Der Schlachthof
Da mein Vater bald Geburtstag hätte, sind mir heute ein paar Erinnerungen gekommen, die ich noch nicht in dichterische Worte fassen kann und als eine noch ungeordnete kurze Geschichte hier schreiben möchte.
Als ich ein kleiner Junge von etwa 10 Jahren war, nahm mein Vater mich mit auf den Schlachthof. Er war Metzgermeister und arbeitete dort als "Koppschlächter", wie es dort genannt wurde.
Ich musste mir ansehen, wie Rinder und Schweine quasi "am Fliessband" geschlachtet wurden. Der Geruch von Angst und Tod war schon ziemlich heftig für mich!
Für den Biologie-Unterricht bekam ich dann noch ein paar Schweineaugen mit, um diese zur Anschauung dort vorzulegen. Ich habe heute noch das Papier vor Augen, in dem sie eingepackt waren.
Für mich als Kind war das eine harte Erfahrung.
Meinen Vater habe ich immer als "ganzen Kerl" gesehen. Er war direkt, sagte immer was er wollte und meinte, was er sagte. Er war ein guter "Handwerker", fleissig, ehrlich und er hat mich als Kind immer beschützt.
Er war halt ein "echter Mann".
Die Leute erinnern sich heute noch gerne und voller Hochachtung an ihn, weil er Spuren hinterlassen hat.
Im Laufe der Jahre erfuhr ich dann, dass mein Vater in jungen Jahren von seinem Vater, welcher ein sehr, sehr strenger Vater gewesen war, zum Beruf des Metzgers gezwungen worden war - vielleicht weil damals auch nichts Anderes zu bekommen war.
Ich fragte mich, ob es ihm wohl damals Freude gemacht hat, diesen Beruf zu ergreifen. Einige Zeit später fiel mir zufällig ein Bild meines Vaters in die Hände, auf dem er verkleidet in einem Kostüm abgebildet war.
Mir schien es so ein mittelalterliches Fest oder so etwas zu sein.
Er hatte so einen leuchtenden Blick und so ausdrucksstarke Augen auf diesem Bild und mir wurde sofort klar, dass er den Beruf niemals selbst aus freien Stücken ergriffen hätte. Er hätte sich glaube ich viel lieber irgendwie künstlerisch betätigt.
Jahre später brachte mein Vater aus einer Alkohol-Entzugstherapie eine Baumwurzel mit, die er in seiner Zeit dort selbst ausgesucht, poliert, geschliffen und lackiert hatte. Sie war wirklich wunderschön(!) und bekam einen Ehrenplatz im Wohnzimmer.
Er präsentierte sie uns voller Freude und hütete und pflegte sie wie seinen Augapfel. Sie war sein ganzer Stolz!
Spätestens jetzt wurde mir klar, dass mein Vater eigentlich ein ganz anderer Mensch war - nicht so, wie ich ihn eingeschätzt hatte.
Unter der erzwungenermassen harten Schale war ein weicher Kern, den ich sehr gerne eher und intensiver kennengelernt hätte. Wahrscheinlich musste er das tägliche Massentöten durch gespielte Härte und durch reichlich Alkohol überdecken, um zu überleben.
Das zog sich leider durch sein ganzes Leben und hat ihm sicher viel genommen. Er verfiel recht früh dem Alkohol - eine sehr unschöne Geschichte - und verstarb viel zu jung.
Einiges ist klar geworden und heute sehe ich meinen Vater mit anderen Augen.
H. A. für H.-J. A.
Lieber Tolkien,
sehr traurig wie ich finde. Dann wird es deinem Vater ganz bestimmt besser gehen, dort wo er jetzt ist.
Liebe Grüße Angie