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Es gibt zu diesem Thema einen wunderbaren Ausspruch von Rumi, dem großen Mystiker aus dem Mittleren Osten. Er sagt: Jenseits der Idee von Gut und Böse liegt eine Wirklichkeit – dort werde ich Dich treffen. Rumi spricht also buchstäblich von diesem EINEN Feld jenseits der Gedanken. Es befindet sich in der Lücke zwischen unseren Gedanken, und manche Menschen gelangen zum Beispiel während der Meditation dorthin. Es gibt auch andere Methoden, bei denen eine einfache Verschiebung der Aufmerksamkeit ein Erleben der Einheit von Beobachter und Beobachtetem ermöglicht. Wenn wir nämlich diese Einheit zwischen Beobachter und Beobachtetem und den Prozess des Beobachtens erfahren, erleben wir, dass sie in Wirklichkeit ein einziges ist. Normalerweise ist das unmöglich, weil unsere Wahrnehmung durch Erinnerungen, Interpretationen, Klassifizierungen, Beschreibungen, Definitionen, Analysen, Evaluationen und Werturteile getrübt ist. Wir können nicht durch ´Neugeborenenaugen’ sehen. In den Shiva-sutras, einer der ältesten Schriften der Welt, finden wir den Ausspruch: Schau die Welt mit frischen Augen an, schau einen gewöhnlichen Gegenstand an, als ob Du ihn zum ersten Mal sehen würdest.


Wenn wir ein Objekt wie zum ersten Mal anschauen würden, so könnten wir sehen, dass eigentlich der Beobachter beobachtet wird, dass der, der schaut, eigentlich der ist, welcher angeschaut wird. Manchmal machen Leute diese Erfahrung sogar zufällig.


Vor einigen Jahren hatte ich einen Patienten, der auf einem Nachbarhaus die Antenne reparierte. Dabei hob er ein Stück Kabel auf, das er für nicht geladen hielt, durch das aber 12000 Volt flossen. Er starb auf der Stelle. Und wie stirbt man, wenn 12000 Volt durch das Herz fließen? Ein Phänomen, genannt ´ventrikuläre Fibrillation’, wird ausgelöst. Das Herz fibrilliert. Er fiel also vom Dach; aber wie es das Schicksal wollte, fiel er auf seine Brust, genau in dem Winkel, genau auf die Stelle, genau mit der Wucht, die es brauchte, um sein Herz zu defibrillieren. Eine ganz außergewöhnliche Geschichte, so als ob Gott ihn gerufen und dann plötzlich seine Meinung geändert hätte. Das Ganze dauerte nur ein paar Sekunden. Der Mann wurde vom Unfallort ins Spital transportiert, und er sagte: ’Mein Geist ging immer wieder zu dieser Lücke zurück.’ Er nennt diesen kleinen Vorfall, dieses kleine Zeitintervall, die Lücke. Wir fragten: ´Was war in dieser Lücke? ’ Und er antwortete: ´Dort war reine, grenzenlose Freude. Es war reine Glückseligkeit. ’ Wir sagten: ´Sie waren es sich bewusst?’ Er sagte: ´Oh ja, ja, ich war es mir bewusst.’ Wir fragten: ´Wessen waren Sie sich bewusst?’ Er sagte: ´Ich war mir bewusst, dass ich bewusst war.’ Wir fragten: ´Können Sie das etwas spezifischer erklären?’ Er antwortete: Ja, es war reines Gewahrsein. Das einzige, was ich sagen konnte, war: ICH BIN. Ich bin nicht dies, ich bin nicht jenes, einfach ICH BIN. Es war die Erfahrung meiner eigenen Unsterblichkeit, die Erfahrung von Ewigkeit. Es war die Erfahrung von Glückseligkeit, von reiner Freude. Ich ging dermaßen darin auf, dass ich realisierte, dass alles andere nur ein Konzept ist. Und ich wurde ein für alle Mal, total und gänzlich dieses Ding los, das die Menschen Angst nennen.


Das erstaunliche an der Geschichte des Mannes war, dass der Oberschenkel dort, wo der elektrische Strom aus seinem Bein ausgetreten war, total verbrannt war. Sein Oberschenkelknochen lag frei, alles was man sehen konnte, waren zerfetzte Blutgefässe und Knochen. Im Spital dachte man, dass nicht nur sein Körper, sondern auch sein Hirn durchgebrannt sei. Er weigerte sich nämlich, sein Bein amputieren lassen, was die einzig angemessene Maßnahme bei dieser Art von Verletzung gewesen wäre. Aber er sagte, dass er jetzt jederzeit in die Lücke gehen könne und zwar durch einen einfachen Dreh der Aufmerksamkeit. Er würde seine Aufmerksamkeit auf die Lücke richten und in sie hineingleiten. Dort würde er wieder diese reine Freude erleben und von dort aus seine Aufmerksamkeit auf das Bein richten, wo er anstatt des grauenhaften Schmerzes ein angenehmes Kitzeln wahrnähme. Und so ist ihm im Laufe zweier Jahre ein neues Bein gewachsen. Weshalb? Weil er an denselben Ort ging, von dem aus die Natur alles kreiert. Dieser EINE Ort ist in der Lücke zwischen unseren Gedanken. Es ist der nicht lokalisierte Geist, aus dem die Natur alles gebiert. Die Natur geht zu diesem Ort, um eine Galaxie, einen Regenwald oder einen neuen Gedanken zu kreieren.


Mit diesem Wissen können wir jetzt die eigentliche Frage stellen: Wer sind wir? Sind wir lediglich ein Ego, eingesperrt in einen Beutel aus Haut und Knochen, oder ist da noch etwas Beständigeres und Umfassenderes? Der Rishi, der Seher, sagt: Durch das Artefakt der sensorischen Interpretation habt Ihr Euch selber begrenzt, Euch buchstäblich auf Euren Körper beschränkt. Ihr habt Euch auf das Volumen eines Körpers und die Zeitspanne eines Lebens begrenzt und Euch Beschränkungen auferlegt, die völlig konzeptuell sind. Ihr habt Probleme kreiert wie Geburt und Tod, Freude und Schmerz, Richtig und Falsch etc. Will man diese Beschränkungen hinter sich lassen, muss man sich erfahren, wie man wirklich ist. Und dann realisiert man, dass man nicht im Geist ist, sondern der Geist in uns ist. Dass wir nicht im Körper sind, sondern der Körper in uns ist. Dass wir nicht in dieser Welt sind, sondern die Welt in uns ist. Körper, Geist und Welt passieren uns, weil wir uns zufälligerweise dafür interessieren.


Ein Schüler fragte einmal seinen Meister: ´Leben wir in der gleichen Welt? Du scheinst in einer ganz anderen Welt zu leben. ’ Der Meister antwortete: Ja, wir leben in der genau gleichen Welt. Der einzige Unterschied ist, dass Du Dich in der Welt siehst und ich die ganze Welt in mir sehe.


Diesen Teil in uns zu finden, bedeutet, das Feld selber zu finden. Und das Feld ist reine Potentialität. Das Feld ist kein Kontinuum oder ein Modell von Raum-Zeit-Ereignissen; das Feld ist reine Potentialität. Es ist das Kontinuum aller möglichen Energie- und Informationsstadien, die sich später als Raum-Zeit-Ereignisse manifestieren. Und dieses Feld, ich möchte das noch einmal betonen, ist in der Lücke zwischen unseren Gedanken. Es ist in der Lücke der Stille, die nicht lokalisierbar ist.


Wenn ich mit Euch spreche, befindet sich zwischen jedem Wort und jedem Gedanken eine Lücke. Ich könnte zum Beispiel sagen: ´Ich werde jetzt diesen Raum verlassen. ’ Oder ich könnte sagen: ´Ich werde meine Schuhe ausziehen. ’ Oder: ´Ich werde Wasser trinken. ’ Zwischen dem ´werde’ und dem nächsten Wort gibt es unendlich viele Möglichkeiten. Unendliche Möglichkeiten zwischen jedem einzelnen Wort. Stellen Sie sich vor: unbeschränkte Möglichkeiten! Aus diesem Grund ist es ein nicht lokales Feld reiner Potentialität. Das Feld aller Möglichkeiten, das Kontinuum aller möglichen Raum-Zeit-Ereignisse.


Hier noch ein weiteres Beispiel dafür, was der Zugang zu dieser Lücke bewirken kann. Die Geschichte ist einem meiner Freunde, einem englischen Anthropologen, zugestoßen. Er arbeitete an einem Buch über Wale und war auf der Suche nach einer bestimmten Walart auf die Indonesischen Inseln gereist, um sie dort zu fotografieren. Nach drei oder vier Wochen erfolgloser Suche erzählte er einmal einem Dorfältesten, was er suchte. Der Dorfälteste sagte: ´Kein Problem, wir haben hier ein zwölfjähriges Mädchen, das dir den Wal beschaffen kann. ’


Am nächsten Tag setzte er sich also mit dem Mädchen an den Strand, und es schloss seine Augen. Nach etwa zwanzig Minuten sah der Anthropologe mit Herzklopfen den Wal seiner Wahl am Horizont auftauchen. Und dann, so erzählte er mir, raste sein Herz, denn der Wal kam näher und näher und strandete schließlich zu Füssen des Mädchens. Sie mussten die Dorfbewohner holen, um den Wal wieder ins Meer zurückzubefördern. Mein Freund suchte das Mädchen und fragte es: ´Was hast Du gemacht? Wie hast Du das gemacht? ’ Es antwortete: Oh, es war wirklich ganz einfach. Ich ging an den Ort, wo wir alle die gleiche Sprache sprechen und bat den Wal zu kommen.


Was ist das für ein Ort, an dem wir alle dieselbe Sprache sprechen? Es ist der Raum der Stille; unaussprechlich, erhaben, noch viel abstrakter; aber in Wirklichkeit sind wir dieses unaussprechliche, erhabene, fühlende Wesen. Und die so genannte ´materielle Realität’ ist nur ein kleines Fragment dieses gewaltigen, erhabenen, unaussprechlichen, abstrakten, fühlenden Wesens.


Die Geschichte des Anthropologen geht noch weiter: Am nächsten Tag ging er mit dem Mädchen fischen. Sie nahmen ein Boot, fuhren hinaus, und alle paar Minuten steckte das Mädchen den Kopf ins Wasser und sagte: ´Fahren wir zehn Meilen in diese Richtung’ oder ´fahren wir dorthin’, und so fanden sie alle Fische, die sie suchten. Letztendlich konnte mein Freund nicht anders, er musste es ebenfalls probieren. Er steckte also seinen Kopf ins Wasser, bis er fast erstickte, tauchte wieder auf und sagte: ´Ich habe nichts gehört. ’ Und das Mädchen, dieses kleine, zwölf Jahre alte Mädchen erwiderte: Eben das ist der Trick, die Stille zu hören. In der Stille ist der Raum aller Möglichkeiten.


Ich möchte meinen Vortrag an dieser Stelle mit einem kleinen Zitat von Kafka schließen. Kafka war ja im Allgemeinen ein sehr deprimierender Schriftsteller, aber einmal brachte er eine brillante Beschreibung des Weges zur Erleuchtung zu Papier:

Du brauchst Dein Zimmer nicht zu verlassen, bleib einfach an Deinem Tisch sitzen und horche.

Du brauchst nicht einmal zu horchen, warte einfach.

Du brauchst nicht einmal zu warten, werde einfach still – und die Welt wird sich Dir offenbaren; sie hat gar keine andere Wahl.


Besten Dank!



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..solltest du bis hierher gelesen haben, lieber Oskar, dann haben wir viel " Zeit" miteinander ERlebt und möglicherweise vieles gemeinsam bejaht !?!


Dein Tag sei schön !

Ciao

Dorlis


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