Ist die Welt so simpel gestrickt, dass sie mit schlichten Entweder-Oder-Schemata zu erfassen wäre? Oder ist manches an unserer Denke so simpel gestrickt, dass wir uns etwas Anderes als schwarz oder weiß oder richtig oder falsch oder Häuser oder keine Häuser gar nicht mehr vorstellen können/mögen? Und dann auch noch solche mentalen Monokulturen mit Zähnen und Klauen und allen unfairen Untergriffen, die die Rhetorik so anbietet, verteidigen?
Als im Buch Kohelet des Alten Testaments geschrieben wurde "Es gibt eine Zeit, Häuser zu bauen, und eine Zeit, Häuser niederzureißen", meinte der Autor wohl kaum astrologische Häuser (weil's die damals in unserer Ausprägung auch nicht gab, die Astrologie selbst ist älter als jedes Häusersystem), aber im Grundsatz stimmt es - die Abkehr vom Absoluten. Es gibt Rahmenbedingungen, unter denen bestimmte Häusersysteme Sinn machen, und es gibt Rahmenbedingungen, unter denen sie keinen Sinn machen. Das zieht m.E. zwei Konsequenzen nach sich: Die eine, die Rahmenbedingungen zu untersuchen und im Blick zu behalten, und die andere, sich zu entscheiden, ob man trotz dieser Gebundenheit eines Systems an konkrete Rahmenbedingungen damit arbeiten möchte. Wenn man sich dafür entscheidet, wird man vermutlich gut damit arbeiten können - weil man zugleich auch den Kontext im Auge behält. Wenn man sich dagegen entscheidet, weil man nichts akzeptieren möchte, was nicht mit einem globalisierten Gültigkeitsdekret versehen ist ... auch okay. Und wenn man glaubt, andere wegen einer anderen Entscheidung abklassifizieren zu müssen, gibt das der eigenen Sache zwar auch nicht mehr Gewicht, aber denen, die aufmerksam lesen, zumindest interessante Einblicke.
Zum Polarkreis: Auch wenn ich die Häuser weglasse, bleibt die größenmäßige Verscherung der Quadranten zwischen AC- und MC-Achse. Wie sich ja auch die Tages- und Nachtlängen am Äquator anders darstellen als am Polarkreis. Es gibt dort tatsächlich Mitternachtssonne und Polarnacht, und da kann ich hundert Mal wünschen, auch dort sollten die Tage gleichförmiger sein ... ich wäre jedenfalls einem astrologischen System gegenüber sehr skeptisch, das solche geographischen Unterschiede nicht abbilden würde.
Eine andere Frage ist, wie ich deutend damit umgehe. Solange ich nichts überzeugend Besseres gesehen habe, würde ich ungern auf die Raum-Zeit-Spezifität des Horoskops verzichten. Ich arbeite selbst immer wieder gern unter Ausblendung der "Häuser", speziell dann, wenn ich mit der Fraktalen Progression arbeite, weil dort die Achsen so schnell und mit hoher tagesspezifischer Signifikanz wandern, dass eine Betrachtung als herkömmliches "Häusersystem" völlig in die Irre gehen würde. Da sind die Achsen (und eigentlich vor allem die kardinalen) im wesentlichen Auslöser von Komplexen, die durch die Planetenkonstellationen gebildet werden. Und da ist es ebenso reizvoll wie sinnvoll, die Zeitqualität aus ebendiesen Planetenkonstellationen herauszufiltern - und das geht auch, und die Werkzeuge dafür sind wohlbekannt aus der astrologischen Tradition ... von den klassischen Würden bis hin zum Instrumentarium der Halbsummen, Feinaspekte etc.
Das war aber nun ein Sonderfall von Astrologie - die Interpretation progressiver, in Bewegung befindlicher Konstellationen. Ich habe den Eindruck, dass hier manchmal etwas statisch betrachtet wird (was die Bildschirmanzeige oder der Ausdruck nahelegen). Tatsächlich ist lediglich das Geburtshoroskop statisch, ein Schnappschuss, während alle anderen astrologischen Verfahren von den Transiten bis zu div. Progressionen und Direktionen Systeme in Bewegung sind ... und bei solchen Systemen in Bewegung würde es m.E. viel Sinn machen, zwischen auslösenden Achsen und Häusern, deren Definition immer eine statische ist, zu unterscheiden bzw. Häuser im engeren Sinn nur für das Geburtshoroskop zu verwenden. Wobei dort dann auch das jeweils bevorzugte Deutungssystem eine Rolle spielt, wie ich weiter oben schon betont habe. Wobei dann auch etliche Grundannahmen und Ideologien der verschiedenen "Schulen" zu betrachten wären. Wie gesagt, Häuser kommen immer in ganz bestimmten Kontexten vor, und eine Diskussion, die solche Kontexte außen vor lässt, ist ziemlich schwach fundiert.
Mich würde aber durchaus interessieren, eine schlüssige "häuserfreie" Horoskopdeutung und deren Vorzüge einmal an einem anschaulichen Beispiel vorgeführt zu bekommen ... wie wär's, Hi2U?
Alles Liebe,
Jake