K
Karuna
Guest
Der Stein
Die Eiszeit näherte sich langsam ihrem Ende, legte nach und nach die Landstriche in Küstennähe frei, wo nun die Erde zu erwachen begann. Kaum erblickte jener Stein im äußersten Südwesten Europas den Himmel, einen Himmel, wo sich die ersten Sonnenstrahlen noch schüchtern durch die Wolkendecke wagten, kam das Meer.
Durch das Abschmelzen der Eisdecke stieg der Meeresspiegel, überspülte das Land unter den Fluten der See.
Meerespflanzen und Muschelbänke siedelten sich um den Stein an. Fische nisteten in entstandenen Mulden und Grotten. Der Stein blieb einige tausend Jahre unter Wasser.
Begonnen hatte alles nach unserer heutigen Zeitrechnung, vor elftausend Jahren, als eine Naturkatastrophe von ungeheuren Ausmaßen die Erde heimsuchte. Ein Meteorit näherte sich von Nordwesten der Küste Nordamerikas, als feuerroter Ball überflog er in vierhundert Kilometern Höhe die Erde. Je näher er kam um so mehr begann er sich zu erhitzen. Immer riesiger wurde sein Gasschweif hinter ihm. Ungeheurer, als je ein Komet es sein könnte, in einem Lichtglanz, vor dem die Sonne erblasste, muss dieser tötende Blitz herniedergestoßen sein. Das Auge das ihn sah, wurde für immer geblendet.
Das schaurig-schöne Spiel dürfte nicht länger als zwei Minuten gedauert haben... vom ersten Aufleuchten am Abendhimmel bis zum Donner des Kerneinschlags. Er wurde vermutlich auf der ganzen Erdoberfläche gehört, nur von denen nicht, die im Explosionsstreifen lebten, sie waren tot, bevor der Schall zu ihnen dringen konnte.
Das Aufleuchten am Himmel war auf über zweitausend Kilometer sichtbar, der Planetoid überflog das Gebiet des heutigen Charleston in Süd Carolina und stürzte in den Puerto Rico Graben, wo er die Erdkruste durchstieß und in den heißen Magma Kern einschlug.
Es folgte eine Reihe von Kettenreaktionen, die alle Vulkane im Atlantik, bis hinauf nach Island ausbrechen ließ. Das war der sogenannte Reißverschlusseffekt, welcher auf diese Weise einen gesamten Erdteil mitten im Atlantik innerhalb einer Nacht und eines Tages untergehen ließ... die Erde taumelte, die Polachse verschob sich innerhalb von Minuten und
ungeheure Flutwellen suchten die Kontinente heim. Die Explosion verdunkelte die Erde mit schwarzen, schwefligen Giftwolken und dann kam der Regen, wochenlang, monatelang regnete es. Kontinente kippten auf einer Seite ins Meer und erhoben sich an anderen Seiten bis zu zweitausend Meter herauf.
Die Verdunklung der Erde, bezeichnet als die Dunkelnebelwolke, lag besonders dick auf der nördlichen Hälfte verteilt, der den Hauptteil der Vulkanasche abbekommen hatte. Zwei Tausend Jahre herrschte dort Dunkelheit, zweitausend Jahre lag jener Ort im Südwesten der Iberischen Halbinsel in der Dunkelheit, bedeckt von einer dicken Eisdecke.
Allmählich wurde die dichte Nebelhaube aufgelöst, es wuchsen Moose, Silberwurz und Polarweiden, dann einige Jahrtausende später, als es bereits lichter geworden war, erblickte man die ersten Kiefern und Espen.
Allmählich ging der Meeresspiegel zurück und legte jenen Ort mit dem Stein wieder frei, im porösem Sandstein konnte man wunderschöne Muscheln entdecken, die in den kommenden Jahrtausenden versteinern sollten.
Es wurde wärmer und es siedelten sich Mittelmeerpflanzen an, die Vögel brachten die Samen und es wuchsen um den Stein niedrige Koniferen, Kiefern, Thymian, Rosmarin und Lavendel.
Die Bienen umschwärmten die blühenden Sträucher, die Ameisen bevölkerten den roten lehmigen kargen Boden, kleinere Schlangen wählten sich den Ort zum Wohnsitz und Skorpione gruben sich unter den Stein.
Die ersten Menschen kamen, wir haben bereits das Neolithium, Feuerstellen wurden errichtet und große heilige Steine wurden aufgestellt, wo man Fruchtbarkeitsrituale vollzog und sich nachts am Feuer die Geschichten der alten vergangenen Zeiten von der Sintflut erzählte.
Die Urmenschen in Portugal waren die Lusitanos, dann kamen die Westgoten, die Phönizier, die Wikinger und die Römer.
Und endlich siebenhundert Jahre nach Ch. eroberten die Mauren den Süden Portugals, sie blieben siebenhundert Jahre und hinterließen, abgesehen von ihrer wunderschönen Kultur dreißig Prozent genetischen Anteil ihrer Rasse in den Einwohnern der Algarve, Al-Garb, so nannten die Mauren ihr Land damals, Al-Garb bedeutet ganz im Westen.
* * * * * * * *
Ich bin bei Dir, mein Stein, sagte Michelle leise zu ihm, sieben lange Jahre hast Du mir Kraft und Trost gegeben, ich kam manchmal sogar mitten in der Nacht, wenn ich nicht schlafen konnte und unglücklich war.
Ich habe Dir alles, wirklich alles anvertraut, meinen Kummer, meine Ängste und auch meine Hoffnungen, jetzt bin ich hier um Abschied zu nehmen.
Michelle zündete sich eine Zigarette an und beobachtete, wie der Himmel langsam begann, sich im Westen über dem Feld pfirsichorange zu färben.
Das Feld, so nennen wir diesen Platz, dachte sie, den ich immer wieder aufsuche, um mich auf meinen Stein zu setzen, der nur wenige Schritte von unserem Haus entfernt ist. Oben auf einem sanft abfallenden Bergrücken, wo der Hang terrassenförmig in die Schlucht hinunterführt, stehen einige alte Olivenbäume, der Schäfer macht in ihrem Schatten gerne mittags eine Rast, dann geht er mit der Herde über die Klippen und führt schließlich am Ende eines langen Tages seine Schafe durch die Schlucht nach Hause.
Die Dämmerung verwandelte rasch den Himmel in ein tiefes Blau, welches dunkler und dunkler wurde, schon blitzten im Osten die ersten Sterne auf.
Sie drückte ihre Zigarette aus uns sog die Luft ein. Es roch nach wildem Thymian, und es war still, sehr still hier. Drüben auf der anderen Seite der Schlucht leuchtete der Scheinwerfer des Leuchtturms zwei Mal kurz auf. Nach acht Sekunden wieder ... . Alles war ihr so vertraut und sie fühlte sich eingebettet in diese Landschaft, ja sie liebte sie und wollte von ihr Abschied nehmen mit der Gewissheit nie mehr zurück zu kehren. Das stimmte sie ein wenig traurig.
Aber dann dachte sie an den morgigen Tag wo sie abends von London in das Flugzeug einsteigen würde, über Zürich nach Australien und sie war aufgeregt, euphorisch, zündete sich noch eine Zigarette an, ich rauche zu viel, ich weiß es, aber was ich morgen tue, ist mein Weg in die Freiheit, wenn ich es jetzt nicht mache, werde ich es nie mehr tun.
Mit zweiundvierzig wage ich den Sprung ins Ungewisse, verlasse meinen Mann, meine Kinder und keiner von ihnen ahnt etwas ... . Ja mein geliebter Stein, nur du weißt es, aber ich bereue nichts.
Michelle zog an ihrer Zigarette, betrachtete in Gedanken die aufleuchtende Glut, sie fragte sich ob sie feige sei, dass sie es ihm nicht sagte, oh nein dachte sie, ich bin einfach nur Realist, er würde mich nie gehen lassen.
Aber er wird mich nicht einmal vermissen, ich fühlte mich in den letzten Jahren meiner Ehe wie lebendig begraben.
Ich gehe mein lieber Stein, sieben Jahre habe ich Dir alles anvertraut, liebevoll strich sie mit den Fingern über das poröse Gestein, fühlte seine Muschelablagerungen, Du warst bestimmt einmal in der Tiefe des Meeres und ich frage mich, was Du schon erlebt hast... wie alt magst Du sein?
In der Nähe stieß ein Käuzchen seine heiseren Schreie in die Luft, Michelle fröstelte, sie zog sich ihre Jacke über, sah nochmals die Bilder der letzten Monate vor ihrem inneren Auge ablaufen... sie verliebte sich in einen zwanzig Jahre jüngeren Mann, er hatte die dunklen stechenden Augen und die ausgeprägte Nase eines Arabers und das faszinierte sie, trotzdem, diese Liebe fand mehr in ihrem Kopf statt, als sonst wo, aber sie machte sie wieder lebendig, sie begann aufzuleben, das Leben zu umarmen und vor allem die Entscheidung zu treffen, sich von ihrem Mann zu trennen, wusste sie jetzt mit Sicherheit, dass sie ihn nicht mehr liebte.
Ja, die Liebe mit Pedro Alvarez fand mehr in ihren Träumen statt... sie lächelte, einmal haben wir uns geliebt, nachts unten am Strand... die Schlucht führt bis hinunter an den kleinen Felsenstrand, er war menschenleer und der Mond spiegelte sich auf dem Wasser, Pedro Alvarez will nach Australien nachkommen, aber ich gebe nicht viel drauf, diese Liebe ist nicht viel mehr als ein Strohfeuer und hat mir geholfen, mich zu befreien.... von mir selber mein liebet Stein? war es das? dann war es das wert, denn ich bin in meiner Ehe oft genug betrogen worden und will in meinem Leben endlich einmal tun, was ich will und so gehe ich morgen auf leisen Sohlen auf und davon...
Ich hoffe, dass ich die Kinder bald nachholen werde, der Anwalt warnte mich, sie einfach mitzunehmen, das sei Entführung... und außerdem, wie soll ich mir anfangs mein Leben mit zwei Kindern neu aufbauen? Das ist die Ungerechtigkeit, die an uns Frauen von den Männern begangen wird, wir sind immer benachteiligt, jetzt soll er einmal für die Kinder sorgen.
Nein, ich bin nicht gewissenlos, dachte sie und ihr kam jene kalte Novembernacht in den Sinn, wie sie herkam zu ihrem Stein, der Wind jagte oben die Wolken am Himmel über einen bleichen Mond, das war vor drei Jahren, als sie dahinter kam, dass ihr Mann ein Verhältnis mit einer Freundin von ihr hatte.
Warum ich? schrie sie in die Nacht hinaus, nimmt es denn kein Ende mehr? warum das Leid?
Sie kniete am Boden und umarmte ihren Stein und fühlte seinen Atem, er hatte den Hauch der Ewigkeit, der ihr wieder Kraft gab, weiterzumachen, mit ihrem kleinem Leben.
Du hast die Ruhe der Jahrtausende, ich will weiterleben, allein um schon zu erfahren, was in meinem Leben geschehen wird... es müssen auch wieder gute Dinge zu mir kommen.
Ich glaube damals, nach dieser Novembernacht, habe ich die Weichen gestellt, ich begann mein Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen und morgen fliege ich auf die andere Seite der Erde, ich weiß, ich nehme mich selber mit, aber ich bin voller Zuversicht.
Michelle kniete sich hin und umarmte lange Zeit den Stein, dann stand sie auf und ging.
Karuna 2004
Karuna

Die Eiszeit näherte sich langsam ihrem Ende, legte nach und nach die Landstriche in Küstennähe frei, wo nun die Erde zu erwachen begann. Kaum erblickte jener Stein im äußersten Südwesten Europas den Himmel, einen Himmel, wo sich die ersten Sonnenstrahlen noch schüchtern durch die Wolkendecke wagten, kam das Meer.
Durch das Abschmelzen der Eisdecke stieg der Meeresspiegel, überspülte das Land unter den Fluten der See.
Meerespflanzen und Muschelbänke siedelten sich um den Stein an. Fische nisteten in entstandenen Mulden und Grotten. Der Stein blieb einige tausend Jahre unter Wasser.
Begonnen hatte alles nach unserer heutigen Zeitrechnung, vor elftausend Jahren, als eine Naturkatastrophe von ungeheuren Ausmaßen die Erde heimsuchte. Ein Meteorit näherte sich von Nordwesten der Küste Nordamerikas, als feuerroter Ball überflog er in vierhundert Kilometern Höhe die Erde. Je näher er kam um so mehr begann er sich zu erhitzen. Immer riesiger wurde sein Gasschweif hinter ihm. Ungeheurer, als je ein Komet es sein könnte, in einem Lichtglanz, vor dem die Sonne erblasste, muss dieser tötende Blitz herniedergestoßen sein. Das Auge das ihn sah, wurde für immer geblendet.
Das schaurig-schöne Spiel dürfte nicht länger als zwei Minuten gedauert haben... vom ersten Aufleuchten am Abendhimmel bis zum Donner des Kerneinschlags. Er wurde vermutlich auf der ganzen Erdoberfläche gehört, nur von denen nicht, die im Explosionsstreifen lebten, sie waren tot, bevor der Schall zu ihnen dringen konnte.
Das Aufleuchten am Himmel war auf über zweitausend Kilometer sichtbar, der Planetoid überflog das Gebiet des heutigen Charleston in Süd Carolina und stürzte in den Puerto Rico Graben, wo er die Erdkruste durchstieß und in den heißen Magma Kern einschlug.
Es folgte eine Reihe von Kettenreaktionen, die alle Vulkane im Atlantik, bis hinauf nach Island ausbrechen ließ. Das war der sogenannte Reißverschlusseffekt, welcher auf diese Weise einen gesamten Erdteil mitten im Atlantik innerhalb einer Nacht und eines Tages untergehen ließ... die Erde taumelte, die Polachse verschob sich innerhalb von Minuten und
ungeheure Flutwellen suchten die Kontinente heim. Die Explosion verdunkelte die Erde mit schwarzen, schwefligen Giftwolken und dann kam der Regen, wochenlang, monatelang regnete es. Kontinente kippten auf einer Seite ins Meer und erhoben sich an anderen Seiten bis zu zweitausend Meter herauf.
Die Verdunklung der Erde, bezeichnet als die Dunkelnebelwolke, lag besonders dick auf der nördlichen Hälfte verteilt, der den Hauptteil der Vulkanasche abbekommen hatte. Zwei Tausend Jahre herrschte dort Dunkelheit, zweitausend Jahre lag jener Ort im Südwesten der Iberischen Halbinsel in der Dunkelheit, bedeckt von einer dicken Eisdecke.
Allmählich wurde die dichte Nebelhaube aufgelöst, es wuchsen Moose, Silberwurz und Polarweiden, dann einige Jahrtausende später, als es bereits lichter geworden war, erblickte man die ersten Kiefern und Espen.
Allmählich ging der Meeresspiegel zurück und legte jenen Ort mit dem Stein wieder frei, im porösem Sandstein konnte man wunderschöne Muscheln entdecken, die in den kommenden Jahrtausenden versteinern sollten.
Es wurde wärmer und es siedelten sich Mittelmeerpflanzen an, die Vögel brachten die Samen und es wuchsen um den Stein niedrige Koniferen, Kiefern, Thymian, Rosmarin und Lavendel.
Die Bienen umschwärmten die blühenden Sträucher, die Ameisen bevölkerten den roten lehmigen kargen Boden, kleinere Schlangen wählten sich den Ort zum Wohnsitz und Skorpione gruben sich unter den Stein.
Die ersten Menschen kamen, wir haben bereits das Neolithium, Feuerstellen wurden errichtet und große heilige Steine wurden aufgestellt, wo man Fruchtbarkeitsrituale vollzog und sich nachts am Feuer die Geschichten der alten vergangenen Zeiten von der Sintflut erzählte.
Die Urmenschen in Portugal waren die Lusitanos, dann kamen die Westgoten, die Phönizier, die Wikinger und die Römer.
Und endlich siebenhundert Jahre nach Ch. eroberten die Mauren den Süden Portugals, sie blieben siebenhundert Jahre und hinterließen, abgesehen von ihrer wunderschönen Kultur dreißig Prozent genetischen Anteil ihrer Rasse in den Einwohnern der Algarve, Al-Garb, so nannten die Mauren ihr Land damals, Al-Garb bedeutet ganz im Westen.
* * * * * * * *
Ich bin bei Dir, mein Stein, sagte Michelle leise zu ihm, sieben lange Jahre hast Du mir Kraft und Trost gegeben, ich kam manchmal sogar mitten in der Nacht, wenn ich nicht schlafen konnte und unglücklich war.
Ich habe Dir alles, wirklich alles anvertraut, meinen Kummer, meine Ängste und auch meine Hoffnungen, jetzt bin ich hier um Abschied zu nehmen.
Michelle zündete sich eine Zigarette an und beobachtete, wie der Himmel langsam begann, sich im Westen über dem Feld pfirsichorange zu färben.
Das Feld, so nennen wir diesen Platz, dachte sie, den ich immer wieder aufsuche, um mich auf meinen Stein zu setzen, der nur wenige Schritte von unserem Haus entfernt ist. Oben auf einem sanft abfallenden Bergrücken, wo der Hang terrassenförmig in die Schlucht hinunterführt, stehen einige alte Olivenbäume, der Schäfer macht in ihrem Schatten gerne mittags eine Rast, dann geht er mit der Herde über die Klippen und führt schließlich am Ende eines langen Tages seine Schafe durch die Schlucht nach Hause.
Die Dämmerung verwandelte rasch den Himmel in ein tiefes Blau, welches dunkler und dunkler wurde, schon blitzten im Osten die ersten Sterne auf.
Sie drückte ihre Zigarette aus uns sog die Luft ein. Es roch nach wildem Thymian, und es war still, sehr still hier. Drüben auf der anderen Seite der Schlucht leuchtete der Scheinwerfer des Leuchtturms zwei Mal kurz auf. Nach acht Sekunden wieder ... . Alles war ihr so vertraut und sie fühlte sich eingebettet in diese Landschaft, ja sie liebte sie und wollte von ihr Abschied nehmen mit der Gewissheit nie mehr zurück zu kehren. Das stimmte sie ein wenig traurig.
Aber dann dachte sie an den morgigen Tag wo sie abends von London in das Flugzeug einsteigen würde, über Zürich nach Australien und sie war aufgeregt, euphorisch, zündete sich noch eine Zigarette an, ich rauche zu viel, ich weiß es, aber was ich morgen tue, ist mein Weg in die Freiheit, wenn ich es jetzt nicht mache, werde ich es nie mehr tun.
Mit zweiundvierzig wage ich den Sprung ins Ungewisse, verlasse meinen Mann, meine Kinder und keiner von ihnen ahnt etwas ... . Ja mein geliebter Stein, nur du weißt es, aber ich bereue nichts.
Michelle zog an ihrer Zigarette, betrachtete in Gedanken die aufleuchtende Glut, sie fragte sich ob sie feige sei, dass sie es ihm nicht sagte, oh nein dachte sie, ich bin einfach nur Realist, er würde mich nie gehen lassen.
Aber er wird mich nicht einmal vermissen, ich fühlte mich in den letzten Jahren meiner Ehe wie lebendig begraben.
Ich gehe mein lieber Stein, sieben Jahre habe ich Dir alles anvertraut, liebevoll strich sie mit den Fingern über das poröse Gestein, fühlte seine Muschelablagerungen, Du warst bestimmt einmal in der Tiefe des Meeres und ich frage mich, was Du schon erlebt hast... wie alt magst Du sein?
In der Nähe stieß ein Käuzchen seine heiseren Schreie in die Luft, Michelle fröstelte, sie zog sich ihre Jacke über, sah nochmals die Bilder der letzten Monate vor ihrem inneren Auge ablaufen... sie verliebte sich in einen zwanzig Jahre jüngeren Mann, er hatte die dunklen stechenden Augen und die ausgeprägte Nase eines Arabers und das faszinierte sie, trotzdem, diese Liebe fand mehr in ihrem Kopf statt, als sonst wo, aber sie machte sie wieder lebendig, sie begann aufzuleben, das Leben zu umarmen und vor allem die Entscheidung zu treffen, sich von ihrem Mann zu trennen, wusste sie jetzt mit Sicherheit, dass sie ihn nicht mehr liebte.
Ja, die Liebe mit Pedro Alvarez fand mehr in ihren Träumen statt... sie lächelte, einmal haben wir uns geliebt, nachts unten am Strand... die Schlucht führt bis hinunter an den kleinen Felsenstrand, er war menschenleer und der Mond spiegelte sich auf dem Wasser, Pedro Alvarez will nach Australien nachkommen, aber ich gebe nicht viel drauf, diese Liebe ist nicht viel mehr als ein Strohfeuer und hat mir geholfen, mich zu befreien.... von mir selber mein liebet Stein? war es das? dann war es das wert, denn ich bin in meiner Ehe oft genug betrogen worden und will in meinem Leben endlich einmal tun, was ich will und so gehe ich morgen auf leisen Sohlen auf und davon...
Ich hoffe, dass ich die Kinder bald nachholen werde, der Anwalt warnte mich, sie einfach mitzunehmen, das sei Entführung... und außerdem, wie soll ich mir anfangs mein Leben mit zwei Kindern neu aufbauen? Das ist die Ungerechtigkeit, die an uns Frauen von den Männern begangen wird, wir sind immer benachteiligt, jetzt soll er einmal für die Kinder sorgen.
Nein, ich bin nicht gewissenlos, dachte sie und ihr kam jene kalte Novembernacht in den Sinn, wie sie herkam zu ihrem Stein, der Wind jagte oben die Wolken am Himmel über einen bleichen Mond, das war vor drei Jahren, als sie dahinter kam, dass ihr Mann ein Verhältnis mit einer Freundin von ihr hatte.
Warum ich? schrie sie in die Nacht hinaus, nimmt es denn kein Ende mehr? warum das Leid?
Sie kniete am Boden und umarmte ihren Stein und fühlte seinen Atem, er hatte den Hauch der Ewigkeit, der ihr wieder Kraft gab, weiterzumachen, mit ihrem kleinem Leben.
Du hast die Ruhe der Jahrtausende, ich will weiterleben, allein um schon zu erfahren, was in meinem Leben geschehen wird... es müssen auch wieder gute Dinge zu mir kommen.
Ich glaube damals, nach dieser Novembernacht, habe ich die Weichen gestellt, ich begann mein Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen und morgen fliege ich auf die andere Seite der Erde, ich weiß, ich nehme mich selber mit, aber ich bin voller Zuversicht.
Michelle kniete sich hin und umarmte lange Zeit den Stein, dann stand sie auf und ging.
Karuna 2004
Karuna


