Es wird alles persönlicht (vermenschlicht?). Weil man ja eine Person ist. Noch dazu eine sehr wichtige. Der Mensch. Das Wichtigste auf der Welt. Das Wichtigste im Universum. Von ihm hängt alles ab, weil er (ganz sicher daran glaubt oder eher ganz fest hofft) die intelligenteste Lebensform aller Zeiten ist. Der Übermensch. Der Gottmensch. Weil der Mensch Gott vernichtet hat. Sich über Gott gestellt hat, wie er es Luzifer andichten wollte. Und schließlich der Gnadenschuss oder Gnadenstich, weil man Gott ja nicht mehr braucht. Man ist selbst Gott. Kann über Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit, Reichtum und Armut und vielem mehr selbst entscheiden. Man hat das Schicksal in den eigenen Händen. Doch Chef des eigenen Lebens. Und wie!
Gevatter Tod lächelt. Im Moment haben sie ihn verbannt, aber er weiß, dass er immer das letzte Wort haben wird. Er hat Geduld wie sonst keiner. Er kann warten, weil es keine anderen Ausweg gibt. Nur durch ihn finden die Lebewesen wieder nach Hause. Eigentlich ist er der Fährmann über den „River Styx“.
Die Ebenen (Seiten im Großen Buch) haben sich vereint. Es gibt nicht mehr so viele. Man hat sich entschieden. Für das Leben. Nicht für den Tod, den sie verbannten, um mit dem alten Mann und dem kleinen Michel auf dem stillen Meer herum zu segeln. Die Delphine erfreut es. Hat doch der Tod sehr viele Geschichten zu erzählen. Er vergisst nichts. Er weiß alles über die Lebewesen und vor allem über ihre größte Angst vor ihm.
„Dabei erlöse ich sie nur“, meint er und zuckt mit den knochigen Achseln.
„Wovor erlöst er uns?“ fragt Luzy, als Arima ihn doch noch im besagten Pavillon aufsucht, bevor er den Menschenwesen und anderen Lebewesen noch mehr Versprechungen macht, die er alleine nicht einhalten kann.
„Vor uns selbst, Luzy, immer nur vor uns selbst“, antwortet Arima mit düsterer Stimme.
„Dein Reich ist groß geworden, Bruder“, meint Luzy redselig, hakt sich bei Arima unter und steigt vom weißen Pavillon die paar weißen Stufen herab, um mit seinem „Bruder“ einen kleinen Spaziergang im riesigen Park zu machen. „Es hat sich ausgedehnt, weil ich wieder einmal alles zum Guten gewendet habe.“
„Weil du den Tod ins Meer der Stille geschickt hast? Mach dich nicht lächerlich“, lacht Arima, lässt aber Luzys Arm zu.
Welch ein bezauberndes Bild! Die zwei Schönen Arm in Arm auf einen Spaziergang durch einen Park, der inzwischen die Größe eines Kontinents angenommen hat.
„Stell dir nur vor, wie frei sich alle jetzt fühlen“, schwärmt Luzy, „Sie können gehen, wann sie wollen. Können selbst entscheiden, wann sie über den Jordan (so kann man den Fluss ins Jenseits auch nennen) gehen. Das konnten damals nicht viele. Nur die Mutigen.“
„Oder die Verzweifelten.“
„Jetzt hör aber auf! Für deine Maria war es die Rettung, um zu dir zurück zu finden. Hätte sie sich nicht die Pulsadern aufgeschnitten, oder sonst wie ihrem Leben in einer der Erddimensionen ein Ende gemacht, wäre alles ganz anders gelaufen. Also sag nicht, dass nur die Verzweifelten Selbstmord begehen.“
„Maria war eine Ausnahme. Weißt du, Luzy, du hast immer sehr eigenmächtig gehandelt“, argumentiert Arima, hakt sich von seinem „Bruder“ los, bleibt stehen und blickt seinem Spiegelbild in die leuchtend türkisfarbenen Augen, wobei sich das Spiegelbild nur durch ein Muttermal ganz links unter dem linken Auge (ja, noch immer!) unterscheidet. „Na ja, vielleicht nicht eigenmächtig, aber vorschnell, ohne zu wissen oder ohne zu prüfen, ob es wirklich Sinn macht.“
„Was macht schon Sinn, Arima?“
„Das nicht!“ schimpft Arima und deutet zurück zum Pavillon. „Sag den Menschenwesen nicht immer, was sie tun sollen. Wir sind keine Götter, die ihnen sagen können, wo es lang geht, auch wenn wir mitunter eingreifen sollten. Sollten, Luzifer! Aber nicht müssen! Glaub nicht, dass ich im letzten Universum nicht am liebsten allem ein Ende gemacht hätte, anstatt alles wieder von vorne beginnen zu lassen, was die Menschenwelt betrifft. Aber sieh selbst, - ohne Pama wäre das neue Universum nicht das, was es ist. Also, lass dem Leben und auch dem Tod seinen Lauf. Es gibt Kräfte, von denen nicht einmal wir eine Ahnung haben. Lass sie walten. Sie wissen es besser als wir.“
