetischen Tradition als besonders kostbar und wirkungsvoll erlebt. Diese Praxis heißt Phowa (po-a gesprochen), was Übertragung des Bewusstseins bedeutet, und ich habe viele Menschen gesehen, die sich ihr mit Enthusiasmus gewidmet haben. Phowa wird für Sterbende von ihren Freunden, Verwandten oder Meistern auch in vielen Teilen der westlichen Welt heutzutage schon recht selbstverständlich praktiziert. Die Kraft dieser Praxis hat bereits vielen Menschen einen Tod in heiterer und klarer Gelassenheit ermöglicht. Es ist mir eine besondere Freude, die Essenz der Phowa-Praxis nun all denen vorzustellen, die Gebrauch davon machen wollen.
Ich möchte betonen, dass grundsätzlich jeder diese Praxis üben kann. Sie ist einfach, gleichzeitig aber ist sie die essentiellste Übung, die wir ausführen können, um uns auf unseren eigenen Tod vorzubereiten. Phowa ist die wichtigste Praxis, die ich meine Schüler lehre, damit sie ihren sterbenden Freunden oder Verwandten beistehen können sowie denen, die bereits gestorben sind.

Erste Übung

Machen Sie es sich zunächst bequem und nehmen Sie die Meditationshaltung ein. Wenn Sie diese Übung zur Zeit ihres Sterbens ausführen, sitzen sie so bequem wie möglich oder machen Sie die Übung im Liegen. Bringen Sie dann den Geist heim – lassen Sie los und entspannen sie sich völlig.

1. Rufen Sie im Raum vor sich die Verkörperung der Wahrheit an, so, wie Sie sie sich vorstellen, in Form von strahlendem Licht. Wählen Sie als Gestalt ein erleuchtetes Wesen oder einen Heiligen, zu dem Sie eine enge Verbindung spüren. Wenn Sie ein praktizierender Christ sind, spüren Sie von ganzem Herzen die lebendige, unmittelbare Gegenwart Christi, des Heiligen Geistes oder der Jungfrau Maria. Wenn Sie sich von keiner bestimmten spirituellen Gestalt angezogen fühlen, stellen Sie sich einfach reines goldenes Licht im Raum vor Ihnen vor. Wesentlich ist, dass Sie dem Wesen, das Sie visualisieren oder dessen Präsenz Sie spüren, die Verkörperung der Wahrheit, der Weisheit und des Mitgefühls aller Buddhas, Heiliger, Meister und erleuchteter Wesen erkennen. Machen Sie sich keine Sorgen, wenn Ihre Visualisierungen nicht besonders klar sind. Lassen Sie einfach Ihr Herz sich mit dieser Präsenz füllen und vertrauen Sie darauf, dass sie da ist.

2. Dann richten Sie ihren Geist, Ihr Herz und Ihr innerstes Selbst auf die Präsenz, die Sie angerufen haben, und beten:

Möge durch deinen Segen, deine Gnade und deine Führung, durch die Kraft des Lichts, das von dir ausströmt, all mein negatives Karma, meine zerstörerischen Emotionen, Verdunklungen und Hindernisse gereinigt und beseitigt werden.
Möge ich für alles Unheil, das ich durch Denken und Handeln angerichtet habe, Vergebung finden,
möge ich den tiefgründigen Weg des Phowa vollenden und einen guten, friedvollen Tod sterben,
und möge ich, durch die Überwindung meines Todes, allen Wesen – lebendig oder tot – wahren Nutzen bringen.

3. Stellen Sie sich jetzt vor, dass die Präsenz aus Licht, die Sie angerufen haben, von Ihrem aufrichtigen und von Herzen kommenden Gebet so angerührt ist, dass sie mit einem liebevollen Lächeln reagiert und Liebe und Mitgefühl in Form von Lichtstrahlen aus ihrem Herzen aussendet. Diese Lichtstrahlen berühren und durchdringen Sie und reinigen so all Ihr negatives Karma. Ihre zerstörerischen Emotionen und Verblendungen, die die Ursache des Leidens sind. Sie sehen und fühlen sich vollkommen erfüllt von Licht.

4. Durch das Licht, das Sie durchströmt, sind Sie nun ganz und gar gereinigt und geheilt. Stellen Sie sich vor, dass sogar Ihr Körper, der ja Produkt von Karma ist, sich jetzt völlig in Licht auflöst.

5. Als reiner Lichtkörper schweben Sie nun empor und verschmelzen untrennbar mit der glückseligen Licht-Präsenz.

6. Ruhen Sie so lange wie nur möglich in diesem Zustand der Einheit mit dem Licht.


Zweite Übung

1. Um diese Übung noch weiter zu vereinfachen, fangen Sie an wie vorher, indem Sie still ruhen, und rufen Sie dann die Präsenz der Verkörperung der Wahrheit an.

2. Stellen Sie sich Ihr Bewusstsein als ein Licht in Ihrem Herzen vor, das wie eine Sternschnuppe aus Ihnen herausschießt und in das Herz der Licht-Gestalt vor Ihnen eingeht.

3. Es löst sich auf und verschmilzt mit dieser Präsenz.

Durch diese Übung legen Sie ihren Geist in den Weisheitsgeist des Buddha oder eines erleuchteten Wesens, was dasselbe ist, wie Ihre Seele in der Natur Gottes aufgehen zu lassen. Dilgo Khyentse Rinpoche sagt, es sei so, als würde man einen Kiesel ins Wasser werfen. Stellen Sie sich vor, wie er immer tiefer im Wasser versinkt. Seien Sie gewiss, dass Ihr Geist durch die Inspiration in den Weisheitsgeist der erleuchteten Präsenz verwandelt wird.

Dritte Übung

Die essentiellste Art, diese Übung auszuführen, ist diese: Lassen Sie einfach Ihren Geist mit dem Weisheitsgeist der reinen Präsenz verschmelzen. Nehmen Sie an: „Mein Geist und der des Buddha sind eins.“

Von diesen drei Methoden können Sie sich diejenige auswählen, die sich im jeweiligen Moment für Sie am geeignetsten anfühlt. Manchmal können gerade die einfachsten Übungen die wirkungsvollsten sein. Welche sie auch wählen mögen, vergessen Sie nie, dass Sie sich unbedingt die Zeit nehmen müssen, mit der Übung vertraut zu werden. Wie sonst können Sie die Zuversicht erlangen, die Sie brauchen, um sie im Sterben für sich selbst oder für andere ausführen zu können? Mein Meister Jamyang Khyentse schrieb: „Wenn du stets auf diese Weise praktizierst und meditierst, dann gelingt es dir im Augenblick des Todes wie von selbst.“
 
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Den Geist heimbringen
(aus „Das tibetische Buch vom Leben und vom Sterben“ von Sogyal Rinpoche)

Vor mehr als 2500 Jahren kam ein Mensch, der schon seit unendlich vielen Leben auf der Suche nach Wahrheit war, an einen stillen Ort in Nordindien und setzte sich unter einen Baum. Mit unerschütterlicher Entschlossenheit blieb er unter diesem Baum sitzen und schwor, nicht eher aufzustehen, als bis er die Wahrheit gefunden habe. Gegen Abend, so heißt es, habe er alle dunklen Kräfte der Verblendung besiegt, und früh am nächsten Morgen, als der Morgenstern am dämmernden Himmel aufging, wurde dieser Mensch für seine schier endlose Geduld, Disziplin und makellose Konzentration belohnt, indem er das letztendliche Ziel menschlicher Existenz erlangte – die Erleuchtung. In diesem geheiligten Augenblick erschauerte selbst die Erde, als sei sie „trunken vor Glückseligkeit“, und die Schriften erzählen uns von diesem Augenblick: „Nirgendwo war mehr jemand zornig, krank oder traurig, niemand tat Böses, niemand war stolz; die Welt war ganz still geworden, als sei sie endlich vollkommen.“ Dieser Mensch ist als der Buddha bekannt geworden.
Hier folgt die wunderschöne Beschreibung von Buddhas Erleuchtung durch den vietnamesischen Zen-Meister Thich Nhat Hanh:

Gautama hatte die Empfindung, als sei ein Gefängnis, das ihn tausende von Lebzeiten umschlossen hatte, nun aufgebrochen. Unwissenheit war der Wärter dieses Gefängnisses gewesen. Unwissenheit hatte seinen Geist verdunkelt, so, wie die stürmischen Wolken den Mond und die Sterne verbergen. Von endlosen Wogen täuschender Gedanken getrübt, hatte der Geist die Wirklichkeit in Subjekt und Objekt geteilt, in Selbst und Andere, Sein und Nicht-Sein, Geburt und Tod. Und aus diesen Unterscheidungen entstanden die falschen Sichtweisen – die Gefängnisse von Empfindungen, Begierde, Ergreifen und Werden. Das Erleiden von Geburt, Alter, Krankheit und Tod machte die Gefängnismauern nur noch dicker. Es gab nur eins zu tun: den Gefängniswärter zu ergreifen und in sein wahres Gesicht zu schauen. Der Gefängniswärter war die Unwissenheit… War der Gefängniswärter erst fort, dann würde auch das Gefängnis verschwinden und niemals wieder aufgebaut werden.

Der Buddha hatte gesehen, dass das Nicht-Wissen um unsere wahre Natur die Wurzel aller Qualen von Samsara ist und dass die Wurzel für diese Unwissenheit wiederum die gewohnheitsmäßige Tendenz des Geistes zu Abgelenktheit ist. Mit der Ablenkung des Geistes Schluss zu machen, bedeutete also, mit Samsara selbst Schluss zu machen. Und der Schlüssel hierzu, so hatte er erkannt, liegt darin, den Geist zurückzubringen zu seiner wahren Natur, ihn heimzubringen, durch die Praxis der Meditation.
Der Buddha saß bescheiden und in heiterer Würde auf der Erde, den Himmel über sich und um sich, als wolle er uns demonstrieren, dass wir in der Meditation mit einer offenen, himmelsgleichen Geisteshaltung sitzen, gleichzeitig aber präsent und geerdet am Boden bleiben. Der Himmel ist unsere absolute Natur, die keine Grenzen kennt und unermesslich ist, und der Boden ist unsere Wirklichkeit, unsere relative, gewöhnliche Bedingtheit. Die Haltung, die wir in der Meditation einnehmen, zeigt, dass wir das Absolute und das Relative, oben und unten, Himmel und Erde verbinden; wie zwei Schwingen eines Vogels symbolisiert sie die innige Verbundenheit der himmelsgleichen, unsterblichen Natur des Geistes mit dem Boden unserer flüchtigen, sterblichen Existenz.
Meditation zu erlernen, ist das größte Geschenk, das Sie sich in diesem Leben machen können. Denn nur durch Meditation können Sie sich aufmachen zur Entdeckung Ihrer wahren Natur. Und nur in ihr werden Sie die Stabilität und das Vertrauen finden, die nötig sind, um gut zu leben und um gut zu sterben. Meditation ist der Weg, der zur Erleuchtung führt.



Die Haltung

Die Meister sagen: „Wenn du günstige Bedingungen in deinem Körper und deiner Umgebung schaffst, dann entstehen Meditation und Verwirklichung ganz automatisch.“ Über die Haltung zu sprechen, ist nicht etwa esoterische Pedanterie: Sinn und Zweck einer richtigen Haltung ist es, ein inspirierendes Milieu für Ihre Meditation und somit für das Erwachen von Rigpa (tibetisch für „die innerste Natur des Geistes“) zu erzeugen. Es besteht eine Verbindung zwischen Körperhaltung und geistiger Einstellung. Da Körper und Geist miteinander verbunden sind, entsteht Meditation auf natürliche Weise, wenn Ihre Haltung und Ihre Einstellung inspiriert sind. Wenn sie sitzen und Ihr Geist nicht ganz in Übereinstimmung mit Ihrem Körper ist – wenn Sie z.B. ängstlich oder sorgenvoll mit etwas beschäftigt sind -, fühlen Sie sich auch körperlich unbequem und Schwierigkeit treten leichter auf. Wenn jedoch Ihr Geist in einem ruhigen, inspirierten Zustand ist, wird davon auch Ihre Körperhaltung beeinflusst, und Sie können viel natürlicher und müheloser sitzen. Es ist daher äußerst wichtig, die Haltung des Körpers mit dem Vertrauen zu verbinden, das entsteht, wenn Sie die Natur des Geistes erkennen.
Die Haltung, die ich erläutern werde, mag sich etwas von anderen unterscheiden, an die Sie vielleicht gewöhnt sind. Es ist die Haltung, die aus den Lehren des Dzogchen stammt, und die auch meine Meister mich gelehrt haben; ich empfinde sie als äußerst wirkungsvoll.
In den Dzogchen-Lehren heißt es, dass Ihre Sicht und Körperhaltung wie ein Berg sein sollen. Ihre Sicht ist die Summe Ihres gesamten Verständnisses und Ihre Einsicht in die Natur des Geistes, die Sie in die Meditation einbringen. Diese Sicht überträgt sich in Ihre Haltung und inspiriert Sie, und so drücken Sie ihr innerstes Wissen durch die Art aus, wie Sie sitzen.
Sitzen sie also wie ein Berg – mit all der standhaften und unerschütterlichen Majestät eines Berges. Wie heftig auch die Stürme ihn umtoben, wie dich sich auch die dunklen Wolken um seinen Gipfel ballen – ein Berg ruht immer vollkommen entspannt und natürlich gelassen in sich selbst. Sitzen Sie wie ein Berg und lassen Sie Ihren Geist erheben, lassen Sie ihn gleiten und schweben.
Was die Körperhaltung angeht, ist es am wichtigsten, den Rücken gerade zu halten wie „einen Pfeil“ oder „einen Stapel Goldmünzen“. Die innere Energie, oder Prana kann dann leicht durch die feinstofflichen Kanäle des Körpers fließen, und Ihr Geist wird seinen wahren Ruhezustand finden. Aber erzwingen Sie nichts. Der untere Teil der Wirbelsäule hat eine natürliche Biegung; Ihr Rücken sollte entspannt, aber aufrecht sein. Lassen Sie Ihren Kopf ausgewogen und bequem auf Ihrem Nacken ruhen. Ihre Schultern und der Oberkörper tragen die Kraft und Anmut der Haltung, und sie sollten im Gleichgewicht gehalten werden, ohne jegliche Anstrengung.
Sitzen Sie mit gekreuzten Beinen. Sie müssen aber nicht in der „vollen Lotos-Haltung“ sitzen, was mehr bei fortgeschrittenen Yoga-Praktiken betont wird. Die gekreuzten Beine symbolisieren die Einheit von Leben und Tod, gut und schlecht, angemessenen Mitteln und Weisheit, dem männlichen und weiblichen Prinzip, Samsara und Nirvana; sie drücken den Humor der Nicht-Dualität aus. Vielleicht sitzen Sie aber auch lieber mit entspannten Beinen auf einem Stuhl. Halten Sie aber auf jeden Fall den Rücken gerade.
In meiner Tradition sollen die Augen offen gehalten werden – dies ist ein sehr wichtiger Punkt. Wenn Sie empfindlich auf äußere Einflüsse reagieren, kann es jedoch zu Beginn der Praxis hilfreich sein, die Augen für eine Weile zu schließen und sich still nach innen zu wenden.
Wenn Sie dann fühlen, dass Sie zur Ruhe gekommen sind, öffnen sie die Augen nach und nach wieder, und Sie werden merken, dass Ihr Blick friedvoller und ruhiger geworden ist. Dann sehen Sie nach unten, entlang Ihrer Nasenlinie, in einem Winkel von ungefähr 45 Grad vor sich auf den Boden. Ein allgemein praktischer Ratschlag besteht darin, den Blick zu senken, wenn der Geist aufgewühlt ist, ihn aber aufwärts zu richten, sobald er schläfrig und dumpf ist.
Ist Ihr Geist einmal ruhig und die Klarheit der Einsicht beginnt zu entstehen, werden Sie sich freier fühlen, den Blick zu heben, die Augen weiter zu öffnen und in den Raum vor sich zu schauen. Diese Art des Schauens wird in der Dzogchen-Praxis empfohlen.
In den Dzogchen-Lehren wird gesagt, dass der Blick und die Meditation wie die große Weite des Ozeans sein sollen: allumfassend, offen und grenzenlos. So wie Ihre Sicht untrennbar mit Ihrer Haltung verbunden ist, inspiriert Ihre Meditation Ihren Blick und sie verschmelzen zu einer Einheit.
Fixieren Sie den Blick nicht auf irgendetwas Bestimmtes; wenden Sie sich stattdessen mehr nach innen und lassen Sie den Blick sich ausdehnen und immer offener und großzügiger werden. Sie werden dann feststellen, dass er immer weiter wird und dass in ihm mehr Mitgefühl, Gleichmut und Ausgewogenheit liegen.
Der tibetische Name für den Buddha des Mitgefühls ist Chenrezig. Chen bedeutet „Auge“, re ist der „Augenwinkel“ und zig heißt „sehen“. Damit wird ausgedrückt, dass Chenrezig mit seinen fühlenden Augen die Bedürfnisse aller Lebewesen sieht. Richten Sie so das Mitgefühl, das aus Ihrer Meditation ausstrahlt, behutsam und sanft durch die Augen nach außen, so dass Ihr Blick zum Blick des Mitgefühls selbst wird – allumfassend und weit wie der Ozean.
Es gibt mehrere Gründe dafür, die Augen offen zu lassen. Mit offenen Augen werden Sie weniger leicht einschlafen. Und schließlich ist Meditation ja auch kein Mittel, um vor der Welt davonzulaufen, oder in die tranceähnliche Erfahrungen eines veränderten Bewusstseinszustandes zu flüchten. Im Gegenteil, sie ist ein direkter Weg, uns zu einem tieferen Verständnis unserer selbst und zu einem angemessenen Umgang mit dem Leben und der Welt zu verhelfen.
Darum lassen Sie in der Meditation die Augen offen. Statt das Leben auszugrenzen, bleiben Sie offen und in Frieden mit allem. Lassen Sie alle Sinne – Hören, Sehen, Fühlen – ganz offen, natürlich, so wie sie sind, ohne nach ihren Wahrnehmungen zu greifen. Wie Dudjom Rinpoche sagt: „Obwohl verschiedene Formen gesehen werden, sind sie ihrem Wesen nach leer; in der Leerheit jedoch sieht man Formen. Obwohl verschiedene Klänge gehört werden, sind sie wesenhaft leer; in der Leerheit werden jedoch Klänge gehört. Auch die verschiedenen Gedanken, die entstehen, sind leer, jedoch werden in der Leere Gedanken wahrgenommen.“ Was Sie auch sehen, was Sie auch hören, lassen Sie es, wie es ist, ohne zu greifen. Lassen Sie das Hören im Hören, lassen Sie das Sehen im Sehen, ohne Ihre Wahrnehmungen festhalten zu wollen.
Der besonderen Lichtheits-Praxis des Dzogchen zufolge befindet sich alles Licht unserer Weisheitsenergie im Herzzentrum, und dieses ist durch „Weisheitskanäle“ mit den Augen verbunden. Die Augen sind also die „Tore“ dieses Lichts, und man hält sie geöffnet, um diese Weisheitskanäle nicht zu blockieren.
Lassen Sie den Mund leicht geöffnet, wenn Sie meditieren, als würden Sie gerade ein tiefes, entspanntes „Aaaah“ sagen. Wenn Sie dies tun und hauptsächlich durch den Mund atmen, dann, so heißt es, entstehen die karmischen Winde, die diskursive Gedanken und Hindernisse in Ihrem Geist und Ihrer Meditation erzeugen können, weniger leicht.
Lassen Sie die Hände bequem auf den Knien ruhen. Diese Position nennt man „Geist in behaglicher Gelassenheit“. In dieser Haltung drückt sich ein spielerischer Humor aus, ein Funken tiefer Hoffnung, gegründet auf das heimliche Verständnis, dass wir alle die Buddha-Natur besitzen. Indem Sie also diese Haltung einnehmen, ahmen Sie spielerisch den Buddha nach; damit erkennen Sie Ihre eigene Buddha-Natur an und ermutigen sich, sie wahrhaft zum Vorschein kommen zu lassen. Sie beginnen tatsächlich, sich als potentieller Buddha zu respektieren. Zur selben Zeit sind Sie sich Ihrer relativen Bedingtheit sehr wohl bewusst. Aber da Sie sich durch das freudige Vertrauen in Ihre eigene Buddha-Natur haben inspirieren lassen, können Sie Ihre negativen Aspekte leichter akzeptieren und freundlicher und humorvoller mit ihnen umgehen. Die Meditation lädt Sie ein, die Selbstachtung, Würde und tiefe Bescheidenheit des Buddha zu empfinden, der Sie ja sind. Ich sage oft, dass es schon genug ist, sich einfach von diesem freudigen Vertrauen inspirieren zu lassen: Aus diesem Verstehen und Vertrauen wird Meditation ganz natürlich entstehen.
 
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Drei Meditationsmethoden
(in Kurzform)

1. Ausrichtung auf ein Objekt

Sie können einen x-beliebigen Gegenstand von natürlicher Schönheit nehmen, der ein Gefühl der Inspiration in Ihnen erweckt, z.B. eine Blume oder einen Kristall. Auch ein Bild, das die Wahrheit verkörpert, wie etwa ein Bild von Buddha oder Christus ist von ganz besonderer Kraft.
Stellen Sie das Objekt oder Bild in Augenhöhe vor sich auf und richten Sie ihre Aufmerksamkeit ruhig darauf. Dann lassen Sie den Geist einfach still und friedlich bei dem Objekt oder Bild.

2. Rezitation eines Mantras

Wenn sie nervös, desorientiert oder emotional instabil sind, kann das inspirierende Singen oder Rezitieren eines Mantras Ihren Zustand völlig verändern, indem es Energie und Atmosphäre des Geistes verwandelt.
Das Mantra, das ich meinen Schülern empfehle, lautet OM AH HUM VAJRA GURU PADMA SIDDHI HUM (die Tibeter sprechen es Om Ah Hung Benza Guru Pema Siddhi Hung). Das ist das Mantra von Padmasambhava, das Mantra aller Buddhas, Meister und verwirklichten Wesen, und es ist außerordentlich kraftvoll und wirksam für Frieden, Heilung, Transformation und als Schutz in diesem von Gewalt geschüttelten, chaotischen Zeitalter. Rezitieren Sie das Mantra ganz leise, mit tiefer Aufmerksamkeit, und lassen Sie Atem, Mantra und Gewahrsein langsam eins werden. Oder singen Sie es in einer inspirierenden Melodie und ruhen Sie dann in der ganz besonderen Stille, die manchmal darauf folgt.

3. Den Atem beobachten

Atmen Sie beim Meditieren ganz natürlich, so wie immer. Richten Sie die Aufmerksamkeit sanft auf das Ausatmen. Wenn Sie ausatmen, fließen Sie einfach mit dem Atmen. Mit jedem Ausatmen lassen Sie los und befreien all Ihr Greifen und Festhalten. Stellen Sie sich vor, dass sich Ihr Atem in den allumfassenden Raum der Wahrheit auflöst. Jedes Mal, wenn Sie ausgeatmet haben und bevor Sie wieder einatmen, finden Sie eine ganz natürliche Lücke – wenn das Greifen sich löst.
Ruhen Sie in dieser Lücke, in diesem offenen Raum. Und wenn Sie dann ganz natürlich wieder einatmen, konzentrieren Sie sich nicht speziell auf das Einatmen, sondern lassen Sie den Geist wieder in der Lücke ruhen, die sich aufgetan hat.
Es ist wichtig, dass Sie sich während der Übung nicht auf mentales Kommentieren, Analysieren oder inneres Geschwätz einlassen. Verwechseln Sie den ständiges Kommentar in Ihrem Geist („Jetzt atme ich ein, jetzt atme ich aus…“) nicht mit Achtsamkeit; wichtig ist die reine Präsenz.
Konzentrieren Sie sich nicht zu sehr auf den Atem. Die Meister geben immer wieder den Rat, dass es sehr wichtig ist, sich bei der Übung der Konzentration des Ruhigen Verweilens nicht zu fixieren. Darum empfehlen sie, etwa 25% der Achtsamkeit auf den Atem zu legen. Wie Sie feststellen werden, reicht Achtsamkeit allein jedoch nicht aus. Obwohl Sie eigentlich den Atem beobachten sollten, werden Sie sich manchmal nach ein oder zwei Minuten mitten in einem Fußballfeld wieder finden oder in der Hauptrolle Ihres selbst inszenierten Films. Darum sollten weitere 25% einem beständigen, beobachtenden Gewahrsein gewidmet sein, das die Übersicht behält und aufpasst, ob Ihre Achtsamkeit noch auf den Atem gerichtet ist. Die restlichen 50% Ihrer Aufmerksamkeit lassen sie verweilen, gelassen und offen.





Der Geist in der Meditation

Was soll man nun „tun“ mit dem Geist in der Meditation? Überhaupt nichts. Lassen Sie ihn einfach, wie er ist. Ein Meister beschrieb Meditation als „Geist, schwebend im Raum, nirgendwo“.
Ein bekanntes Sprichwort sagt. „Wenn der Geist ungekünstelt bleibt, ist er von selbst glückselig, so wie Wasser, das nicht aufgewühlt wird, von Natur aus durchsichtig und klar ist.“ Ich vergleiche den Geist in der Meditation oft mit einem Gefühl voll schlammigen Wassers. Je weniger wir das Wasser aufrühren, desto mehr Teilchen sinken auf den Grund und umso offensichtlicher wird die natürliche Klarheit des Wassers. Auch die Natur des Geistes ist so beschaffen, dass er – in seinem unveränderten und natürlichen Zustand belassen – von selbst zu seiner eigenen, wahren Natur von Glückseligkeit und Klarheit findet.
Hüten Sie sich also davor, dem Geist etwas vorzuschreiben oder ihn einzuengen. Wenn Sie meditieren, sollten Sie sich nicht um Kontrolle mühen und auch keinen Versuch machen, friedvoll zu sein. Seien Sie nicht übermäßig eifrig, weil Sie glauben, an einem besonderen Ritual teilzunehmen; lassen Sie selbst die Vorstellung fallen, dass Sie überhaupt meditieren. Lassen Sie den Körper, wie er ist, und den Atem sich selbst finden. Fühlen Sie sich wie der Himmel, der das ganze Universum hält.

Eine feine Ausgewogenheit

Wie in allen Künsten, muss es auch in der Meditation eine feine Ausgewogenheit zwischen Entspannung und Wachheit geben. Einst übte ein Mönch namens Shrona mit einem der engsten Schüler des Buddha Meditation. Er hatte große Schwierigkeiten, die richtige Geisteshaltung zu finden.
Erst machte er so große Anstrengungen, sich zu konzentrieren, dass er schließlich Kopfschmerzen bekam. Daraufhin entspannte er seinen Geist so sehr, dass er einschlief. Schließlich wandte er sich Hilfe suchend an den Buddha. Der Buddha wusste, dass Shrona ein berühmter Musiker gewesen war, bevor er Mönch wurde, und so fragte er ihn:
„Hast du nicht die Vina gespielt, als du noch Laie warst?“
Shrona nickte.
„Wann hatte deine Vina den besten Klang? Wenn du die Saiten sehr straff gespannt hattest oder wenn sie eher locker waren?“
„Weder noch. Sie mussten genau die richtige Spannung haben, weder zu fest, noch zu locker.“
„Nun, mit deinem Geist verhält es sich genauso.“
Eine der größten Meisterinnen Tibets, Ma Chik Lap Drön, sagte: „Auf wache Weise wach; auf entspannte Weise entspannt. Das ist der entscheidende Punkt in der Sicht der Meditation.“ Erwecke deine Wachheit, sei aber gleichzeitig entspannt – so entspannt, dass du nicht einmal mehr an der Vorstellung von Entspannung festhältst.













Meister?

Zu beurteilen, wer ein authentischer Meister ist und wer nicht, ist ein sehr subtiles und heikles Unterfangen; und in einer Zeit wie der unsrigen, die süchtig ist nach Unterhaltung und banalen Antworten und schnelle Lösungen, bleiben die eher nüchternen und unaufdringlichen Eigenschaften spiritueller Meisterschaft allzu leicht unerkannt. Unsere Vorstellung, Heiligkeit müsse stets fromm, sanft und demütig sein, macht uns blind für die dynamische und manchmal auf spielerisch aufmunternde Manifestation des erleuchteten Geistes.
Patrul Rinpoche schrieb: „Die außerordentlichen Qualitäten großer Meister, die ihre wahre Natur nicht offen zeigen, sind für uns gewöhnliche Menschen trotz eingehendster Untersuchung nicht zu erkennen. Andererseits können selbst einfache Scharlatane andere meisterhaft täuschen, indem sie wie Heilige tun.“ Wenn Patrul Rinpoche dies im neunzehnten Jahrhundert in Tibet schreiben konnte, wie viel mehr trifft es auf das Chaos unseres heutigen spirituellen Supermarkts zu!
Wie können wir heute, in dieser Zeit extremen Misstrauens, das Vertrauen finden, das wir so nötig brauchen, wenn wir einem spirituellen Pfad folgen wollen? Welche Maßstäbe können wir zur Beurteilung der Echtheit eines Meisters anlegen?
Ich erinnere mich lebhaft, wie ein mir bekannter Meister in meiner Anwesenheit seine Schüler fragte, was sie zu ihm geführt habe und warum sie ihm vertrauen. Eine Frau sagte: „Ich habe erkannt, wie sehr dir daran gelegen ist, dass wir die Lehren verstehen und anwenden, und wie geschickt du sie auf uns richtest, um uns zu helfen, dies zu tun.“ Ein Mann, um die 50 sagte: „Mich berührt nicht das, was du weißt, sondern dass du wirklich ein altruistisches und gutes Herz hast.“

(aus: „Das tibetische Buch vom Leben und vom Sterben“ von Sogyal Rinpoche)

Sogyal Rinpoche ist überzeugt, dass ein Meister notwendig ist, um den Pfad des tibetischen Buddhismus zu folgen. Wie ich aus seinem Buch herausgelesen habe, geht es dabei nicht um den Meister selbst, auch wenn der Meister fast wie ein Gott, wie Buddha selbst, verehrt wird. Aber jeder Mensch, nicht nur der Meister, sondern auch die Schüler haben Buddha-Natur.
Sogyal Rinpoche betont in seinem Buch immer wieder, dass er von seinen Schülern genauso viel gelernt hat wie sie von ihm.
Eine Geschichte in dem Buch gefällt mir sehr gut, weil sie aufzeigt, dass der Meister vom Schüler gar nicht verschieden ist. Sogyal Rinpoche schreibt:

Es gibt eine Geschichte über einen Zen-Meister, die mir sehr gefällt. Dieser Meister hatte einen getreuen, aber sehr naiven Schüler, der ihn als lebenden Buddha verehrte. Eines Tages nun setzte sich der Lehrer versehentlich auf eine Nadel. „Autsch!“ schrie er laut und machte einen Luftsprung. Der Schüler verlor augenblicklich seinen Glauben und verließ enttäuscht den Meister, von dem er nun nicht mehr glauben konnte, dass er voll erleuchtet sei. Wie hätte er sonst, so dachte er, so profan aufspringen und schreien können? Der Meister trauerte um den Schüler, der ihn verlassen hatte, und sagte: „Schade um den armen Kerl! Wenn er doch nur begriffen hätte, dass in Wirklichkeit weder ich noch die Nadel noch das ‚Autsch’ wirklich existiert haben.“
 
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