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Aus der Rede von Christa Wolf:
"(...) Mit dem Wort �Wende' habe ich meine Schwierigkeiten. Ich sehe da ein Segelboot. Der Kapitän ruft, �Klar zur Wende?', weil der Wind sich gedreht hat oder ihm ins Gesicht bläst. Und die Mannschaft duckt sich, wenn der Segelbaum über das Boot fegt. Aber stimmt dieses Bild noch? Stimmt es noch in dieser täglichen vorwärtstreibenden Lage?
Ich würde von revolutionärer Erneuerung sprechen. (...)
Verblüfft beobachten wir die Wendigen. Im Volksmund �Wendehälse' genannt, die laut Lexikon sich rasch und leicht einer gegebenen neuen Situation anpassen, sich in ihr geschickt bewegen, sie zu nutzen verstehen. Sie am meisten, glaube ich, blockieren die Glaubwürdigkeit der neuen Politik. Soweit sind wir wohl noch nicht, daß wir auch sie mit Humor nehmen können, was uns doch in anderen Fällen schon gelingt. Trittbrettfahrer zurücktreten!' lese ich auf Transparenten und an die Polizei gerichtet von Demonstranten der Ruf: �Zieht euch um, schließt euch an!' Ich muß sagen, ein großzügiges Angebot. Ökonomisch denken wir auch: �Rechtssicherheit spart Staatssicherheit'. Und heute habe ich auf einem Transparent eine schier unglaubliche Losung gesehen: Keine Privilegien mehr für uns Berliner.' ja, die Sprache springt aus dem Ämter- ¬und Zeitungsdeutsch heraus, in das sie eingewickelt war und erinnert sich ihrer Gefühlswörter. Eines davon ist Traum. Also träumen wir, mit hellwacher Vernunft: Stell' dir vor, es ist Sozialismus und keiner geht weg.' Wir sehen aber die Bilder der noch immer Weggehenden und fragen uns: �Was tun?' und hören als Echo die Antwort: �Was tun?'. Das fängt jetzt an, wenn aus den Forderungen Rechte, also Pflichten werden: Untersuchungskommission, Verfassungsgericht, Verwaltungsreform. (...)"
(taz, 9. 11. 1989)
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