Das schlechte Gewissen

Guten Morgen,

das Thema ist wahrscheinlich der Schlüssel, wenn man mit sich selbst nicht mehr klarkommt. Bei sich selbst aufräumen, sich von alten Schuldgefühlen befreien.

Liebe Evy, vielen Dank :danke:

Das ist auch so ein Unding. Ja stimmt, man darf sich nicht rechtfertigen....aber jeder Verbrecher bekommt einen Verteidiger - da beisst sich die Katze in den Schwanz!

Vor Gericht ist zwangsläufig eine Schuld zu klären, weil jemand ein Gesetz verletzt hat.

Im täglichen Leben steht aber nicht bei jedem Sachverhalt eine Schuldfrage zur Debatte.

Ich wollte mich mal von einem Partner trennen. Er wollte sich nicht trennen, nicht ausziehen bei mir. Wir haben gestritten bis auf's Messer. Echt hässlich. Er wollte in dieser Phase ständig über Schuld debattieren, mit Prozentsätzen, ich kriegte über 80!!!! Er wollte nicht verstehen, dass mir die Schuldfrage total egal war. Meine Einstellung war: Wenn wir nicht zusammen leben können, dann müssen wir uns trennen. Es ist völlig egal, wer Schuld ist, und das sind immer zwei. Von mir aus konnte er glauben, ich sei Schuld, 100 %, es war total egal. Es hat ihn extrem aufgebracht, dass ich nicht darüber diskutieren wollte und in der Frage völlig leidenschaftslos war. Er sollte gehen und konnte es nicht akzeptieren. Bis er auszog dauerte es zwei Jahre!!! Ich kann heute kaum noch nachvollziehen, warum ich ihn nicht loswerden konnte. Ein Trauma, gehört in die Rubrik, dass es mir schwerfällt, konsequent zu sein, wenn ein anderer mir etwas "vorleidet". Ich wollte einfach nicht das A... sein, dass ihn in eine ungewisse Zukunft entlässt. Ich habe mir seine Probleme zu meinen gemacht und bin selber krachen gegangen.

Aber ich schweife ab.

Hallo Stephan
Aber was, wenn ich das Gefühl habe, ein anderer, mir lieber Mensch, zahlt den Preis dafür, im Moment jedenfalls?? Den Preis für meine, für beider Schwäche (mein Anteil ist der größere)? Und ich habe keine Möglichkeit auszugleichen oder etwas abzunehmen!

Ein bischen so fühle ich mich gegenüber meinen Eltern allerdings auch. Ich habe in Kauf genommen, sie zu verletzen. Es war sogar sehr wahrscheinlich, dass sie sehr verletzt sein würden.
Im Endeffekt habe ich es für mich getan, ich fühle mich also besser und sie offensichtlich schlechter. Ihre beschönigte "Realität" war ihre Welt. Ich habe ihre heile Welt kaputtgemacht. Nur dass sie eben nicht so heil war, und das müssen sie verkraften. Ich denke schon, dass auch diese Verletzung ein Schritt in Richtung Genesung ist. Quasi Genesung unserer Eltern-Kind-Beziehung.
Ich kann die Verletzung bestimmt wieder ausgleichen, später. Das hat aber nichts mit Schuldgefühl zu tun. Zu dem, was ich gemacht habe stehe ich. Es war nicht falsch. Für mich keineswegs für meine Eltern vielleicht für den Moment.
Ich denke also, Du kannst ausgleichen. Es gibt bestimmt einen Weg, ohne Selbstaufgabe, auch für Dich. Meine Eltern zahlen auch den Preis dafür,dass ich es nicht weiter in mich hineingefressen habe, nicht zufällig, sondern bewusst. Ich weiß nicht, ob das Problem vergleichbar ist, aber vielleicht hilft es.


Liebe Grüße
Andrea
 
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Timmi,
schöner Beitrag - ich finde mich darin wieder. Ich habe auch jahrelang mit einem "schlechten Gewissen" gelebt. Gegenüber allem und jedem - aus Angst etwas falsch oder nicht gut genug gemacht zu haben. Warum? - Keine Ahnung! Und dabei lebt es sich so gut ohne schlechtes Gewissen. Ich habe es mit mir machen lassen, mich unter Druck setzen lassen...Es kam, weil ich selten gemacht habe, was ich wollte. Ich wollte immer allen gefallen und es allen recht machen. Brave Tochter, brave Auszubildende, brave Spielerin, brave Ehefrau, brave Mutter, brave Hausfrau :4puke: .
Andere Zeiten sind angebrochen - immer seltener habe ich ein schlechtes Gewissen. Manchmal schafft es noch einer mir eines zu verschaffen...aber es wird immer weniger. Ein schlechtes Gewissen habe ich nur, wenn ich nicht hinter dem stehe, was ich mache...es hat lange gebraucht, bis ich das erkannt habe.
LG Tarot
 
das, was wir ein böses gewissen nennen, ist ja immer ein gutes gewissen. es ist das gute, was sich in uns erhebt und uns bei uns selber verklagt.
(theo)
 
Schuld, Schuldgefühle, Gewissen ... alles Begriffe, die nicht deckungsgleich sind, aber gern ganz verwaschen durcheinander verwendet werden.

"Schuld" lässt sich durchaus mit Schulden vergleichen - jemand schuldet jemand anderem etwas, hat sich etwas herausgenommen, was ihm nicht zustand, oder etwas nicht gegeben, was zu geben gewesen wäre. Und wenn das als Schulden, als Defizit behandelt wird, dann ergibt sich daraus, dass solche Schulden auch ausgeglichen werden können. Das steht zum Beispiel in der chassidischen Tradition, wie sie auch der Philosoph Martin Buber beschreibt, das hat Eingang gefunden ins systemische Arbeiten und ist eine jener Übereinstimmungen, die sowohl von der Hellinger-Richtung als auch von der Richtung "Systemische Strukturaufstellung" geteilt werden.

Gewissen ist das Bewusstwerden von Ordnung. Wir haben ein "gutes" Gewissen, wenn die Dinge in Ordnung sind - bzw. genauer: wenn wir mit den Dingen in "guter" Ordnung sind, und ein "schlechtes" Gewissen, wenn es nicht so ist. Wenn wir selbst wissend schuldig geworden sind, wissen wir in der Regel auch ganz gut, an wem wir wodurch schuldig geworden sind - dann plagt uns ein schlechtes Gewissen, bis die Schuld ausgeglichen ist.

Es gibt auch ein systemisches Gewissen, es gibt Übernahme fremder Schuld(en) im System, dann drückt das Gewissen, ohne dass wir spüren, worum es eigentlich geht - da kann die systemische Arbeit sowohl Einsicht als auch Angebote bringen, wie solche übernommene Schuld mit Achtung und Eintreten in die eigene Verantwortung zurückgegeben bzw. ausgeglichen werden kann.

Schuldgefühle sind Schuld, die sich nicht zuordnen lässt. Das kann individuelle Schuld sein, die wir - aus welchen Gründen auch immer - verdrängt haben und für die wir keine Zusammenhänge mehr sehen, das kann systemisch übernommene Schuld sein, die unserem forschenden Bewusstsein nicht zugänglich ist. Schuldgefühle sind jedenfalls, wie das Wort ja schon sagt, unbewusstes schlechtes Gewissen. Klärung hilft - aber auch um den Preis der Konfrontation mit der Schuld. Und die fällt oft erstaunlich leicht aus... aber nicht immer.

Alles Liebe, Jake
 
esperanto schrieb:
das, was wir ein böses gewissen nennen, ist ja immer ein gutes gewissen. es ist das gute, was sich in uns erhebt und uns bei uns selber verklagt.
(theo)
...das was sich bei mir erhob, war eine innere Stimme, die sagte: "jetzt warst du wieder solange im Eso Forum, das Mittagessen ist noch nicht vorbereitet..."
ist das schlecht? Für den der meine Beiträge nicht gerne liest ja, für den, der sie gerne liest nein, für das Mittagessen und die davon abhängig sind ja, für mein Befinden nein, für den Stromerzeuger nein, für die Wäsche, die liegenblieb ja -- also ein ausgewogenes Verhältnis, was kann daran schlecht sein??????
Muss ich jetzt ein schlechtes Gewissen haben?
Nein, weil mir geht es gut. Ja, weil meine Familie verhungert.
Tarot
P.S.: Ich konnte mich auf ersteres mit mir einigen, alle meckern, also haben sie noch genug Energie... :ironie:
P.P.S.: oder P.S.S.: bin ganz allein zu Hause :escape:
 
Stephan schrieb:
Zitat von Stephan
Grüß dich Stephan!
Es gibt aber auch schlechtes Gewissen, ohne daß andere es uns einreden müssen. Von jenem spreche ich:

Konstruiertes extremes Beispiel (nicht meine Situation, gottlob!):
Partner geht fremd, verhütet nicht, steckt seinen ahnungslosen festen Partner dadurch mit HIV an.
Was bleibt hier noch zu tun für den Verursachenden? Der Sprung vom Hochhaus? Und womöglich tut es nicht einmal der?

Wird es sehr wahrscheinlich nicht tun, sondern wie schon eingangs erwähnt, eher versuchen, die Schuld abzuwälzen - auf den Partner, der Schuld hat, dass er fremdgehen ,,musste", auf den, der ihm die Krankheit ,,angehängt" hat
usw.
Und da beginnt das Spiel wieder von vorne - es ist ein Teufelskreis genaugenommen - wie ein Stein, der - einmal ins Wasser geworfen - immer größere Kreise zieht.
Ich meine, dass es gar nicht einfach ist, davon loszukommen, weil der Mensch immer wieder Versuchungen ausgesetzt ist, denen er nicht widerstehen kann und die Reue immer erst danach kommt und mit ihr auch das schlechte Gewissen.
Die beste Lösung aus diesem Dilemma herauszukommen, wäre: Verzeihen und natürlich auch die Einsicht, dass man einen Fehler begangen hat und dazu stehen - wenn das alles nur so einfach wäre.....
Liebe Grüße
evy :)
 
Hallo zusammen,

ich denke jeder Mensch braucht ein *Gewissen*, also das Gefühl, was für einen selbst moralisch vertretbar und machbar ist, so eine Art Kompaß. Natürlich wird dieses Gewissen von unseren Eltern/unserem Umfeld geprägt und manchmal gegen uns als Waffe eingesetzt. Dennoch halte ich es für nützlich und nötig. Ein *schlechtes* Gewissen ist jedoch m.M. nach überflüssig. Wenn ich etwas tue, das sich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren lässt, dann denke ich kurz darüber nach, korrigiere mein Verhalten oder entschuldige ich mich. Als erwachsener Mensch entscheide ich selbst, was ich tun, sagen oder lassen will. (Natürlich im Rahmen meiner Kultur/meines Glauben/unseres Rechtssystems...) Was eben zu mir passt. Das gefällt nicht jedem, aber das muss es auch nicht. Ich lebe und handle wie ich es für richtig halte und wie ich mir gefalle. Natürlich kann mich irren, dann lerne ich eben und passe mein *Gewissen* an. Und wenn ich doch einmal Schuldgefühle habe, dann sage ich mir, dass ich es in dem Moment nicht besser wußte, sonst hätte ich anders gehandelt. Und das ich mich in Zukunft jederzeit anders verhalten kann. Sozusagen wieder eine Verhaltensweise, die ich ausprobiert und als nicht zu mir passend eingestuft habe...

Liebe Grüße,

Syndra
 
Hi JimmyVoice,

Ich denke, alle lebenden Menschen haben ein Gewissen (von den Toten weiß ich nichts). Manche haben es nur sehr intensiv und sehr tief verdrängt.
Es gehört zur Seele, man kann das Gewissen nicht abhacken und in den Müll werfen wie ein abgestorbenes Bein oder einen kaputten Zahn.
Irgendwann meldet es sich, immer, und sei es auf dem berühmten Sterbebett.

Ein schlechter Mensch - wer ist das?
Bedeutet die Aussage: "das ist ein schlechter Mensch" nicht eigentlich: "Ich bin ein besserer als der da..." ?
Wer also braucht "schlechte Menschen" überhaupt? Diejenigen, die "gut" sind, d.h. im Reinen mit sich und der Welt? Wohl kaum.
Von denen wird man nicht hören "ich bin ein guter mensch - das ist ein weniger guter"
Oder brauchen eher diejenigen "schlechte menschen", die gerne im reinen mit sich wären, es aber (noch) nicht sind?

Gibt es "schlechte Menschen" also gar nicht - sondern existieren sie nur im Bewußtsein einzelner?
Im Bewußtsein des einen: "ein Mensch - anders, aber weder gut noch schlecht."
Im Bewußtsein eines anderen: "ein schlechter(er) (oder guter(besserer)) Mensch"
Was interessanterweise auch sofort die Andersartigkeit ausblendet, denn "anders" läßt sich nicht greifen mit "gut" und "schlecht", nicht wahr? Es geht dabei unter.

Liebe Grüße, Stephan

P.S. Was machste eigentlich mit den ganzen sich ansammelnden "Web-miles"? :D
 
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Hi evy, ich sehe gerade, ich habe mich blöde ausgedrückt, entschuldige bitte.

Mir "wahrscheinlich tut es nicht einmal der" meinte ich: wahrscheinlich löst noch nicht einmal der Sprung vom Hochhaus das Problem (für den Springenden).

Liebe Grüße, Stephan
 
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