Schamanen, Evliya ... und Fakire können Aweysha

nasruddin

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Ja.
Wo soll ich nun beginnen?
Wie kann mann einen Begriff, dass diffus, mystisch und sagenumwoben ist, erklären?
Ausser vielleicht in den Aussagen von Dritten, die es vielleicht auch wieder von dritten gehört haben?

Genau. Aus der Literatur. Gefunden, frei und für alle lesbar im Internet.

Das Erste Stück, kommt aus dem Projekt Gutenberg.

Das zweite aus einer anderen Internetseite.

Beide haben Gemeinsamkeiten. Nicht auf den ersten Blick erkennbar. Aber sie haben Gemeinsamkeiten.

Das erste ist eine Erzählung von Gustav Meyrink:
Walpurgisnacht, Kapitel, Titel Aweysha.

Es wird von einem Tataren erzählt. In einem Zeitpunkt, wo Adelige und Bedinstete am 16. Mai, zum Fest des heiligen Johann von Nepomuk ...

Das kann ich ja gleich reinkopieren und nicht alles selbst auftauen.
Aus dem Link kopiert: http://gutenberg.spiegel.de/buch/1558/6

Aweysha

Jedes Jahr am 16. Mai, zum Fest des heiligen Johann von Nepomuk, des Schutzpatrons von Böhmen, pflegte, angeordnet vom Hausherrn selbst, im Erdgeschoß des Palais Elsenwanger ein großes Gesindeessen stattzufinden, dem nach uralter Hradschiner Sitte die Herrschaft in eigener Person vorzusitzen gedachte.

In dieser Nacht, beginnend punkt 8 Uhr und abschließend mit dem letzten Schlag der zwölften Stunde, galten alle Standesunterschiede zwischen Herr und Diener als aufgehoben: Man aß und trank gemeinsam, redete einander mit "Du" an und gab sich die Hand.

Wo ein Sohn im Hause war, mußte dieser die Herrschaft vertreten; wo nicht, da oblag die Pflicht der ältesten Tochter. – –

Baron Elsenwanger fühlte sich seit dem Erlebnis mit dem Mondsüchtigen so angegriffen, daß er seine Großnichte, die junge Komtesse Polyxena, hatte bitten lassen müssen, seine Stelle einzunehmen.

...

Es handelt sich also um eine Junge Frau, mit dem Namen Polyxena.


Und wo sie in Ihren Gedanken wie folgt, ihre eigene Geschichte im Nachhinein beschreibt und am Schluss dieses Kapitels eine erstaunliche Erkenntnis hat.

Dann war die Erziehung im Kloster von Sacré-Cœur gekommen. – Anfangs wie ein helles Licht infolge des Ungewohnten, aber nur für kurze Tage, dann immer blasser und trüber werdend, viel zu weihevoll und ruhig – zu sehr wie müdes Abendrot, als daß sich nicht eine zum Raubtier geschaffene Seele heimlich zum Sprung geduckt hätte.

Dort im Kloster fiel das Wort "Liebe" zum erstenmal: Liebe zum Erlöser, den Polyxena stündlich vor Augen hatte, ans Kreuz genagelt, mit blutigen Malen, blutender Brustwunde und blutigen Tropfen unter der Dornenkrone – Liebe zum Gebet, in dem zur Sprache wurde, was gleichzeitig ihr vor Augen stand: Blut, Märtyrertum, Geißelung, Kreuzigung, Blut, Blut. – Dann die Liebe zu einem Gnadenbild, in dessen Herzen sieben Schwerter staken. Blutrote Ampeln. Blut. Blut.

Und das Blut als das Sinnbild des Lebens wurde die Inbrunst ihrer Seele, fraß sich ein ins Innerste.

Von all den jungen adligen Mädchen, die im Kloster von Sacré-Cœur erzogen wurden, war sie bald die inbrünstigste.

Aber auch – die brünstigste, ohne es zu wissen.

Das bißchen Französisch, das bißchen Englisch, das bißchen Musik und Geschichte und Rechnen und all das andere – sie begriff es kaum. Hatte es im nächsten Augenblick vergessen.

Nur die Liebe blieb haften.

Aber die Liebe zum – – Blut.

...
...

Und alles, was sie lebendig sah und jung, das verband sie unbewußt mit dem Begriff "Blut". In allem, was schön war und sie anzog und mit Sehnsucht erfüllte: Blumen, spielende Tiere, quellender Frohsinn, Sonnenschein, junge Menschen, Duft und Wohlklang, alles tönte in dem Wort, das ihre Seele unablässig – unhörbar noch – murmelte, wie aus dem unruhigen Schlaf, der dem Erwachen vorhergeht: – in dem Wort Blut, Blut.

Irgendwann erblickt Sie ein Bild ihrer Urahnin. Der Gräfin Polyxena Lambua.
Und es geschieht etwas mit Ihr.


Lebendiger als irgend etwas anderes in der Welt kann aber nur der Mensch sich selbst vorkommen.

Sie kannte das Gesetz nicht, auf dem alles Magische beruht: "Wenn zwei Größen einander gleich sind, so sind sie ein und dasselbe und nur einmal vorhanden, auch wenn Zeit und Raum ihr Dasein scheinbar trennen."

Hätte sie es erkannt und erfaßt, sie wäre fähig gewesen, ihr Schicksal bis ins kleinste vorauszuwissen.
...
...

Was der Weise mit dem Tier gemeinsam hat: niemals Reue zu empfinden über irgendwelche vollbrachte Tat – das kam auch über sie, als das Blut in ihr den Sieg davongetragen hatte:

Die Unschuld des Weisen und die Unschuld des Tieres machten das Gewissen verstummen.

Tags darauf schon war sie zur Beichte gegangen mit klarer Erinnerung an das, was man sie im Kloster gelehrt hatte: Daß sie tot umfallen werde, wenn sie eine Sünde verschweige.

Und sie hatte tief im Innersten gewußt: Sie werde verschweigen und trotzdem lebend stehenbleiben. Und sie hatte recht behalten und dennoch – geirrt: Das, was bis dahin als ihr "Selbst" geschienen, war tot umgefallen; aber ein anderes "Selbst" – das, das dem Bilde ihrer Urahne entsprach – nahm im selben Augenblick die Stelle des ersten ein.

Es ist nicht Zufall oder blinde Willkür, daß der Mensch die Aufeinanderfolge seiner Geschlechter mit dem Namen "Stammbaum" bezeichnet, es ist in Wahrheit der "Stamm" eines "Baumes", der nach langem Winterschlaf und nach soundso oft wechselnder Färbung seiner Blätter immer und immer wieder ein und dieselben Zweige treibt:

Die tote Polyxena im Bilderzimmer war lebendig geworden und die lebendige tot umgefallen – sie lösten einander ab, und jede blieb schuldlos; die eine verschwieg in der Beichte, was die andere hatte begehen müssen. Und jeder neue Tag lockte neue Knospen aus dem jungen Zweig des alten Baumes – neue und doch uralte, wie sie der "Stammbaum" von je hervorzubringen gewohnt war: In Polyxena verschmolz Liebe und Blut zu einem einzigen untrennbaren Begriff.
...

Hier höre ich mit der "sogenannten Einführung" auf.
Damit ein gewisse Ruhe eintritt und vielleicht jemand, Blut geleckt hat, und die Geschichte selbst lesen will.

Im nächsten Thread geht die Geschichte weiter, wo der Molla sein Wissen über Aweysha weitergibt.
 
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Die Gesellschaft kommt zusammen und es wird eine seltsame Geschichte erzählt.

Polyxena zählte mechanisch die Schläge der Turmglocken, die den Anbruch der achten Stunde verkündeten, und ging dann die Treppe hinab in die Gesindestube.

Ein alter Diener in gestreifter Jacke kam ihr entgegen, küßte sie auf beide Wangen und führte sie zu ihrem Sitz zuoberst eines langen Eichentisches ohne Gedeck.

Ihr gegenüber am untersten Ende saß der Kutscher des Fürsten Lobkowitz, ein junger Russe mit finsterem Gesicht und tiefliegenden schwarzen Augen, der nebst anderen Bedienten aus adligen Häusern zu Gast geladen war – neben ihr, als Tischnachbar, ein Tatar aus der Kirgisensteppe – eine runde, rote, fezartige Kappe auf dem glattrasierten Schädel. Man sagte ihr, er sei Bereiter des Prinzen Rohan und ehemals Karawanenführer des Asienforschers Csoma de Körös gewesen.

Božena in Straßentoilette, einen alten Schmelzdeckel mit nickender Feder, ein Weihnachtsgeschenk der Gräfin Zahradka, über den aufgesteckten Zöpfen, trug die Speisen herein: zuerst Rebhühner mit Kraut und sodann in Scheiben geschnittene Knödel aus schwarzem Mehl mit Powidl, zu deutsch: Zwetschgenmus.

"Laß dir's schmecken, Polyxena, und iß und trink!" sagte die alte Köchin Elsenwangers und zwinkerte den jungen Spül- und Stubenmädchen ermutigend zu, die sich so dicht wie möglich an sie herumgesetzt hatten, wie um eine Glucke, der es obliege, sie unter ihre Fittiche zu nehmen, falls es der adligen Falkin am Ende doch beifallen sollte, aus ihrer Höhe raubgierig herabzustoßen. – – –

Anfangs lastete eine gewisse Befangenheit auf der Gesellschaft, die aus etwa zwanzig Männern, Frauen und Mädchen jeden Alters bestand, denn vielen von ihnen war die Sitte, mit der Herrschaft zusammen an einem Tische zu essen, neu, und sie fürchteten, beim Gebrauch der Messer und Gabeln irgendwelche Unschicklichkeit zu begehen, aber Polyxena wußte sie rasch in eine ungezwungene Stimmung zu bringen, indem sie bald den einen, bald den andern in Gespräche verwickelte, an denen auch die übrigen teilnehmen konnten.

Bloß Molla Osman, der Tatar, verzehrte schweigend mit den Fingern, die er alle Augenblicke in einer Schüssel Wasser abspülte, sein Mahl, und auch der finstere Russe ließ kein Wort hören und blickte sie nur von Zeit zu Zeit lang und durchdringend, faßt haßerfüllt an.

"Erzählt doch mal", begann sie, als die Speisen abgetragen worden und die Tschaj- und Weingläser gefüllt waren. "Was ist eigentlich damals geschehen? Ist es wirklich wahr, daß oben ein Mondsüchtiger – – –?"

"Ja, freilich, Euer Gnaden Komtesse", fiel Božena eifrig ein, verschluckte sich infolge eines Rippenstoßes, den ihr die Köchin versetzte, und verbesserte rasch ihre Anrede: "Ja freilich, Polyxena, ich hab ich's mit eigenen Augen gesegen! Es war fuchbar. Gleich, wie sich der Brock angfangt hat zum Bellen, hab ich gewußt, genau wie der gnädige Herr Baron gesagt hat: Jezis, Maria und Joseph! No und dann hat's ihm die Hände gerissen, und er ise sich rundumadum geflogen, no – wie soll ich sagen – wie ein feiriger Gockel, so gliehende Augen hat er sich ghabt. Wenn ich meinen Schottek" – sie griff nach einem Amulett, das sie am Halse trug – "nicht zum Glick bei mir ghabt hätt, ich glaub, ich wäre ich heit eine Leiche. So wild hat e' mich angschaugt. Aber dann hat's ihm über die Taxishecken gschmissen, und er ise sich 'runtegflogen; jako – jako z rouru, wie ausm Rohr. Pan Loukota", sie wandte sich an den greisen Kammerdiener, "ise sich Zeuge."

"Blädsinn", murmelte der Alte und schüttelte unwillig den Kopf, "es war alles ganz anders."

"No natrierlich, jetzt auf amals sagen Sie wieder: Sie sin sich nicht zeigungsfähig, pane Loukota", ereiferte sich Božena, "abe gefircht ham Sie sich doch."

"Was? Durch die Luft is er geflogen?" fragte Polyxena ungläubig.

"Ano, prosim. – Bitt schän: ja."

"Wirklich frei geschwebt?"

"Prosim."

"Und glühende Augen hat er gehabt?"

"Prosim."

...
...

Eine Weile schwiegen alle betreten.

"Wie heißt der Mann eigentlich?" fragte der Russe halblaut seinen Nachbar.

Der Angeredete zuckte die Achseln.

"Zrcadlo, soviel ich weiß", antwortete Polyxena statt seiner. "Ich denke, er wird ein fahrender Komödiant von der Fidlowacka – vom Jahrmarkt – sein."

"Ja; so – nannte man ihn."

"Du glaubst also, er heißt anders?"

Der Russe zögerte: "Ich – ich weiß nicht."

"Aber ein Komödiant ist er doch? Nicht wahr?"

"Nein. Bestimmt nicht", ließ sich der Tatar vernehmen.

"Di kennst ihn?" – "Sie kennen ihn, Pane Molla?" riefen alle durcheinander.

Der Tatar hob abwehrend die Hände: "Ich habe ihn nur einmal gesprochen. – Aber ich glaube, ich irre mich nicht: – er ist das Werkzeug eines Ewli." – Das Gesinde starrte ihn ratlos an. – "Ich weiß, hier in Böhmen kennt man das nicht, aber bei uns im Osten ist es nicht gar so selten."

Und, von Polyxena aufgefordert, die Sache näher zu erklären, erzählte er in kurzen Sätzen, jedes Paar Worte vorher im Geiste aus seiner Muttersprache ins Deutsche übersetzend:

"Ein Ewli ist ein Fakirzauberer. – Ein Fakirzauberer braucht einen Mund, sonst kann er nicht reden. – Darum wählt er sich den Mund eines Toten, wenn er reden will."

"Du glaubst also, der Zrcadlo ist ein Toter?" fragte der Russe mit allen Anzeichen plötzlicher Aufregung.

"Ich weiß nicht. – Vielleicht ist er ein Halb– –", fragend wandte sich der Tatar an Polyxena: "Wie sagt man das? Ein Halb– –?"

"Ein Scheintoter?"

"Ja. Ein Scheintoter. – Wenn der Ewli durch den Mund eines andern reden will, geht er zuerst aus sich selbst heraus und geht dann in den andern hinein. – Das macht er so:" – einen Augenblick dachte der Tatar nach, wie er es am besten erklären solle; dann legte er sich den Finger auf die Stelle oberhalb des Zwerchfells, wo die Rippen mit dem Brustbein verbunden sind: – "Hier sitzt die Seele. – Die zieht er hinauf;" – er zeigte auf seine Gurgel und dann auf die Nasenwurzel – "erst hierher, dann dorthin. – Dann verläßt er seinen Körper mit dem Atem und geht in den Toten ein. Durch die Nase, durch den Hals, in die Brust. – Wenn der Leib des Toten noch nicht zerstört ist, steht der Tote auf und ist lebendig. – Aber er ist dann der Ewli."

"Und was geschieht unterdessen mit dem Ewli selbst?" fragte Polyxena gespannt.

"Der Körper des Ewli ist wie tot, solange sein Geist in dem andern ist. – Ich habe oft Fakire und Schamanen gesehen. – Sie sitzen immer wie tot. Das kommt, weil ihr Geist in andern ist. – Mann nennt das Aweysha. – Aber ein Fakir kann auch Aweysha mit lebenden Menschen machen. – Nur müssen sie schlafen oder müssen betäubt sein, wenn er in sie eintritt. – Manche, und besonders Abgeschiedene, die zu ihren Lebzeiten einen sehr starken Willen gehabt haben oder noch eine Mission auf der Erde erfüllen sollen, die können sogar in wache Lebendige eintreten, ohne daß diese es merken, aber meistens benutzen auch sie die Körper von Scheintoten oder Lebendigen. – Wie zum Beispiel den Zrcadlo. – – – – Warum schaust du mich so an, Sergej?"

Der Russe war bei den letzten Worten aufgesprungen, hatte einen schnellen Blick mit einem andern Bedienten gewechselt und hing förmlich an den Lippen des Tataren. –

"Nichts, nichts, Molla; ich staune bloß."

"Bei mir daheim", fuhr der Tatar fort, "kommt es oft vor, daß ein Mann, der bis dahin ganz ruhig gelebt hat, plötzlich nicht mehr weiß, wie er heißt, und wegwandert. Dann sagen wir: ein Ewli oder ein Schamane hat von seinem Körper Besitz ergriffen. – Die Schamanen sind Ungläubige, aber sie können dasselbe wie die Ewliah. – Das Aweyshatum hat mit dem Koran nichts zu tun. – Wenn wir früh aufwachen und fühlen, daß wir nicht ganz so sind wie vorher abends beim Schlafengehen – so fürchten wir, daß ein Abgeschiedener in uns steckt, und atmen heftig ein paarmal aus, um wieder frei zu werden."

"Warum glaubst du, wollen denn die Toten in die Körper der Lebenden eindringen?" fragte Polyxena.

"Vielleicht um zu genießen. – Vielleicht um etwas auf der Erde nachzuholen, was sie zu tun versäumt haben. – Oder, wenn sie grausam sind: um ein großes Blutbad anzurichten."

"Da wäre es ja möglich, daß der Krieg – –"

"Gewiß" – bestätigte der Tatar. "Alles, was die Menschen gegen ihren Wunsch tun, kommt aus dem Aweysha her – ob so oder so. – Wenn die Menschen eines Tages übereinander herfallen wie die Tiger, meinst du, sie täten es, wenn nicht irgendwer Aweysha mit ihnen gemacht hätte?"

"Sie tun es, denke ich, weil sie – nun, weil sie eben begeistert sind für – für irgend etwas; für eine – Idee vielleicht."

"Nun, das ist doch Aweysha."

"Also ist Begeisterung und Aweysha dasselbe?"

"Nein; zuerst kommt Aweysha. Daraus entsteht dann Begeisterung. – Man merkt meist nicht, wenn jemand Aweysha mit einem macht. Aber die Begeisterung, die fühlt man, und daher glaubt man, daß sie in einem von selbst entstanden ist. – Weißt du, es gibt verschiedene Arten Aweysha. – Manche Menschen können Aweysha bei anderen machen, bloß indem sie eine Rede halten. – Aber es ist doch immer nur Aweysha, bloß ein mehr natürliches. – – Mit jemand, der sich nur auf sich selbst verläßt, kann kein Mensch auf der Welt Aweysha machen. Auch nicht ein Ewli oder ein Schamane."

"Und du meinst, weil ein Ewli mit uns Aweysha gemacht hat, ist der Krieg entstanden?"

Der Tatar schüttelte lächelnd den Kopf.

"Oder ein Schamane?"

Wiederum Kopfschütteln.

"Also wer sonst?"

Molla Osman zuckte die Achseln; Polyxena sah ihm an, daß er nicht reden wollte; seine ausweichende Antwort: "Wer nur an sich selbst glaubt und nachdenkt, ehe er handelt, mit dem kann keiner Aweysha machen", bestärkte sie darin. – – – –

"Du bist Mohammedaner?"

"N–nein, nicht ganz. – Du siehst: ich trinke Wein."

Der Tatar hob sein Glas und trank ihr zu.

Polyxena lehnte sich zurück und studierte schweigend seine ruhevollen Züge. Ein rundes, glattes Gesicht, frei von jeder Leidenschaft oder Erregung. – –

"Aweysha?! – Was das für ein sonderbarer Aberglaube ist;" – sie nippte an ihrem Tschaj. "Was er wohl sagen würde, wenn ich ihn fragte, ob auch Bilder Aweysha machen können? – Ach was, er ist ja doch nur ein Stallknecht!" – Und sie ärgerte sich, daß sie ihm so lange zugehört hatte – ärgerte sich mehr und mehr, je klarer ihr wurde, daß sie sich noch niemals mit irgendeinem ihrer Verwandten auch nur annähernd so interessant unterhalten hatte – fühlte sich wie an ihrer Rasse beleidigt. – – Sie kniff die Augen halb zu, damit er nicht merke, daß sie ihn ununterbrochen beobachtete. "Wenn ich ihn in meiner Gewalt hätte, ich ließe ihm den Kopf abschlagen", wollte sie sich in eine Art Blutrausch hineinreden, um ihren gekränkten Hochmut wieder aufzurichten, aber es gelang ihr nicht. –

Das Gefühl der Grausamkeit allein konnte in ihr nicht aufsteigen, wenn es nicht mit Liebe oder Wollust gepaart war – und beides prallte von dem Tataren ab wie an einem unsichtbaren Schild. – – – Sie blickte auf: Ein Teil der jüngeren Dienerschaft hatte sich während ihres Zwiegesprächs mit dem Asiaten im Hintergrund des langgestreckten Zimmers zusammengescharrt und unterhielt sich halblaut, aber anscheinend im höchsten Grade erregt.

...
...


Plötzlich fiel der Name "Ottokar Vondrejc." – Polyxena hatte ihn deutlich gehört; es war ihr durch Mark und Bein gefahren.

Sie beugte sich unwillkürlich vor, um genau zu verstehen, was man da verhandelte.

Der Russe bemerkte ihre Bewegung und machte den andern rasch ein Zeichen, worauf diese sofort das Gespräch abbrachen und sich so unauffällig wie möglich auf ihre Plätze begaben.

"Warum tun sie das?" überlegte Polyxena; instinktiv fühlte sie, daß es sie und ihre Kaste betraf, was da gesprochen worden war. "Wenn's bloß Unzufriedenheit mit den Löhnen oder etwas dergleichen gewesen wäre – sie hätten sich nicht so aufgeregt benommen."

Daß der Name Ottokar genannt worden war, beunruhigte sie am meisten. "Wissen Sie vielleicht etwas?" – gewaltsam schüttelte sie den Gedanken ab. – "Feiges Dienstbotengesindel. – Was kümmert es mich. Sollen sie sich denken, was sie wollen. Ich werde tun und lassen, was mir paßt." –

Sie versuchte in den Mienen Boženas zu lesen; sie wußte genau, daß Ottokar früher zu Božena in Beziehungen gestanden hatte – aber es war ihr stets gleichgültig gewesen. Sie war viel zu stolz und hochmütig, um auf ein Küchenmädchen eifersüchtig zu sein. – "Nein, Boženas Gesicht war gleichmütig und freundlich. – Also mußte Ottokars Namen in einem anderen Zusammenhang erwähnt worden sein." –

Ein mühsam verhaltener Haß in den Augen des russischen Kutschers sagte ihr, daß es sich um Dinge gehandelt haben müsse, die über Persönliches hinausgingen.
...
...
...


Kalt und spöttisch erwiderte sie den Blick des Russen.

Und doch überlief es sie, so deutlich spürte sie den drohenden Haß, der von ihm ausging. –

Aber es steigerte sich nicht bis zur Furcht in ihr – wurde langsam ein Kitzel, eine Art lüsternes Haarsträuben, wie sie sich ausmalte, es könnte eines Tages doch ernst werden und zu – Blutvergießen kommen. – – – – "Grundwasser" – mitten in ihrer Gedankenreihe war plötzlich das Wort "Grundwasser" aufgeschossen. Eine Stimme in ihr schien es gerufen zu haben. – "Warum: Grundwasser?" – welchen Zusammenhang hatte es mit dem, woran sie dachte? – Sie wußte nicht einmal genau, was das war: "Grundwasser". – Irgend etwas, was in der Erde schläft, bis es dann plötzlich steigt und steigt, die Keller erfüllt, Mauer unterwäscht, alte Häuser über Nacht einstürzen macht, oder etwas Ähnliches. –

Und aus dieser unbewußten Vorstellung wuchs ein Bild hervor: Blut war's, das da emporstieg aus der Tiefe – ein Meer von Blut, das aus dem Boden drang, aus den Gittern der Kanäle quoll, die Straßen erfüllte, bis es in Strömen sich in die Moldau ergoß.

– Blut, das wahre Grundwasser Prags.

Eine Art Betäubung kam über sie.

Ein roter Nebel legte sich ihr vor die Augen; sie sah, daß er von ihr langsam weg auf den Russen zuschwebte, dessen Gesicht, wie unter drosselnder Angst, fahl wurde. – Sie fühlte, daß sie irgendwie den Sieg über den Mann davongetragen hatte. Ihr Blut war stärker gewesen als das seinige.

"Es ist etwas dran an diesem – an diesem – Aweysha"; – sie blickte auf die Hände des Russen: Tatzen eines Ungeheuers, breit, furchtbar, wie zum Würgen geschaffen – jetzt lagen sie hilflos und wie gelähmt auf dem Tisch.

"Die Stunde ist noch lange nicht da, wo ihr Proletarier eure Ketten zerbrechen könnt", höhnte sie innerlich. –

Sie wußte mit einemmal, daß auch sie "Aweysha" machen konnte, wenn sie wollte – es vielleicht immer schon gekonnt hatte – – sie und ihr Stamm, seit Jahrhunderten.

Aweysha - Walpurgisnacht
...
 
Eben.... Walpurisnacht.

Was wissen wir noch über die Walpurgisnacht.


Walpurgisnacht ("Aweysha")


Der Monat erhielt seinen Namen nach der Göttin Maia, Maria, der Göttin des Frühlings, die neues Leben bringt.

Im Mai trugen die Leute traditionell zu Ehren des neuen Gewandes der Erdmutter frisches Grün und liebten sich in den frisch gepflügten Feldern, um damit das Wachstum des Getreides zu fördern.
Bis ins 16. Jahrhundert hinein war der Mai im ganzen ländlichen Europa ein "Honey-Moon" der sexuellen Freiheiten. Vorhandene Ehebande waren zeitweise außer Kraft gesetzt.
Am Abend vor dem ersten Mai fanden die großen Frühlingsfestlichkeiten der Hexen statt. Ihnen entspricht Samhuin oder Halloween am entgegengesetzten Pol des Jahres (31. Oktober).
In Irland und Schottland hieß dieses Fest Beltane oder Baltein. Symbolisch wurde in dieser Nacht der Gott Baal (auch Baldur genannt) verbrannt. In manchen Gegenden verkörperte ihn ein vom Los ausgewählter Mann, der durch die Maifeuer sprang, die in Skandinavien noch heute "Baldurs Scheiterhaufen" genannt werden.
Diese Bräuche gehen nachweislich auf das wirkliche Verbrennen des Mannes zurück, der den Gemahl der Großen Göttin in seinem Liebestod mit ihr repräsentierte.
Am ersten Mai wird auch der Maibaum aufgestellt, Symbol für den Phallus des Göttin-Gemahls, der in den Schoß der Mutter Erde gepflanzt wird.
Das Aufstellen von Maibäumen zu Beginn des Maifestes hat in verschiedenen Ländern Europas Tradition.
In manchen Gegenden bleibt der Baum das ganze Jahr über stehen und wird zu festlichen Anlässen geschmückt.
Die Tradition des Maibaums kam ursprünglich nicht aus Europa, sondern ist eine direkt Anleihe aus Indien; dort ist er noch immer "der große Lingam". Sein phallischer Symbolismus wurde im England des 16. Jahrhunderts noch verstanden. Der zeitgenössische Schriftsteller Philip Stubbes schreibt:
Im Mai laufen alle jungen Burschen und Mädchen, Männer und Weiber nachts in Wälder, Haine, Hügel und Berge, wo sie die Nacht bei angenehmer Kurzweil verbringen.
Des Morgens kehren sie zurück mit Birkenbäumen und Zweigen, um ihre Zusammenkünfte zu verschönern.
Ihr größter Schatz, den sie von dort mitbringen, ist ihr Maipfahl, den sie voller Ehrfurcht auf folgende Weise heran tragen: Sie haben zwanzig oder vierzig Joch Ochsen, von denen jeder einen süßduftenden Strauß an die Hörner gebunden bekommt.
Und diese Ochsen ziehen den Maipfahl, der über und über mit Blumen und Gräsern bedeckt, mit Schnüren umwunden und manchmal in verschiedenen Farben bemalt ist, nach Hause.
Sie richten ihn dann auf, Bänder und Fahnen flattern an der Spitze, und sie bestreuen den Boden ringsherum, binden grüne Zweige darum und stellen Sommerlauben und Blätterbogen daneben auf. Und alsdann beginnen sie zu tanzen.
In vielen Teilen der Welt wird immer noch der Maifeiertag begangen. Wenn wir um den Maibaum (Phallus) tanzen und dessen Bänder entwirren (Vulva-Symbol), spielen wir den Liebesakt in der Natur nach. Mit solchen Tänzen erbitten wir uns Gaben von der Göttin Maia; aus der sexuellen Vereinigung wachsen Früchte und Blumen in Hülle und Fülle.
Das Fest wurde uns von vielen älteren Kulturen überliefert, in denen Bäume verehrt wurden. Z.B. Eiche, Fichte, Feigen- und Apfelbaum, Eberesche und Weide repräsentierten die Große Göttin.
In vielen Ländern werden eine Maikönigin und ein Maikönig gewählt, die die Göttin und ihren Liebespartner vertreten. Die beiden werden in Prozessionen gefeiert und in einem Spiel "verheiratet", um die Fruchtbarkeit der Erde anzuregen. Die Maikönigin war schon bei den römischen Festlichkeiten die anerkannte Repräsentantin der Göttin Flora.
Die Kirche war natürlich gegen dieses religiöse Fest. Bischof Elegius von Noyons bat im 7. Jahrhundert seine frisch bekehrten Schäfchen mit den sexuellen Mai-Riten aufzuhören - ohne Erfolg.
(Die Bekehrung war wohl nix).
Heute werden an diesem Tag auch die ArbeiterInnen der Welt geehrt. Auf dem Gründungskongress der II. Internationalen am 1. Mai 1889 wurde dieser Tag zum Tag der Arbeit bestimmt. Er hatte besondere Bedeutung in der Sowjetunion, wo die Militärparade zur Darstellung der Kampfkraft am Ersten Mai ein bedeutendes öffentliches Ereignis war.
Nachdem es die Sowjetunion ja nicht mehr gibt, feiern wir doch lieber das alte Fest der Göttin und gehen in den Wald...
...wegen der guten Ernte natürlich...
 
So. Jetzt müssten wir nur noch Papa Storl konsultieren...

Oder ander kennen um die inneren Zusammenhänge und können diese verdeutlichen.

Vielleicht dies zum Auftakt.

http://www.amazon.com/review/R1NWWLJAUX86I4

In his contempt for established religion, Meyrink brings forth the concept of Aweysha. Anyone who is not able to hear his own soul becomes an "aweysha," a living body whose soul has moved into another living being, a dead mirror where strange demons come and go, a wandering corpse. Defying the concept of "free will," Meyrink holds that anything a person does against his will comes from "aweysha."

By Esther Nebenzahl



Ein schönes Wochenende noch.
Gruss
 
Ich frag mich seit gestern warum sich niemand traut auf deine Ausführungen einzugehen.

Vielleicht weil, wie ich kürzlich im Magie-UF gelesen hab, dass "Wissen sich selber schützt" ?
 
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Ich frag mich seit gestern warum sich niemand traut auf deine Ausführungen einzugehen.

Vielleicht weil, wie ich kürzlich im Magie-UF gelesen hab, dass "Wissen sich selber schützt" ?

Das Wissen ist wirklich immer geschützt.
Zuallererst durch sich selbt.

Magie z.Bsp. ist etwas zustande bringen ohne, dass man eine "vernünftig objektiv gefühlslos reale" Erklärung dazu geben kann.

Es ist, weil es ist ...

Einziger Hinweis, ist z.Bsp. die Absicht.
Mit der korrekten Absicht selbst kann vieles erreicht werden.

Das wird immer wieder wiederholt gesagt, geschrieben und gesungen.

Doch.
Oder eben.
Die Magier eben so scheint es mir, wissen und beherrschen die Absicht.

Gruss
 
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