Warum loslassen?

Rozo

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Hallo Ihr Lieben,

seit mein Mann im letzten August völlig überraschend gestorben ist, lese/höre ich immer viel davon, dass man "loslassen" soll und dass die Seele "ins Licht gehen/ auf eine andere Ebene/ weitergehen" muss. Warum?

Ich hätte meinen Mann lebend nicht einfach gehen lassen, warum soll ich es jetzt tun? Leidet seine Seele durch mein Festklammern? Aber ich leide auch.

Wer sagt denn, dass er "weitergehen" will? Sicher ist er nicht freiwillig gestorben. Wir lieben uns, wir haben eine kleine Tochter, wir hatten noch so viele Pläne!

Wäre loslassen nicht eher verdrängen?

Mache ich mich lächerlich, wenn ich die Absicht habe, mit "mit ihm" weiter zu leben? Also, ich decke ja nicht mehr den Tisch für ihn, oder so. Aber mir hilft die Vorstellung, dass er weiter bei uns ist und auch bleibt. Er weiß, dass es meine größte Angst ist, verlassen zu werden (hat was mit meiner Kindheit zu tun).

So lange ich ihn noch "bei mir" vermute (s. auch mein Beitrag zu "Zeichen von Verstorbenen"), habe ich noch Hoffnung. Wenn er wirklich "ins Licht" oder wohin auch immer geht, ist das dann wirklich das Ende?

Bin gespannt auf Eure Meinung.

Rozo
 
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hmmm....


ich kann dir nur von mir sagen, ich hab zwar lange gebraucht meinen bruder loszulassen, ihn nicht mit meiner traurigkeit hierzuhalten, aber es ist ein unsäglich gutes gefühl, wenn man da durch ist, wenn man spürt das ein geliebtes wesen endlich im licht ist, ... gib dir doch etwas zeit

leider fehlt halt in unserer kultur das verständnis und das wissen über das wieso und warum man ein wesen nicht davon halten sollte ins licht zu gehen, es ist bestimmt auch ein tiefgründiges thema.

mir persönlich hat das tibetische totenbuch sehr geholfen mit dem tod anders umzugehen.

wünsche dir auf alle fälle die nötige stärke da durch zukommen, vorallem mit und für deine tochter
 
Liebe Rozo,

mir tut der Verlust deines Mannes sehr leid. Es ist traurig, dass du so jung schon damit konfrontiert wirst und natürlich auch euer Kind, das ja auch sehr früh den Vater verloren hat. Wahrscheinlich kann sie noch eher verstehen, was es heißt, loszulassen. Kinder sind da irgendwie anders. Sie haben das "Loslassen" noch im Blut, weil es nicht so lange her ist, als sie von der Mutter loslassen mussten, als sie in dieser Welt ankamen.
Naja, das mit dem Loslassen sagt sich immer so leicht. Verdrängen ist nicht Loslassen. Letzeres passiert irgendwann mal ganz automatisch. Bemühen kann sich darum niemand.
Deshalb: Behalt ihn bei dir. Wenn bei dir die letzten Quäntchen der Gedanken "Warum musstest du gehen? Warum hast du uns verlassen?" verschwunden sind, hast du im landläufigen Sinne losgelassen. Es ist klar traurig, wenn jemand früh diese Welt verläßt, aber man kann es nicht ändern. Diese Akzeptanz isses, was ein loslassen möglich macht. In der Regel dauert das etwa 1 bis 2 Jahre, manchmal auch ein Leben lang.
Irgendwie muss man sich immer vor Augen führen, dass wir trotz aller Liebe und Gemeinsamkeiten, Einzelindividuen in einem großen Gesamtkontext sind. Jeder einzelne prall gefüllt mit Individualität und trotzdem ein Teil des Ganzen, das nie verloren geht. Meine Omi zum Beispiel, ist auch 4 Jahren nach ihrem Tod immernoch da. Sie ist ja ein Teil meines Lebens. Und das kann ich nicht loslassen, so lange ich lebe. Ich kann nur die greifbare Hülle loslassen. Die Seele, die Erinnerungen, ihren Geruch, die Farbe ihrer Haut... all das lebt weiter. In mir. Und das ist doch schön, find ich.
Wir lassen los, wenn wir geboren werden oder gebären (als Frau) und wenn wir sterben. Das Loslassen bezieht sich nur auf's Materielle, das Greifbare.
Seine Seele leidet vielleicht schon durch dein Klammern. Wenn sie es tut, wird sie dir aber auch helfen, diesen Fels zu erklimmen und nach dem mühsamen Aufstieg am Ende auf's Meer zu schauen, den Horizont zu erblicken und zu denken: Für uns gibt es alle nur ein Ende, das Never-Ende, das da hinter dem Horizont liegt.
Bewahr ihn dir in lebendiger Erinnerung. Das mit dem "Loslassen" passiert sowieso irgendwann, auch wenn man es manchmal gar nicht möchte.

:liebe1:
 
Hallo Ihr Lieben,

seit mein Mann im letzten August völlig überraschend gestorben ist, lese/höre ich immer viel davon, dass man "loslassen" soll und dass die Seele "ins Licht gehen/ auf eine andere Ebene/ weitergehen" muss. Warum?

Ich hätte meinen Mann lebend nicht einfach gehen lassen, warum soll ich es jetzt tun? Leidet seine Seele durch mein Festklammern? Aber ich leide auch.

Wer sagt denn, dass er "weitergehen" will? Sicher ist er nicht freiwillig gestorben. Wir lieben uns, wir haben eine kleine Tochter, wir hatten noch so viele Pläne!

Wäre loslassen nicht eher verdrängen?

Mache ich mich lächerlich, wenn ich die Absicht habe, mit "mit ihm" weiter zu leben? Also, ich decke ja nicht mehr den Tisch für ihn, oder so. Aber mir hilft die Vorstellung, dass er weiter bei uns ist und auch bleibt. Er weiß, dass es meine größte Angst ist, verlassen zu werden (hat was mit meiner Kindheit zu tun).

So lange ich ihn noch "bei mir" vermute (s. auch mein Beitrag zu "Zeichen von Verstorbenen"), habe ich noch Hoffnung. Wenn er wirklich "ins Licht" oder wohin auch immer geht, ist das dann wirklich das Ende?

Bin gespannt auf Eure Meinung.

Rozo

Hallo Rozo,

ich würde sagen lass dir Zeit und tu etwas für dich selbst. Geh in die Natur ... male mit deiner Tochter ... schätze die Kleinigkeiten im Leben. Alles KANN nicht muss! Die Dinge werden sich von selbst einrichten ... aber es braucht einfach Zeit.

Dein Mann wird recht glücklich sein, dort wo er hinkommt, denke ich ... weil es eine große Befreiung ist, wenn die Seele den Körper ablegen kann. Er ist wie eine ziemlich schwere Last, die sie Seele nach unten drückt und wenn dieses Gewicht weg ist ... ja dann hebt die Seele ab und freut sich, dass sie fliegen kann *ggg*

Der Tod selber ist ja nicht das Problem. So etwas wie einen Tod gibt es nämlich nicht. Das Problem des Todes liegt in der Trennung vom Gewohnten ... und auf deinen Mann werden so Phatastische Sachen zukommen, dass es ihm sehr leicht fallen wird das Gewohnte zurückzulassen. Nicht zuletzt, weil er es womöglich als Spiel erkennen wird in der jede Trennung Illusion ist. In der Regel sind Verstorbene also überglücklich, weil sie normalerweise in ein viel umfassenderes Bewusstsein eingehen können, als hier auf der Erde. Das Einzige was diese Glückseligkeit zu trüben vermag ist das Leiden der Hinterbliebenen. Aber in einem gewissen Rahmen ist das ja alles völlig verständlich und normal.

Wenn du die Sache mit dem Leiden etwas verstehen willst, kannst du das hier lesen. Aber ich warne dich schon etwas vor, weil es ist starker Tabak ... da es hier auch um Ego geht.

lg
Topper

- - -

Wir haben ein ziemlich krankhaftes Verständnis vom Sterben ... wir kennen es leider nur als Ende. Dass es zugleich eine Geburt ist vergessen wir aber. Einem Hinterbliebenen hilft das natürlich wenig ... weil insbesondere er/sie sich beraubt fühlt. Und dieses Geboren werden erlebt man hier ja als Sterben. Es ist nicht leicht damit klar zu kommen. Man fühlt sich einfach schlecht, weil einem etwas genommen wurde, und HIER liegt der Punkt an dem man etwas erkennen kann. Der größte Teil des Leidens erwächst aus diesem Punkt ... aus dem Ego. Man denkt dabei hauptsächlich an sich selbst, was einem selber genommen wurde. Man denkt an die schöne Zeit die MIR jetzt entgeht usw. Ich, ich, ich, ich, ich. Ich hätte ihn gerne bei mir usw. Es geht hier vor allem um mich und MEINE Bedürfnisse. Was ist aber mit den Bedürfnissen des Verstorbenen? Ist er mir ein Anliegen, dann achte ich darauf, dass er sich drüben wohl fühlen kann ... dass ihm die nötige Freiheit zugestehe? Aus diesem Grund lässt Liebe los. Sie will nur das Beste für den Anderen und fordert nichts für sich selbst ein.

Wirkliche Liebe ist aber extrem schwer. Die Menschen praktizieren meist eine Mischung davon :)
 
Hallo Rozo,
ich spreche einfach mal von meiner Erfahrung einen geliebten Menschen zu verlieren.
seit mein Mann im letzten August völlig überraschend gestorben ist, lese/höre ich immer viel davon, dass man "loslassen" soll und dass die Seele "ins Licht gehen/ auf eine andere Ebene/ weitergehen" muss. Warum?
Das mit der Ebene weiß ich auch nicht, ich weiß nur, dass auch die Toten genau wie wir, ihren inneren Seelenfrieden brauchen. Und in den meisten Fällen, fühlen sich die Toten sehr wohl. Nur, wenn jemand von den Lebenden sie nicht gehen lässt, können sie nicht frei sein und sie sind bedrückt.
Rozo schrieb:
Ich hätte meinen Mann lebend nicht einfach gehen lassen, warum soll ich es jetzt tun? Leidet seine Seele durch mein Festklammern? Aber ich leide auch.
Du schreibst es selber: du leidest. Durch dein Festklammern leidest du. Ob seine Seele "leidet" weiß ich nicht, aber dadurch machst du es ihm schwer.
Rozo schrieb:
Wer sagt denn, dass er "weitergehen" will? Sicher ist er nicht freiwillig gestorben.
Diese Frage kann ich nicht beantworten. Ich habe da meine eigene Theorie. Es ist für die Hinterbliebenen immer unverständlich, wenn ein geliebter Mensch geht.
Rozo schrieb:
Wir lieben uns, wir haben eine kleine Tochter, wir hatten noch so viele Pläne!
Es klingt zwar blöd, doch das Leben geht weiter. Freue dich, das ihr eine gemeinsames Kind habt. Ich glaube er würde nicht wollen, dass du so lange intensiv trauerst. Ich bin der Überzeugung er sieht euch beiden; und er möchte, dass du all die Dinge mit eurer Tochter machst.
Rozo schrieb:
Wäre loslassen nicht eher verdrängen?
Nein, loslassen wäre akzeptieren.
Rozo schrieb:
Mache ich mich lächerlich, wenn ich die Absicht habe, mit "mit ihm" weiter zu leben? Also, ich decke ja nicht mehr den Tisch für ihn, oder so. Aber mir hilft die Vorstellung, dass er weiter bei uns ist und auch bleibt. Er weiß, dass es meine größte Angst ist, verlassen zu werden (hat was mit meiner Kindheit zu tun).
Das mit der Vorstellung ist im Prinzip okay, ich weiß ja nicht, wie du es machst. Dass er in eurem Herzen ist ist gut.
Das ist eine schwere Prüfung für dich, gerade weil du die Angst aus deiner Kindheit hast. Vielleicht ist es auch besonders schlimm, dass gerade ein geliebter Mensch dich zwingt, das auf diese Art zu bearbeiten.
Rozo schrieb:
So lange ich ihn noch "bei mir" vermute (s. auch mein Beitrag zu "Zeichen von Verstorbenen"), habe ich noch Hoffnung. Wenn er wirklich "ins Licht" oder wohin auch immer geht, ist das dann wirklich das Ende?
Im Herzen wird er immer bei euch sein.

Ich wünsche dir viel Kraft.
Eberesche
 
@Skanda

Ja, mein Kopf weiß ja, dass es mit der Zeit besser werden soll. Mein "Herz" will es aber nicht... Dank Dir für Deine lieben Worte.

@Schrödingers Katze

Du hast natürlich Recht mit der Individualität. Das wurmt mich ja auch schon manchmal. Solange mein Mann noch lebte, bin ich auch gern dafür eingestanden. Und jetzt reduziert man sich selbst auf dieses Verlustgefühl. Denn erst jetzt wird mir ja so richtig bewusst, wie sehr wir "eins" geworden waren und vermisse es schrecklich. Wir kannten uns 20 Jahre, in denen wir so zusammengewachsen sind. Wie lange mag es da wohl dauern, bis ich mich wieder "selbst finde"...

@TopperHarley

Natürlich habe ich zunächst mal nur gesehen, was ich verloren habe. Und ich "weiß" ja auch nicht, was er gewonnen hat. Aber ich weiß, was er verloren hat. Und ich weiß, dass er lange schon Angst davor hatte, uns zu früh allein zu lassen (mein Mann war 22 Jahre älter als ich, aber mit 63 trotzdem noch "zu jung"). Daher glaube/hoffe ich, dass er, wenn "er noch er selbst ist" uns nicht loslassen will. Und deshalb eben mein Gedanke, dass mein Loslassen auch eine Art Verlassen von meiner Seite aus wäre.

Hmm, jetzt lasse ich es mal lieber, ich glaube aus diesen Knotensätzen komme ich nicht mehr raus. Aber ich dank Dir für den Denkanstoß.

@Eberesche

Vielen Dank für die ausführliche Antwort. Sicher ist unsere Tochter das Einzige, was mich noch "am Laufen" hält. Sie ist der Grund, warum ich morgens überhaupt noch aufstehe. Und das wusste mein Mann auch schon immer, dass nur unsere Tochter gleich wichtig ist und im Zweifelsfall den Vorrang hätte.
Aber es gab schon Momente, in denen ich mich gefragt habe: Was wäre, wenn es sie nicht gäbe...? Es gibt sie - und wie! Sie wird ihrem Papa von Tag zu Tag ähnlicher in den Gesichtszügen aber auch im Verhalten! So gesehen ist er manchmal sogar sehr präsent.
 
Hallo Rozo,

Daher glaube/hoffe ich, dass er, wenn "er noch er selbst ist" uns nicht loslassen will. Und deshalb eben mein Gedanke, dass mein Loslassen auch eine Art Verlassen von meiner Seite aus wäre.

ist es nicht eher so, daß er - wie schon im Leben hier auf Erden - Dich/Euch nicht allein lassen will, WEIL Du ihn nicht loslässt ?! Vielleicht hat er das Gefühl, er KANN Euch nicht allein lassen, weil Ihr ohne ihn nicht zurecht kommt. Würde es ihm denn nicht leichter fallen, seinen Weg weiter zu gehen, wenn Ihr ihn loslassen könntet ?

Loslassen bedeutet ja nicht wegschicken oder vergessen. Loslassen bedeutet lediglich aufhören zu klammern, festzuhalten. Er wird nach wie vor immer für Euch da sein, wenn Ihr ihn braucht, aber wäre er nicht glücklicher, wenn auch Ihr Euren Weg weitergehen würdet ?!

Liebe Grüße
Gabi
 
Liebe Rozo,

laß es auf Dich zukommen,auch für Dich wird die Zeit des loslassen könnens kommen!!! Und es heißt nicht das Du damit Deinem Mann hinderst weiterzugehen, er ist auf seinem Weg und kann dennoch oft bei Euch sein!!
Mach Dich ertmal mehr mit dem Thema Leben nach dem Tod bekannt dann wirst Du alles was Du wissen mußt,kannst erfahren und merken....alles ist anders als man denkt!!!
 
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Weil wenn man krampfhaft festhält, kann das zu agressivität führen, du sollst ja nicht ganz vergessen, so ist das auch nicht.:)
 
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