Zwischen Mitgefühl und Maß
Es war der gute Wille, aus dem Schweden handelte. Ein Wille, geboren aus dem Schmerz Europas, das einst selbst Millionen entwurzelte, verbrannte, vertrieb. Ein Kontinent, der in den Spiegel sah und beschloss, anders zu sein. Menschlicher. Gütiger. Und so öffnete man Türen – in der Hoffnung, dass Heimat sich teilen ließe wie Brot.
Doch Güte allein genügt nicht, wenn sie sich selbst nicht hinterfragt. Aus der Sehnsucht, Schuld zu überwinden, wurde ein neues Dogma geboren: das Nicht-Sehen, das Nicht-Benennen. Man sprach von Vielfalt, aber meinte Einfalt, denn man hörte nicht hin, wenn Stimmen aus Parallelwelten kamen, die nicht Integration, sondern Abgrenzung suchten.
Die Linke, so oft das Gewissen der Welt, verwechselte Mitgefühl mit Nachsicht. Wo Klarheit nötig gewesen wäre, herrschte Beschwichtigung. Wer fragte, wurde verdächtigt. Wer warnte, wurde verleumdet. Und so wuchs, unbemerkt oder doch verdrängt, ein neues Unbehagen: Gewalt in Vorstädten, Verachtung gegenüber Frauen, Hass auf Juden – und all das unter dem Mantel des Schutzes.
Aber der Mensch ist nicht nur ein Leidender. Er ist auch ein Handelnder. Und Freiheit verlangt Verantwortung. Die Freiheit, die Schweden bot, war kostbar – doch nicht jeder, der sie empfing, verstand ihren Wert.
Nun steht das Land am Rand eines Spiegels. Es sieht sich selbst, und erkennt sich kaum. Der Weg zurück führt nicht über Schuldzuweisungen, sondern über Mut: Mut zur Wahrheit, Mut zur Unterscheidung, Mut zur Forderung.
Denn das Mitgefühl, das sich nicht schützt, verkommt zur Schwäche. Und der Humanismus, der sich nicht verteidigt, wird zum Selbstbetrug.
Herman Hesse