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Der Blaue zieht sich seine bunte Pluderhose an und setzt sich den Turban mit der Pfauenfeder auf das bereits graue und schüttere Haar und Gitta atmet erleichtert auf.


„Lass uns zusammen weiter gehen. Man sagte mir, manchmal legt Tod mit einem Segelschiff am stillen Meer an, wenn es irgendwo im Universum eine neue Spezies gibt“, sagt der Blaue und bietet Gitta seinen blaugrauen Arm an.


„Es gab doch irgendwo einen Wissenschaftler, der meinte, dass sich alles aus einem winzigen Teilchen entwickelt hat. So auf die Art, dass zuerst ein Teilchen war das sich teilte. Dann gab es zwei Teilchen, die sich wiederum teilten, bis sich einige wieder zusammenfügten und zu einem Lebewesen wurden. Aus diesen Lebewesen entwickelten sich andere Lebewesen und so fort. Alles Lüge, wenn das mit Tod und dem Segelschiff stimmt“, schimpft Gitta.


„Man hat uns sowieso immer belogen. Gewusst haben nur die Reichen und Oberen was. Wir Armen und das gewöhnliche Volk sind nur Mitläufer“, schimpft der Blaue mit.


„Schafherde“, stellt Gitta fest,


„Wo ist eine Schafherde? Ich liebe Herden. Lange Zeit hütete ich Kuhherden. Gar nicht so einfach mit den großen Tieren. Schafe wären mir eigentlich lieber gewesen“, sinniert der Blaue (der noch immer keinen richtigen Namen hat!).


„Wir sind die Schafherde!“ sagt Gitta und schüttelt den Kopf.


„Wie geht es meinem Bruder?“ will der Blaue wissen. „Hab ihn seit der Hochzeit nicht wieder gesehen.“


„Gut, denke ich. Wir haben ihn auch schon länger nicht mehr gesehen. Mutter und ich haben ihn mit den Kindern zu Hause gelassen, weil wir uns auf den Weg machten, Tod zu finden.“


„Meine – äh, unsere Mutter hätte nicht mit können. Sie ist schon zu schwach für längere Gehwege. Früher half sie mir auch beim Kühe hüten, aber das war ihr irgendwann bald zu langweilig. Dann war sie viel und oft unterwegs und kam mit Geschenken, meist Geldtalern, nach Hause, wo sie behauptete, man habe sie ihr geschenkt. Wenn du meine – äh, unsere Mutter kennen würdest, wüsstest du, dass ihr niemand was schenkt.“


„So schlimm?“, fragt Gitta nach und ist dabei nur halb beim Gespräch. Viel mehr achtet sie auf den Wasserspiegel, der immer tiefer wird und sich links vom Wasser und dem Felsen ein schmaler Weg bildet. Sanft leitet sie den erzählenden Blauen auf den Weg, wo sie langsam weitergehen und gerade noch nebeneinander Platz haben.


„Sie mag die Menschenwesen nicht und zeigt es ihnen auch. Eigentlich hasst sie alles. Ich glaube, als sie geboren wurde und ihren Kopf aus dem Schoß ihrer Mutter steckte, hasste sie schon, was sie wahrgenommen hat.“


„Ich kann sie verstehen“, meint Gitta nun doch etwas interessierter. „Das Leben ist auch Scheiße. Als Kind geht es ja noch. Da bist du arglos und denkst nicht weiter als bis zur nächsten Minute, wenn überhaupt. Da ist alles leicht, aber auch wieder schwer, weil du als Kind nicht die Möglichkeiten wie ein Erwachsener hast. Und wenn du die Möglichkeiten hast, lassen dich die anderen nicht tun, was du willst.“


„Meine Mutter hat drauf geschissen, - wie sie selbst es nennen würde. Sie tat immer, was sie wollte und sie nahm sich, was sie wollte.“


„Hat sie auch Menschenwesen umgebracht?“ fragt Gitta etwas leiser.


„Ich weiß es nicht und will es auch nicht wissen, aber ich würde es ihr zutrauen.“




Der Weg wird breiter und die Felsen verschwinden. Das Meer, das sich vor den beiden ausbreitet, wirkt wie glatter, schwarzer Teer. Es ist ruhig. Keine einzige Welle, bis am Horizont ein Segelschiff auftaucht. Ganz sanft beginnt sich das Wasser zu kräuseln. Aber so richtig wild und hoch werden die Wellen auch dann nicht, als das riesige Schiff vor Gitta und dem Blauen wie durch Zauberhand hält. Ein Steg wird herab gelassen.


„Einer nach dem anderen“, dröhnt eine dunkle und etwas hohle Stimme von oben.


„Ladys first“, meint der Blaue charmant und Gitta steigt noch.


Sie hat ein etwas mulmiges Gefühl, als sie vor einer hohen, dürren Gestalt im schwarzen Kapuzenmantel steht.


„Hab keine Angst. Hier gibt es nichts zu fürchten, als deine eigenen Gedanken“, sagt die hohle Stimme, die von ganz wo anders zu kommen scheint als von Gevatter Tod.


„Meine eigenen Gedanken?“ echotet Gitta.


„Das, was da oben herum spinnt“, lacht Tod und legt einen Knochenfinger an Gittas Stirn. „Das, was du nicht in der Hand hast. Dieses Hirngespinst, - eigentlich Traumgespinst, das seine eigenen Wege geht, ohne dich zu fragen, ob es das auch darf oder soll.“


Gitta ist erstaunt.


„Komm, setz sich an Deck. Wir haben hier so schöne, bequeme Liegen am Pool. Leider ist heute ein etwas diesiger Tag. Aber vielleicht scheint bald die Sonne, dann ist es hier oben wundervoll“, ladet Gevatter Tod sie ein und Gitta staunt wieder, als sich das Segelschiff in ein luxuriösen Kreuzfahrtschiff entpuppt.


„Ich erzähl dir mal, was jetzt alles passieren wird“, beginnt Tod, „aber du musst gut zuhören. Es wird dich vielleicht erschrecken, weil du noch immer nicht ganz du bist und dieses Etwas in deinem Kopf noch immer die Oberhand hat. Du weißt doch, dass in deinem, wie in jedem Körper eines Lebewesens, alles wie von selbst funktioniert. Du atmest von selber, verdaust von selber und und und. Meinst du, du handelst und denkst von selber?“


Gitta zieht die Schultern noch und hält die Hand vor die Augen, da nun doch die Sonne hinter einer schneeweißen Wolke erscheint.


„Wenn du ganz nach innen gehst – du weißt schon, was ich meine. Deine Mutter konnte das immer gut, wenn sie unter ihrem Baum saß. Sie versuchte abzuschalten, - dieses Werk da oben“, sagt Tod lächelnd (schon gut, ich wiederhole es nicht!), neigt sich von seinem Liegestuhl zu Gitta rüber und legt wieder einen seiner Knochenfinger an ihre Stirn. „Nichts zu denken fällt den Menschenwesen besonders schwer, aber deine Mutter schaffte es für eine Weile und befand sich in diesen Momenten ganz bei ihr selbst. Na ja, fast ganz, denn wäre sie ganz bei ihr gewesen, wäre sie nicht mehr in dieser Illusion, die ihr die Welt nennt.“


„Du meinst, das was ich sage, tue und denke, bin nicht ich?“ fragt Gitta und sieht Tod an, als wäre er der Verrückte.


„Wer bist du?“ fragt Tod und Gitta legt eine lange Nachdenkphase ein.




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