Die Struktur eines Filmes (Mehr Spaß an Filmeschauen) - Wendepunkte der Spannung

Iakchus

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Eine Geschichte wird erzählt, klar, aber es kommt auf die Spannung an.
Man stellt immer wieder ein typisches Muster fest, wie die dramaturgische Spannung in einem Film erzeugt wird. Gelesen habe ich es mal in einem Buch, "wie man ein gutes Drehbuch schreibt. Folglich findet man diese Wendepunkte oft auch in Romanen.

Massgeblich sind zwei wichtige Punkte in einem Film, die meist so um die 30. und 60. Minute auftreten. Es sind Wendepunkte.

Nehmen wir als Beispiel einen Film über einen Entführungsfall.
Dieser liesse sich in verschiedener Weise erzählen.

Eine Variante könnte so aussehen:

Nehmen wir an, die Entführung wird dem Zuschauer kurz von aussen geschildert, es gibt eine Lösegeldforderung, und dann versucht ein Polizist die Entführer zu finden und die entführte Person zu retten.

Bis zu dem ersten Wendepunkt der Spannung, sagen wir ca. 30 . Minute, verfolgt er verschiedene Spuren. Derweil wird versucht auf Zeit zu spielen (Lösegeld zusammentrommeln dauert eben).

Nun kommt der Wendepunkt in der Geschichte, das könnte zB so aussehen, dass sich für den Polizisten der Verdacht ergibt (ein Indiz, aber noch nicht die Bestätigung) , dass etwas nicht stimmig ist an der Entführung. Er hat vielleicht einen Hinweis gefunden, der auf eine Verbindung zwischen Entführer und der entführten Person hinweist und dass beide Personen bereits lange vorher zusammen gesehen wurden.

Der weitere Verlauf der Geschichte erhärtet nun den Verdacht, und natürlich sind gute Filme so aufgebaut, dass mehrere Möglichkeiten für den Zuschauer offen bleiben, was wohl wirklich hinter der Entführung steckt.

Nun ermittelt der Polizist weiter . Dann kommt der zweite Wendepunkt, sagen wir so um die 60-70. Minute.

Hier könnte sich nun der Verdacht durch einen neuen Zeugen erhärten, und der Polizist beginnt endlich die entführte Person genauer ins Augenmerk zu nehmen, und stellt im weiteren Verlauf fest, dass diese Person Schulden bei einem illegalen Wettbüro hat (soll ja jetzt nur ein banales Beispiel sein). Das Finale besteht dann darin, die gesamte Bande - die vermeintlichen Entführer ebenso wie die angeblich entführte Person - dingfest zu machen, was zB in einer Falle bestehen kann, die der Polizist bei der Lösegeldübergabe stellt. Vielleicht bedroht der Entführer die Geisel und der Polizist sagt, "erschiess Sie doch, ist mir doch egal". Und dann ergibt sich irgendwie eine Selbst-Entlarvung, und beide Verbrecher flüchten mal eben kurz, und werden festgenommen. Man könnte dem Film noch komplexer machen, indem man die Schuldeneintreiber des illegalen Wettbüros gleich mit dingfest macht, und dass auch ab der 60. Minute die Konfrontation zwischen angeblichen Enttführungsopfer und Schuldeneintreiber gezeigt wird.

Kennzeichnend ist hierbei, dass bis zur 30. Minute alles nach normaler Enführung aussieht, dann dreht sich die Geschichte um die Frage, was wirklich hinter der Entführung steckt, und der zweite Wendepunkt besteht meist in einer deutlichen Klarstellung, womit eine Odysee eingeleitet wird (vergleiche die Heldenreise, zB Abstieg in die Untwelt, Besiegen des Monsters oder Charakterprobe usw.). Der 2. Wendepunkt besteht meist in einer durch die offen gelegten klaren Verhältnisse entfachten neuen Dynamik.

Es gibt diese Struktur von zwei Wendepunkten mal weniger offensichtlich, mal sehr deutlich. Aber man findet sie so gut wie immer. Diese Wendepunkte bringen die Story in eine jeweils andere Richtung, oder verschärfen die Spannung. Zum Beispiel könnte der erste Wendepunkt (30. Minute) in einem Film über eine Bombenentschärfung darin bestehen, dass die Bombe keine normale Bombe ist, sondern eine Atombombe. Der zweite Wendepunkt (60. Minute) könnte darin bestehen, dass man den Urheber bzw. Konstrukteur der Bombe gefunden hat und in der Folge bis zum Finale muss man ihn nur noch überreden, preis zu geben, wie man sie entschärft. Dabei greift man sowohl zu Folter als auch moralischen Überredungen und es ergibt sich die Spannung, ob man dem Bombenleger vielleicht in seinem Hass auf die Zivilisation nur bestätigt. Das Finale (letzte zehn Minuten) könnte darin bestehen, dass der Konstrukteur die falsche Anleitung gibt, aber der Bombenentschärfer es ahnt aufgrund irgendwelcher Indizien, und dann auf "gut glück" einfach den roten und nicht schwarzen Draht durchschneidet.
Das Finale (letzte zehn Minuten) enthält also meistens auch noch mal einen Wende- oder Spannungspunkt, aber er ist meist nur noch mal eine kurze Zuspitzung. Er treibt die Story und Dramaturgie nicht mehr voran.

Achtet man auf diese Spannungspunkte und entdeckt sie in einem Film, macht das Filmeschauen mehr Spaß.
Typisch wäre also:
1. Teil 1. bis 30. Minute, Wendepunkt
2. Teil 30. bis 60. Minute, Wendepunkt
3. Teil 60. bis 90. Minute (darin eingschlossen das Finale, das sind meist die letzten 10 Minuten)

Man sollte nicht exakt diese Minutenangaben beachten, diese Punkte d.h. 30. und 60. Minute können 10 Minuten früher oder später stattfinden (bis auf das Finale natürlich).

Meist ist auch typisch, dass ein Film ab der 60. Minute noch mal an Fahrt aufnimmt.

Eine andere Beschreibung findet sich hier: http://dramaqueen.info/wiki/wendepunkte/
Die von mir erwähnten Wendepunkte werden hier als Plot Point bezeichnet, der Klimax ist aber nicht gleich Finale. Der Klimax ist eher so zu sehen, dass hier die Geschichte gezeigt wird, die sich ab dem 2. Wendepunkt ergibt. Was ich als Finale bezeichne, ist einfach nur das Ende, das Happy End, oder tragische Ende.

Plot-Point 1 ^
Der Plot-Point 1 trennt den ersten vom zweiten Akt. Er lenkt die Handlung entweder in einen aufsteigenden, positiven oder in einen absteigenden, negativen Verlauf. Idealerweise verkörpert er das Best- bzw. Schlimmstmögliche, das dem Protagonisten gemäß seiner Exposition widerfahren kann. Damit wirft der Plot-Point 1 die zentrale Frage des Films auf, die den gesamten zweiten Akt des Films prägt.

Midpoint ^
Wie sein Name bereits verrät, befindet sich der Midpoint in der Mitte des zweiten Aktes und teilt die Geschichte somit in zwei Hälften. Er stellt einen optionalen Wendepunkt dar. Das bedeutet, dass an diesem Punkt der Geschichte eine Wendung erfolgen kann, aber nicht muss. Es kann auch sein, dass sich der positiv-steigende bzw. der negativ-fallende Handlungsverlauf weiter bis zum Plot-Point 2 fortsetzt.

Plot-Point 2 ^
Wie der Plot-Point 1 stellt auch der Plot-Point 2 einen obligatorischen Wendepunkt in einer Geschichte dar. Er trennt den zweiten vom dritten Akt und bildet das Ende der Hauptspannung. Er gibt die (vorläufige) Antwort auf die vom Plot-Point 1 aufgeworfene zentrale Frage.
 
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Der Gedanke ist nicht, bloß diese Wendepunkte zu finden, sondern der Gedanke ist, dass man dem Film besser folgen kann und neue Reize gewinnt, wenn man diese typische Struktur der Dramaturgie kennt.
 
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