Korowai Zwischen Himmel und Erde
Die Planung
Was liegt einem Abenteuer zugrunde?
Woran erkennt der normale Mensch, dass es sich nun in diesem Augenblick um ein Abenteuer handelt und nicht um eine brenzlige Situation?
Die Grenze ist fließend meinen Sie und lässt sich nicht erkennen?
Nun, wir denken das ein Abenteuer einen Moment einer vollkommenen Erfüllung oder eines Erfolges in sich tragen muss und man sich dessen erfreut kann.
Sowie es ebenfalls zu einem Abenteuer gehört, dass der Abenteurer die zu meisternde Aufgabe bzw. seine Art sie zu suchen, mit Mitteln bestreiten muss, die ihm sein Gewissen als sein oberstes Gut vermittelt.
Der Forscher fühlt seine Bestätigung in der Ermittlung und Festhaltung von Daten über das zu erforschende Ding.
Wir suchen die Bestätigung in uns und den Dingen, welche auf uns einwirken.
Nichts auf dieser Welt kann einen Mensch mehr beeindrucken und verändern, als ein anderer Mensch.
Es kann jede Art Mensch sein, welcher diesen Wandel vollziehen kann.
Ob ein Einwohner New Yorks, ein Bauer aus Hannover oder ein Ureinwohner einer Insel. Alle Menschen wirken auf uns und wir entscheiden mit ihnen darüber.
Ein Traum von Michael und mir war und ist es, einmal alle Naturvölker, bevor sie im schlimmsten aller Fälle von der Zivilisation aufgefressen werden, sehen zu können und zu besuchen.
Wie kann man sich einem Volk nähern, das man einerseits absolut von der Zivilisation abschotten möchte, aber andererseits auch kennen lernen und verstehen möchte?
Heißt es nicht: Wer erforscht, verändert auch.
Wir versuchten jeher einen Kontakt zu all unseren Vorfahren der Jetztzeit herzustellen, ebenso wie es sich viele Tausende Menschen mit uns wünschen.
Das Jemand oder Etwas dieses Glück erreicht, einmal einer solchen Seltenheit zu begegnen, ist wahrlich ein Erlebnis, dessen es sich lohnt es zu erleben und festzuhalten.
Der Gedanke ward geboren, die Idee stand als Grundsockel und speiste unseren Tatendrang mit Energie und Eifer.
Lang liefen die Verhandlungen rund um die Genehmigungen, den Nutzen und unserer Kompetenz. Wir hatten schließlich eine Verantwortung, welche sich zu rühmen keine Schande ist. Und doch sind wir keine Wissenschaftler.
Wer kommt als Bürger in Kontakt mit Menschen, die leben wie unsere Ahnen?
Wer darf sich ihnen nähern, ohne sie zu verändern?
Wir hofften sicherlich, das man uns erwählen würde.
Nach Monaten war es dann alles ganz leicht.
Eine Expedition suchte einen Träger und einen Gehilfen bei Navigation und Orientierung und als alter Marinesoldat der Russen bot sich Michael förmlich an, um diese wichtige Aufgabe zu übernehmen.
Meine Wenigkeit begnügte sich dankend mit Tragen und Schleppen.
Der Beginn
Irian Jayas, Mai 1997
Den Weg welchen diese Expedition nahm, wurde schon von den Entdeckern dieses Volkes beschritten und er ist der Einzige und zudem Sicherste.
Unmengen von Gepäck waren es, die sich schichteten und all dies wurde gerecht auf jeden Mann und Frau verteilt.
Fünf Personen waren wir, mit angestellten Trägern sogar zwölf.
Alle in einen alten Armee Lastwagen gefüllt und zusammen mit dem Gepäck gut verschnürt, ging es um Punkt sieben Uhr los.
Nachdem unsere Genehmigung vom Expeditionsführer der örtlichen Wachpolizei gezeigt und genehmigt worden war, durfte es hinter die Absperrungen und hinein in die Schutzgebiete gehen.
Der Fußmarsch ist die einzige Art sich hier fortzubewegen, teilweise im Schneckentempo und unter wirklich schweren Anstrengungen.
Das Gebirge ist absolut atemberaubend und das im wahren Sinn des Wortes.
Steigungen und Gefälle, die einem die Knöchel und Fersen bersten lassen, Böden die glitschiger nicht sein könnten und Wurzeln die einen schnell von den Beinen holen.
Michael redet vergnügt mit einem der Führer und diskutiert über Marschzahlen und Koordinaten. Die Träger summen ein leises Lied ohne Text und ich trotte der zweiten Expeditionsleiterin, einer Wissenschaftlerin, hinterher. Der erste Leiter bewegt sich hinter den Führern und ringt mit seinem Gepäck um besseren Sitz.
2600m sind wir hoch und es wird wirklich immer beeindruckender.
Es gibt lange Teile des Weges, die keinen Fußbreit von einem unglaublichen Abgrund entfernt sind. Stücke des Weges sind abgerutscht oder sehr rutschig. Michael und ich, sowie die Träger, leinen uns an manchen Stellen lieber mit unserem Seil an.
Die Führer und Leiter kennen den Weg bestens und scheinen sich sehr sicher zu fühlen. Doch später sichern sie sich ebenfalls ab.
Hängebrücken über reißende Flüsse machen den Weg noch anspruchsvoller.
Ich komme ab und an schon ins Schwitzen und muss kurz ausruhen.
Trotzdem ich oft und lange trainierte.
Die Träger und Michael scheinen keine Probleme zu haben, er versucht grade den Trägern ein russisches Volkslied beizubringen.
Ein wahrlich passender Titel Wandere, mein Liebling.
Der Expeditionsführer schießt ab und an ein Foto und wischt sich dabei den Schweiß ab, seine Partnerin trinkt öfters einen Schluck, sonst scheinen sie beide keine Sorgen zu haben.
Auf leisen Sohlen
Dirk fragte mich heute, wie ich auf dem Boden des Hauses einer der Häuptlingssöhne geschlafen habe. Mir fiel keine rechte Antwort dazu ein.
Es hatte grade begonnen zu regnen... Regen? Es war eine Sinnflut aus dem Himmel.
Unser oberster Führer erklärt uns unseren heutigen Weg.
Ich markiere mir die markantesten Punkt auf der Militärkarte und halte ein Gespräch mit dem Expeditionsleiter über Länge und Geschwindigkeit des Marsches.
Es zeigte sich, dass selbst unsere Expeditionsleiter ein paar kleine Blasen hatten, was bei dieser Feuchtigkeit selbst bei den besten Schuhen geschieht.
Die Träger hatten keine Schuhe.
Heute schlossen Dirk und ich die Prozession ab und nutzten die Gelegenheit um Bilder zu schießen und Pflanzen zu beobachten.
Hätte ich geahnt das ich meine gesamten Filme verlieren würde, hätte ich mir sicher keine derartige Mühe gemacht, sie trocken und kühl zu halten.
Wir überqueren mit einen Stamm, welcher nicht ganz einen Meter Durchmesser hat, einen recht imposant angestiegenen Wildbach.
Dirk torkelt mehr oder minder leichtfüßig über den Stamm, die Träger ebenso.
Ich warte auf den Leiter und die Leiterin und gehe dann zusammen mit dem letzten Träger hinüber.
Ein mulmiges Gefühl bekommt man schon auf diesem Stamm.
Aber was mag schlimmer sein, an einem 0,7cm Seil, 500meter über einem Abgrund des Kolymagebirges zu hängen, oder diesen Wildbach zu queren?
Die Feuchtigkeit plagt alle Teilnehmer, auch mich.
Nur durch meine Jacke, die mir Dimitri in Irkutsk schenkte, kommt kein Wasser.
Wenn sie auch um das dreifache wiegt als Ultraleichtfaser, so kann diese Jacke der ehemaligen sibirischen Spetsnaz mehr ab als die meisten Hightech Jacken.
Grade bei Feuchtigkeit und Dreck.
Ein Glück nur für mich, dass man das Futter nicht brauchte, sonst würde sie noch schwerer wiegen.
Jedes Gram zehrt an einem, wie der langsame Stich eines Messers.
Teils kam ich mir schon etwas ulkig vor, wie ich da mit meiner olivefarbenen Ausrüstung bei den Trägern lief.
Der Leiter der Expedition musste mehr als einmal einem Beamten erklären, dass ich Zivilist und kein Soldat sei. Dafür, so verkündete er lachend, würden vielleicht die hiesigen Langfinger ausbleiben.
Am schlimmsten, so stellte ich schon früh fest, ist dieses Gefühl der Teilnehmer, wenn es einmal nicht nach Plan verläuft und alle in eine Art Missmut verfallen.
Ein beherzt angestimmtes Volkslied oder ein Schlager hilft da meist.
Nur wenn es des Nachts kalt und noch dazu nass wird; dann liegt der Karren im Argen.
Morgens gab es die erste Streitigkeit zwischen Dirk und unserer Expeditionsleiterin, welche in einem Hollywoodfilm nicht besser hätte ablaufen können.
Die Träger lachten vergnügt als sie verärgert davon stampfte und Dirk grummeln seinen Kocher aufpumpte um Kaffe zu kochen.
Meines Wissens entstand der Streit aus der Frage der Hygiene.
Die Kanus die wir uns besorgen konnten sind wirklich gut.
Sie laufen wie Schlangen durch das Wasser und selbst bei harter Strömung paddelt es sich noch annehmbar leicht.
Dirk mag eigentlich keine Kanus, weil man in ihnen schlecht stehen kann.
Die Träger beweisen uns beim ein- und aussteigen das Gegenteil und hüpfen vergnügt im Kanu umher, ohne das es auch nur schwankt.
Endlich nach langen unendlich scheinenden Fahrten und Wanderungen durch Waldgebiete in denen der Kompass zum lächerlichen Spielzeug degradiert wird, kommen wir zu zwei Baumhäusern und werden begrüßt.
Nicht überschwinglich oder ausgelassen, aber auch nicht ärgerlich oder gar ängstlich.
Schließlich wusste man dank unserer Scouts, das wir kommen würden.
Es ist wirklich seltsam, aber allein durch unsere Präsenz, haben wir schon diesen Menschen etwas fremdes beigebracht, sie schüttelten uns die Hände.
Ja, sie begrüßten uns schon nicht mehr so, wie sie es ursprünglich taten, sie gaben uns die Hand, wie der zivilisierte Mensch in jeder westlichen Stadt.
Für mich ein etwas enttäuschendes Erlebnis, wenn es sonst kaum Grund dazu gab.
Kinder und überhaupt alle, hielten sonst großzügig Abstand und die Kinder fürchteten sich für Jedem.
Michael versucht behutsam einem etwa 12jährigen Jungen, zusammen mit der Leiterein, für eine kleine Flöte zu begeistern.
Er lies sie später auf einem Stein liegen und schaute dann weiter entfernt zu, wie der Junge die Flöte nahm.
Dann wurden die Geschenke überreicht: Salz und Jagdwerkzeuge wie primitive Messer, Schnüre und kleine Hacken.
Das stimmte das Volk schon friedlicher und sie wurden offener.
Michael kroch zusammen mit dem Expeditionsleiter die schmale Treppe welche aus einem Baumstamm bestand hinauf und besichtigte behutsam das Innere des Hauses, welches der ganze Stolz des Vaters war... was man verstehen kann.
Insgesamt blieben wir sieben Tage im Dorf und nächtigten dort in unseren Zelten.
Dirk und die Träger vergnügten sich mit den Kindern und schlossen Freundschaft.
Ich versuchte einen Überblick über das Dorf und die Gemeinschaft zu bekommen.
Ein älterer Sohn des Stammesvaters zeigte mir allerlei nützliche Dinge, die im Dschungel zum Überleben wichtig sind.
Welche Pflanzen Wasser und Nahrung spenden, welche Tiere es gibt und wo und wie sie gejagt bzw. gesammelt werden.
Hauptnahrung des Stamms ist das Sagomehl, welches sie aus dem gleichnamigen Baum gewinnen. Gemahlen, getrocknet und in Form gebracht, schmeckt es wirklich gut.
Als absoluter Höhepunkt unseres Aufenthalts bot man uns die Delikatesse des Dorfes, ja des ganzen Volkes an.
Leider wussten die meisten diese nicht ganz zu schätzen.
Man reichte uns Sagolarven.
Der echte Korowai-Gourmet verspeist sie lebend und mit dem Kopf voran.
Das brachte grade unser Expeditionsleiter übers Herz, ich begnügte mich dereinst mit einem abgebissenen Kopf... später lies ich mir sogar zusammen mit Dirk einen Blattbeutel voll einpacken.
Sie leben, wenn man sie füttert, noch recht lange und geben Kraft in der Not.
Unsere Leiterin war überzeugte Vegetarierin, aber sie wollte die Gastgeber nicht verärgern und nahm doch eine gegrillte Larve zu sich.
Dieses Volk lebt in Angst vor anderen Clans, die oft angreifen und sich sogar untereinander aufessen. Wer sagt, der Kannibalismus sei ausgestorben, der irrt gar sehr. Auch lebt es sich dort oben sehr friedlich und keine Tiere werden den Kindern gefährlich.
Der Stammesvater erklärte mir flüchtig die Art und Weise des Zusammenbaus, aber es blieb mir dennoch verborgen, wie man so etwas baut.
Viel mehr konnte ich nicht von dieser Reise mitnehmen, außer dem unersetzlichen Gefühl einmal einen Mensch getroffen zu haben, der sich so bewegt, wie die unendliche Vielfalt des Menschen es Jahrtausende getan hat.
Nur heute bewegt sich der Mensch in anderen Bahnen.
Ich habe ihn nicht gefragt, aber ich denke der Stammesvater wusste nichts um den ersten Mensch auf dem Mond... und hätte ich ihn gefragt, hätte er es sicher nicht geglaubt.
Michael schien in dieser Richtung mehr auf ihn eingegangen zu sein.
Alle der Expedition schienen ihren Wissensdurst etwas besänftigt zu haben.
Ich habe Michael niemals gefragt, aber er schein sich die selben Dinge zu fragen:
Zum Einen, wie lange es diese Menschen noch so geben wird.
Zum Anderen, wie viele Menschen noch anreisen werden, um sie zu sehen.
Wer dies entscheiden kann, darf oder sollte, ist mir ungewiss.
Michael denkt ebenso.
Letztlich steht vor uns ein Stamm aus vielleicht ein paar Hundert Ureinwohnern und noch einigen mehr, versträut über diesen Teil der Insel.
Wir werden beobachten was geschieht.
Das Eingreifen, egal in welcher Art, dürfte nur Schaden.
Wir verabschiedeten uns herzlich und wurden lange förmlich umgarnt mit Grüßen.
Aber man merkte auch Erleichterung, dass diese seltsamen Wesen wieder gingen.
Als einziges verloren wir bei der Rückreise einen kleinen Rucksack im Fluss, in ihm waren außer einigen Tüchern und Unterwäsche auch Michaels Kamera.
Er hatte vielleicht 2 Filme verknipst und davon konnte er grade 9 Bilder im Dorf selbst machen. Er ärgerte sich sehr darüber.
Als ich im Flugzeug gen Heimat saß und überlegte, was geschehen war, wusste ich nicht ob ich weinen oder lachen sollte.
Weinen, des Abschiedes und der kurzen Zeit; lachen, wegen des herrlichen Abenteuers und der wunderbaren Eindrücke.
Dirko ging es ebenso, er hatte viel erlebt. Mehr als bei allen Bergtouren und Trails durch die Tundra und Taiga zusammen.
Am Ende stehen wir Beide wieder hier in unseren Wohnorten und sehen Autos, Lichter, Menschen, Kleidung etc. und sind so entwöhnt von diesem Leben, durch diese kurze Zeit, dass wir beide über schlimmes Kopfweh klagen.
Wir hoffen alle sehr, dass es irgendwann eine zweite Chance für uns gibt, dieses Volk zu besuchen... aber bei der im Moment herrschenden Abschottung dürfte dies schwer sein. Was wir Beide nicht als Nachteil, sondern als vorbildlich und nützlich in Hinblick auf unsere Freunde empfinden.
Es gibt diese Welt, sie steht und lacht mit Deinem Herzen. Nur wenn es weiterhin in Dir lacht und Dein Herz besteht, besteht die Welt weiterhin so, wie sie Dich erfreut
Spruch eines Aborigines.
Gewidmet Dirko Juchas, meinem Freund und engsten Reisepartner.
Ich danke Dir für Deine Mühe, mich und meine Launen über Dich zu ertragen.
Wir wären wohl nie allein an den Punkt gekommen, den wir Beide erreicht haben.
Du wolltest immer träumen und Wind im Gesicht spüren.
Ich hoffe Du bist gegangen, wie Du es immer wolltest... glücklich.
Vergessen werde ich niemals, bis es auch mich niederschlägt und wir uns vielleicht wiedersehen können.
Halt' mir ne Wolke frei, Dirk.
Dein Freund, Michael.