Ist Ruhe verboten?
Ist das Leben in Ruhe verboten?
Es scheint, als tut der Geist alles, um Ruhe zu verhindern.
In der Natur gibt es keinen ruhigen Platz, irgendetwas tönt immer, Vögel, das Laub an den Bäumen, das Brummen von Flugzeugen irgendwo über den Wolken.
Ebenso verhindert der Geist immer wieder, daß ich irgendwo seßhaft werde, immer treibt er mich weiter. Wenn ich mal einen Menschen gefunden hatte, den ich mag, dann veränderte dieser Mensch sich irgendwann und benahm sich aus unerklärlichen Gründen ganz anders und ich war gezwungen, ihn zu verlassen.
So war das mein ganzen Leben lang. Immer getrieben und unglücklich. Nie verstand ich, was da passierte.
Ich sah die anderen Menschen in großen Gruppen, wie sie sich viel zu erzählen hatten, viele Gemeinsamkeiten zu haben schienen, zusammen lachten und Spaß hatten, ewig am selben Platz wohnten, Spaß an der Arbeit hatten und dann auch noch die Kraft, in der Freizeit tausende Dinge zu machen, einen Zweitjob, einen ehrenamtlichen Job, Vereinstreffen, Extremsport, hundert Freunde treffen und IMMER gute Laune haben.
Schlafen die anderen nie? Hat der Tag der anderen mehr Stunden als meiner?
Als ich noch berufstätig war, war ich froh um jede freie Minute und die wollte ich in Ruhe verbringen. Ruhe war mir immer das Liebste.
Seit 2010 bin ich raus aus der Berufswelt. Ich will nie wieder da hinein.
Erst 2010 habe ich angefangen zu sehen, wie schön die Welt ist. Ich war so begeistert, daß ich mir einen Camcorder kaufte und meine neue Welt im Allgäu filmte und fotografierte, in die ich mich zurückgezogen hatte.
Das Fotografieren öffnete mir immer mehr die Augen und ich sah immer mehr, was um mich herum war. Ich erkannte immer mehr, wie blind ich war. Ich lief blind durch die Gegend trotz offener Augen, fast ein halbes Jahrhundert lang.
Doch die Geister sagen: Du hast keine Augen.
Was soll ich dazu sagen?
Als die Geister zu mir kamen, habe ich monatelang große Ängste ausstehen müssen, jeden Tag neue Ängste. Aus irgendeiner mir heute nicht mehr bekannten Angst habe ich alle meine Fotos und Filme gelöscht. Also alles, was mir in den vergangenen Jahren Freude gemacht hatte.
Nach Tagen oder Wochen bereute ich das und versuchte, meine Fotos wiederherzustellen, was nur teilweise gelang und nur völlig ungeordnet.
Tage oder Wochen später holte mich wieder die Angst ein und ich löschte wieder alle Daten, welche ich aufwendig gerettet hatte.
Und wieder bereute ich später mein Tun und holte das Gelöschte wieder mit einem speziellen Programm hervor.
Und das Ganze wiederholte sich noch ein drittes mal.
Aber nun war ich wild entschlossen, meine Bilder zu behalten. Viele waren nicht mehr übrig, weniger als ein 10tel und ich habe sehr lange gebraucht, um sie etwas zu sortieren.
Aber so habe ich heute wenigstens eine Erinnerung an meine schönste Zeit in meinem Leben.
Als ich meinen Umzug plante vom Allgäu hierher nach Norddeutschland, hoffte ich auf 'Normalisierung', darauf, mein altes Leben zurückzuerhalten.
Sie sagten immer: Du kommst nach Hause.
Und ich dachte, ich soll nach Hause gehen, dachte, der Norden sei mein Zuhause, weil ich hier geboren bin.
Ich hatte mich geirrt. Ich habe gar kein Zuhause. Ich weiss nicht, wovon die Geister sprechen, wenn sie Zuhause sagen.
Auch hatte ich mich gefreut auf ein Leben in einer größeren Stadt. Ich wollte viel wandern, viel sehen, kennenlernen, fotografieren. Ich wollte Freunde suchen, wollte mich Gruppen anschließen.
Aber als ich dann hier war, öffnete der Geist meine Ohren und machte, daß jeder Mensch und jedes Tier und jedes Ding und der Wind zu mir sprach und das immer und ununterbrochen.
Jeder noch so kleine Ton ist Wort, überall sind Worte.
Manchmal ist es so schlimm, daß ich heulen muß. Nach dem Heulen ist es besser erträglich.
Ich fürchte mich besonders vor den Worten der Menschen. Mit dieser Angst werde ich nie einen Freund finden. Mit dieser Angst kann ich nicht mit den Menschen zusammen sein.
Hätte mir der Geist meine Ohren schon im Allgäu geöffnet, wäre ich nie dort weggezogen, ich hätte mich ins Bett gelegt und wäre nie wieder aufgestanden.
Meine damalige Wohnung war ein schöner Ort zum Sterben. Meine schönste Wohnung von allen, die ich bisher hatte. In einer wunderschönen paradiesischen Landschaft.
Der Geist hatte mir ein Gefühl gegeben, das mich zu den Menschen zog.
Doch als ich dann hier in der Stadt ankam, zerstörte er das Gefühl und verwandelte es in Haß.
Haß und Angst scheinen ähnlich zu sein.
Wenn ich die Menschen reden höre, reagiere ich panisch und dann verfluche und beschimpfe ich sie. Bis jetzt nur in Gedanken oder so leise, daß sie mich nicht hören können.
Aber die Geister sagen oft, wenn ich die Menschen verfluche: Wir können dich hören.
Ich habe Angst vor ihren Worten, weil sie mit mir reden. Aber das ist unmöglich. Das kann nicht sein. Ich sehe das als Zauberei des Geistes. Und darum macht es mir Angst.
Jeder Mensch scheint alles über mich zu wissen.
Es scheint, als wäre ich der einzige dumme Mensch auf der Welt, der nicht weiss, was hier passiert.