Lieber Condemn,
Zu sagen, dass es im weitesten Sinne keine krankhaften Prozesse gibt, das Sein immer vollkommen ist etc., mag ja stimmen. Aber wir erfahren Leid. Tolle beschreibt einfach einen Zustand.
Ja, dass hatte ich auch versucht, Jazu zu vermitteln. Aber ein Mensch kann ja einen Text sehr unterschiedlich wahrnehmen: manchmal ist ein Mensch vielleicht sehr offen sowie durchlässig und dann liest er den Text gleich als Beschreibung und versteht auch den Krankheitsbegriff deskriptiv und all dies als Teil des Seins; manchmal liest er ihn vielleicht aber auch eher ein wenig aus seinen Hoffnungen und Sehnsüchten sowie Erwartungen und dann ecken diese an den Text an. Als ich den Text las, da konnte ich wie gesagt beides an mir wahrnehmen. Du hingegen nimmst hier jetzt die Perspektive des Seins ein, wie mir scheint. Mir ging es eher darum, die psychischen Ambivalenzen zu beschreiben, die auftreten können, wenn man Tolle liest - also aus der Perspektive des Entwicklungsprozesses, mitten drin

Du machst hier jetzt einen ganz wichtigen Unterschied, den ich gleich in meinem Beitrag auch noch einmal aufgreifen möchte:
Insofern finde ich es schon gerechtfertigt einen deutlichen Unterschied zu machen zwischen Aspekten die ins Leid führen und dessen Ausdruck sind, und Aspekten die in die Freiheit von Leid führen.
Das finde ich einen ganz wichtigen Punkt für deinen nächsten Abschnitt:
Ich glaube, das ist eine Frage der Überzeugungen. Wenn Du davon überzeugt bist, dass z.B. joggen Dir dasselbe gibt wie Meditation oder sogar mehr, dann wird das so sein denke ich. Die Wirkung von etwas ist, über sich selbst hinaus in die Zeit, nicht objektiv, sondern jeweils genau das was man dann "momentan" denkt (wovon man überzeugt ist).
Ich glaube hier, dass man das nicht ganz so sagen muss - oder dass die Formulierung vielleicht einen Relativismus nahe legt, den ich in seiner realen Richtung - also dem Zustand der Identifikation - näher beschreiben möchte.
Wenn ich davon überzeugt bin, dass mir joggen dasselbe gibt wie Meditation, dann wird das nicht notwendig so sein. Vielleicht bin ich davon überzeugt und diese Überzeugung ist ein Muster in meinem Verstand. Wenn mich aber nun meine Freundin dennoch mit auf den Meditationskurs mitnimmt und ich erfahre etwas ganz Großartiges, dann zeigt sich mir in der Erfahrung etwas anderes.
Mir scheint, dass du hier den Verstand zu sehr überbetonst, wie das z.B. Tolle selbst nicht vornimmt. Tolle schreibt sehr schön, wie ich das gerade auch in meinem vorigen Beitrag hier schrieb, dass die Bedeutung von Ereignissen auch durch das wahre und tiefe Selbst mitgetragen werden kann zumindest ein klein wenig oder auch sehr. Und es geht hier außerdem um die Differenz eines Verstandesmusters zu einer wirklichen Erfahrung.
Ich stimme dir zu, dass, wenn ein Mensch vollkommen gegenüber der Meditation verschlossen ist und Panik bekommt, wenn man ihm nur ein Sitzkissen zeigt, weil er denkt, man wolle ihn manipulieren oder Probleme einreden, dass diesem Menschen dann Sport mehr gibt, aber Sport wird diesem Menschen niemals das geben, was einem anderen Menschen ein Portal des Seins sein wird. Wenn dieser Mensch im Sport wirklich auch ein Portal des Seins fühlt und erfährt, dann ist er wiederum auch für die Meditation offen. Er wird aber sicherlich im Sport etwas ganz anderes erfahren.
Insofern würde ich sagen, dass die Wirkung nicht subjektiv ist, aber sie ist auch nicht objektiv. Mir scheint die folgende Formulierung trifft es besser: die Wirkung ist objektiv so sehr erfahrbar, wie sie subjektiv aufgenommen werden kann. Sport kann für einen Menschen mehr sein als Meditation, aber er wird niemals das sein, was für ihn nur Meditation sein könnte.
Ich finde an diesem Punkt auch die Positionen von Opti und Lightning interessant. Beide haben auf ihre Weise Recht wie mir scheint. Opti gesteht ja zu, dass man sogar mit Tantra Erleuchtung erlangen kann, aber er weist dann darauf hin, dass dies ein sehr schwieriger Weg ist, dass Sexualität erst einmal sehr zur Abhängigkeit führen kann. Und Lightning weist darauf hin, dass es sehr wichtig ist, die Gefühle wahrzunehmen und authentisch zu sein.
Jetzt einmal abgesehen von der Universalbedeutung, die beide jeweils der eigenen Position zuschreiben, scheine dies für mich genau solche Hinweisschilder zu sein, wie du sie auch bei Tolle ausmacht, wenn er von Krankheit vs. Freiheit spricht. Nicht alles kann zur Erleuchtung führen, sondern es gibt bestimmte Portale und bestimmte Wege, die einen Menschen dorthin führen können.
Natürlich extrem vereinfacht. Worum es mir geht ist v.a.: Identifikation besteht innerhalb der Wahrnehmung und gehört auf die Seite der Illusion die transzenidert werden kann/muss. Es ist eine Verbundenheit zwischen Bewusstseinsinhalten, so dass sozusagen an bestimmten "Stellen" keine Wahl besteht. Ein Gedanke der mit einem anderen verbunden ist, löst unweigerlich diesen anderen aus, während das Gefühl der Identifikation gleichzeitig die Überzeugung mit sich bringt eine Wahrheit vor sich, wie auch keinen Einfluss darauf zu haben. Dazu kommt Unbewusstheit. Aber: Das alles läuft innerhalb der Wahrnehmung ab und läßt das "reine Sein", den Beobachter vollkommen unberührt. "Der" wird weder bewusster noch unbewusster oder ist von irgendetwas überzeugt oder mit etwas identifiziert. "Er" läßt einfach alles geschehen, stellt sich selbst sozusagen als grundlegende Energie zur Verfügung und beobachtet wie er "verformt" wird. Es gibt also aus der Sicht des "reinen Seins" keine Wahrheit die absolut wäre, noch nicht mal eine momentane wie etwa "genau jetzt ist er unbewusster als eben". Es ist immer gleich und unberührt. Alle Veränderung liegt innerhalb dessen was wahrgenommen wird. Das Seltsame ist, man nimmt nun eine Persönlichkeit wahr, die dass durchschaut hat. Sie weiß: Ich bin das in Wirklichkeit "reine Sein". Das was ich bin ist weder mit etwas identifiziert, noch von etwas überzeugt, sondern absolut frei. Und ich frage mich oft, wie man das einerseits wissen kann, andererseits auch wieder nicht. Im einen Moment ist man sich sicher, im nächsten Moment kommt irgendein unbewusster Gedanke/Zweifel, der eigentlich gar keine Rolle spielen dürfte. Meiner Meinung nach dürfte der nicht mal auftauchen. Negative Gedanken ziehen sehr schnell weitere negative Gedanken nach sich. Positive Gedanken hingegen lösen sehr oft auch erst mal das Gegenteil aus, also Negative. Und irgendwie ist das wiederum ein Zustand, der einerseits lösbar sein müsste... also der gesamtzustand "Verdammt, ich weiß es doch... aber ich komme nicht weiter." müsste eigentlich auflösbar/annehmbar sein. Gleichzeitig liegt seine Perfidität darin, dass er es nicht ist. Man kann hingegen auch nicht so einfach sagen: Man muss ihn gar nicht annehmen... Es scheint da irgendwo eine objektive Kraft zu geben und genau die ist mir unklar. Irgendetwas das nicht bloß Glaube ist, bzw. vielleicht ist der Glaube selbst diese objektive Kraft, das Gefühl das eine Überzeugung wahr erscheinen läßt, während das Gegenteil außerhalb der Möglichkeit es zu erfahren zu liegen scheint.
Kann man verstehen was ich meine?
Ich habe jetzt hier wieder ganz klar das Gefühl, dass du das Bewusstsein zu sehr als Verstand und Glauben siehst, dass du aber, wie weiter oben, das Selbstgefühl, das tiefere Selbst, nicht wirklich mit ein beziehst. Dieses Ich bin in Wirklichkeit reines Sein ist kein Gedanke, sondern es ist das Selbstgefühl, das dies vollkommen klar fühlt, das dann auch durch ein paar Gedanken nicht wieder erschüttert wird.
Wenn man einen längeren Meditationskurs sitzt, dann kann man den Unterschied, wie ich finde, recht deutlich wahrnehmen, weil sich die Veränderung so konzentriert vollzieht. Das tiefe Selbst wird hell, Stille kehrt ein, der gesamte Geist ist von Stille und Harmonie erfüllt, der gesamte Leib ist aufmerksam - und die Gedanken werden unwichtig und identifizieren nicht. Sobald Gedanken wieder identifizieren, kann man auch am Leib sofort ein kleine Verkrampfung fühlen, die man früher gar nicht mehr gefühlt hätte, weil im Körper gar keine Aufmerksamkeit war.
Wenn man dann wieder zurückkehrt, dann wird dieses Selbstgefühl wieder schwächer, der Leib unbewusster, die Gedanken identifizieren mehr: das Ich bin in Wirklichkeit reines Seins ist nicht mehr Sein, sondern wird wieder zum Gedanken und zur Erinnerung, an die man sich vielleicht als schönes Erlebnis festklammert.
Ich weiß nicht, ob man irgendwann einen unumkehrbaren Erfülltheitszustand erreicht vielleicht ist das Erleuchtung oder ob eigentlich immer wieder die Möglichkeit besteht, dass ein Mensch wieder aus dem Himmel fliegt, wie man das manchmal lesen kann. Dazwischen wären auch solche Vorstellungen, wie, dass man 10-20 Mal erleuchtet werden muss, dass es hält, etc. .
Aber eigentlich ist das auch nicht so wichtig, scheint es mir. Das eigene Selbstgefühl zeigt ja ganz deutlich an, wohin es gehen kann.
Auf der einen Seite das brauchen, die Angst vor irgendeiner Art Verlust von etwas das mit dem Selbstwert verbunden ist, und auf der anderen Seite die unbewusste Haltung genau demgegenüber, da diese Gedanken gefürchtet werden, zu fliehen versucht wird. Im Grunde baut sogar alles nur darauf auf. Wir fliehen fast ständig in irgendeiner Weise vor dem grundsätzlichen Gefühl des Mangels, der nahezu konstant ist. Ich glaube, es gibt so etwas wie ein grundlegendes reines Leid... Eben das was ich im letzten Beitrag beschrieb, wo Du meintest ich hätte es "meditativ geschrieben" ;-) Dieses Gefühl, das Identifikation, Ohmach/Opfer-sein, Dauerhaftigkeit, Unfassbarkeit, allgemeine Unsicherheit etc. zu vereinen scheint. Und ich glaube, dass es die Wirkung der illusionären Trennung ist. Wir leben keine Wahrheit. Im Grunde genommen muss sich das ja mies anfühlen
Ja, sehe ich sehr ähnlich.
Ein Mangel an Fähigkeit mit Menschen umgehen zu können, kann nicht durch psychologisches Wissen ausgeglichen werden, und ich glaube sogar das die meisten guten Psychologen, die wirklich hilfreich sind, nicht unbedingt schlechter wären wenn sie ihren Job ohne Studium und rein aus ihrem Talent heraus machen würden. Wobei... Das Studium bringt sicher auch Sicherheit mit sich, die wichtig ist. Aber viele Konzepte sind einfach nicht grundlegend genug und betrachten nur einen Teil. Sie verhindern sogar Heilung, wenn damit einhergeht dass z.B. gesagt wird: "Das" ist die Ursache... während dieser "Ursache" auch noch Objektivität eingeräumt wird.
Ja, das sehe ich genauso. Wir befinden uns leider noch an der Stelle der Evolution, wo die Psychologie sehr aus der Naturwissenschaft kommt, die Psychiatrie sehr aus der Medizin und die Psychotherapie sehr aus tradierten Menschenbildern (Gewohnheiten, Bedürfnisse/Sex/Unbewusstes, Kognition, Gehirn) bestimmt wird. Jeder kann im Prinzip Psychologie studieren, dann eine Ausbildung machen und dann auf der anderen Seite des Tisches Platz nehmen und sich auf der gesunden Seite , die anderen Besucher auf der kranken Seite verorten und dann eine kompensierende Machtposition einnehmen. Manche Therapien versuchen das mit einer langen Ausbildung zu verhindern, aber insgesamt wird all das noch nicht von einem spirituellen Kern getragen. Alle diese Richtungen fallen auch mehr oder weniger auseinander. Es gibt aber Funken in der Gegenwart, die zumindest auf eine Einheit und auf die Spiritualität in all dem deuten. Vielleicht ist es in 50-100 Jahren so weit
Liebe Grüße,
Energeia