Tommy
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Größenwahn und Untergang - Warum die Titanic sank
Am 15.April des Jahres 1912, versank "das größte und schönste Schiff der Welt" (Werbeplakat der White Star Line ) um 2:20 Uhr im Nordatlantik und nahm dabei über 1500 Menschen mit in die Tiefe. Seitdem ist die Geschichte der Titanic und ihrer Passagiere in zahllosen Bildern, Verfilmungen und Büchern festgehalten worden. Die Forschungsliteratur umfasst jetzt bereits über 1000 Werke allein im deutsch/englischsprachigen Raum, und ein Ende dieser Expansion scheint nicht absehbar. Im Internet haben sich Titanic-groups und Titanic-Foren gebildet, in denen sich die Mitglieder die Geschichte in allen Einzelheiten erzählen und ausdiskutieren und so die Erinnerung wach halten; das ehrgeizigste Projekt stellt die "enzyklopedia titanica" dar. Sie bemüht sich um eine authentische Erfassung des Geschehens sowie der Einzelschicksale der Umgekommenen und Überlebenden.
Was aber ist der Brennstoff dieser eigenartigen Faszination? Schiffsunglücke gab und gibt es zu allen Zeiten, darunter etliche, die weit mehr Tote forderten als der Untergang der Titanic (z.B.1987 die Dona Paz mit knapp 4000 Opfern, 1945 die Wilhelm Gustloff mit über 5000 Toten).Warum die Titanic? Was macht sie zu einem derartig hartnäckigen, die Zeiten überdauernden Bild?
Darauf gibt eine These von Joachim Kahl die Antwort. Sie lautet: Die Titanic ist als Archetyp ins kollektive Gedächtnis der Menschheit eingegangen.
"In außerordentlicher ikonischer Verdichtung auf das Drama eines Schiffes steht am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ein Mythos von Größenwahn und Untergang, freilich auch von der Rettung einiger. Dieser Gründungsmythos des zwanzigsten Jahrhunderts schlägt Leitmotive an, die die späteren Jahrzehnte erfüllt haben. Seither gehört die Geschichte vom Untergang der Titanic zum Gedächtnis der Völker und Individuen, die die archetypische Bedeutung des Geschehens in Büchern und Filmen, in Clubs und Ausstellungen festhalten."
(1)
Der Untergang der Titanic kommt mir vor wie ein philosophisches Lehrstück - nur mit dem Unterschied, dass er wirklich stattfand und nicht bloß auf dem Papier. Dem archetypischen Gehalt, von dem Kahl redet, kommen wir möglicherweise auf die Schliche, wenn wir uns das Besondere näher anschauen - das, was diesen Untergang von allen anderen Untergängen unterscheidet; das, was dieses Schiff zu einem Symbol werden ließ.
Es fängt alles an wie ein Märchen und endet wie ein Albtraum: An einem lauen Sommerabend des Jahres 1907 treffen sich der Präsident der mächtigen White Star Line, Bruce Ismay und sein Geschäftspartner Lord James Pirrie, Eigentümer der Belfaster Werften Harland&*****, zu einem idyllischen Dinner und hecken einen Plan aus. Ismay gibt Pirrie den Auftrag, ihm drei Schiffe zu bauen, die alles an Größe, Luxuriösität und Vollkommenheit in den Schatten stellen sollen, was bisher dagewesen ist. Und es stehen auch schon die Namen fest für dieses Trio: "Olympic", "Titanic " und "Gigantic".
Wer sich in griechischer Mythologie auskennt, wird Anlass haben, sich über die Namensgebung dieser Schiffe zu wundern. Denn Titanen und Giganten sind dort wie kein anderes aufsässiges Göttergeschlecht mit den Bedeutungen: "Tod", "Niederlage", "Verlust" verknüpft. Nur einem einzigen Journalisten fiel das beim Stapellauf der Titanic auf, während sich die übrige Presse in Jubelgesang und Kniefällen vor diesem Meisterwerk der Wissenschaft und Technik erging. Am nächsten Morgen wies die Irish News in einem Leitartikel darauf hin, daß es sich bei den Titanen und den Giganten um ein riesenhaftes Göttergeschlecht gehandelt habe, das gegen den Göttervater Zeus antrat und vernichtend geschlagen wurde. Für ihre Auflehnung wurden sie strafweise in den Tartarus, den tiefstgelegenen Ort der griechischen Unterwelt (Hades), geworfen. Beunruhigt stellt die Irish News fest, daß die Titanic ihren eigenen Untergang im Namen trägt. Und tief liegt sie jetzt allemal - nämlich 3740 Meter unter dem Meeresspiegel.
"Not even God himself could sink this ship."
Warum denn ausgerechnet dieser Name? Darauf findet man in der gesamten Titanic-Literatur keine Antwort. Bruce Ismay und Lord Pirrie äußerten sich nie dazu, ebensowenig wie zu der bemerkenswerten Auffälligkeit, daß auf das Zeremoniell einer Schiffstaufe verzichtet wurde - und zwar exakt nur bei diesen drei Schiffen der "olympischen Klasse", nämlich der "Olympic", "Titanic" und der "Gigantic". Dem eigentlichen Stapelllauf geht traditionell seit Jahrhunderten die Schiffstaufe voraus, mit den ebenso traditionellen Worten: "Gott segne sie und alle, die mit ihr fahren." Auf diesen symbolischen Beistand meinte man offenbar verzichten zu können, im Gegenteil. Statt der Taufformel gab man die Parole der Unbesiegbarkeit einer erstaunten Weltöffentlichkeit bekannt: "Nicht einmal Gott könnte dieses Schiff versenken." (2)
Wie wir inzwischen wissen, bedurfte es dazu eines Gottes nicht; ein lausiger Eisberg tat diesen Job, und es fällt auf, mit welcher spielerischen Leichtigkeit er es tat.
Nur flüchtig streift ihn die Titanic, kein Frontal-Crash, keine ohrenbetäubende Erschütterung, kein sicht- und hörbares Katastrophen-Szenario. Kate Buss verglich das Kollisionsgeräusch mit dem Kratzen eines Schlittschuhs auf dem Eis (3) Millie Brown hatte den Eindruck, "als wären wir in einen Haufen Kies reingefahren" (4) und Lady Duff Gordon fühlte sich an "einen gigantischen Finger, der die Schiffsseite entlangfuhr" (5) erinnert. Die knirschende Kollision von Natur und Technik fand zwanzig Minuten vor Mitternacht statt, und am sechsten Tag ihrer Jungfernfahrt, um 2:20 in der Früh, versank nicht nur dieses Schiff, sondern eine neue, säkulare Religion: Der Glaube an die Allmacht menschlichen Geistes, der mit Hilfe perfekter Technologien sowohl die Naturgewalten als auch die kontingenten Bedingungen der menschlichen Existenz unter Kontrolle bringt.
(Das, was ich da eingefettet habe, dazu möchte ich später noch was sagen. Duff Gordon hat das natürlich metaphorisch gemeint. Ich finde es aber gar nicht metaphorisch. Sagen wir mal so: der Finger des Schicksals, um die Argumentation nicht zu frühzeitig einer naheliegenden Kritik auszusetzen).
Das folgende ist ein Zitat aus den Gerichtsakten:
Zitat:
Senator Bourne: Sind Sie selbst zu dem Schluß gekommen, daß es ein Individuum gibt, das in irgendeiner Weise für diese Katastrophe verantwortlich gemacht werden kann? Franklin: Ich sehe nicht, wie man irgend jemand beschuldigen könnte. Man hatte den besten Kommandeur, man hatte nur Menschen an Bord, die an dem Schiff interessiert waren. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß nicht jede Vorsichtsmaßnahme getroffen worden war. Es gab keine Anordnungen, das Schiff zu jagen. Es gab nichts, für das man sich hätte schämen können. Senator Bourne: Den einzigen Schluß, den Sie gezogen haben, ist die Tatsache, daß es kein unsinkbares Schiff gibt? Franklin: So sieht es heute, nach dieser Erfahrung, aus. Hätten Sie mich vor einer Woche gefragt, ich hätte nein gesagt. Ich hätte gesagt, wir haben es.
(6)
(Ich mache jetzt hier mal eine klitzekleine Pause, weil ich Angst habe, durch irgendeine technische Panne oder Unachtsamkeit von mir geht der Text verloren. Teil 2 gleich. Das beste kommt noch)
Am 15.April des Jahres 1912, versank "das größte und schönste Schiff der Welt" (Werbeplakat der White Star Line ) um 2:20 Uhr im Nordatlantik und nahm dabei über 1500 Menschen mit in die Tiefe. Seitdem ist die Geschichte der Titanic und ihrer Passagiere in zahllosen Bildern, Verfilmungen und Büchern festgehalten worden. Die Forschungsliteratur umfasst jetzt bereits über 1000 Werke allein im deutsch/englischsprachigen Raum, und ein Ende dieser Expansion scheint nicht absehbar. Im Internet haben sich Titanic-groups und Titanic-Foren gebildet, in denen sich die Mitglieder die Geschichte in allen Einzelheiten erzählen und ausdiskutieren und so die Erinnerung wach halten; das ehrgeizigste Projekt stellt die "enzyklopedia titanica" dar. Sie bemüht sich um eine authentische Erfassung des Geschehens sowie der Einzelschicksale der Umgekommenen und Überlebenden.
Was aber ist der Brennstoff dieser eigenartigen Faszination? Schiffsunglücke gab und gibt es zu allen Zeiten, darunter etliche, die weit mehr Tote forderten als der Untergang der Titanic (z.B.1987 die Dona Paz mit knapp 4000 Opfern, 1945 die Wilhelm Gustloff mit über 5000 Toten).Warum die Titanic? Was macht sie zu einem derartig hartnäckigen, die Zeiten überdauernden Bild?
Darauf gibt eine These von Joachim Kahl die Antwort. Sie lautet: Die Titanic ist als Archetyp ins kollektive Gedächtnis der Menschheit eingegangen.
"In außerordentlicher ikonischer Verdichtung auf das Drama eines Schiffes steht am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ein Mythos von Größenwahn und Untergang, freilich auch von der Rettung einiger. Dieser Gründungsmythos des zwanzigsten Jahrhunderts schlägt Leitmotive an, die die späteren Jahrzehnte erfüllt haben. Seither gehört die Geschichte vom Untergang der Titanic zum Gedächtnis der Völker und Individuen, die die archetypische Bedeutung des Geschehens in Büchern und Filmen, in Clubs und Ausstellungen festhalten."
(1)
Der Untergang der Titanic kommt mir vor wie ein philosophisches Lehrstück - nur mit dem Unterschied, dass er wirklich stattfand und nicht bloß auf dem Papier. Dem archetypischen Gehalt, von dem Kahl redet, kommen wir möglicherweise auf die Schliche, wenn wir uns das Besondere näher anschauen - das, was diesen Untergang von allen anderen Untergängen unterscheidet; das, was dieses Schiff zu einem Symbol werden ließ.
Es fängt alles an wie ein Märchen und endet wie ein Albtraum: An einem lauen Sommerabend des Jahres 1907 treffen sich der Präsident der mächtigen White Star Line, Bruce Ismay und sein Geschäftspartner Lord James Pirrie, Eigentümer der Belfaster Werften Harland&*****, zu einem idyllischen Dinner und hecken einen Plan aus. Ismay gibt Pirrie den Auftrag, ihm drei Schiffe zu bauen, die alles an Größe, Luxuriösität und Vollkommenheit in den Schatten stellen sollen, was bisher dagewesen ist. Und es stehen auch schon die Namen fest für dieses Trio: "Olympic", "Titanic " und "Gigantic".
Wer sich in griechischer Mythologie auskennt, wird Anlass haben, sich über die Namensgebung dieser Schiffe zu wundern. Denn Titanen und Giganten sind dort wie kein anderes aufsässiges Göttergeschlecht mit den Bedeutungen: "Tod", "Niederlage", "Verlust" verknüpft. Nur einem einzigen Journalisten fiel das beim Stapellauf der Titanic auf, während sich die übrige Presse in Jubelgesang und Kniefällen vor diesem Meisterwerk der Wissenschaft und Technik erging. Am nächsten Morgen wies die Irish News in einem Leitartikel darauf hin, daß es sich bei den Titanen und den Giganten um ein riesenhaftes Göttergeschlecht gehandelt habe, das gegen den Göttervater Zeus antrat und vernichtend geschlagen wurde. Für ihre Auflehnung wurden sie strafweise in den Tartarus, den tiefstgelegenen Ort der griechischen Unterwelt (Hades), geworfen. Beunruhigt stellt die Irish News fest, daß die Titanic ihren eigenen Untergang im Namen trägt. Und tief liegt sie jetzt allemal - nämlich 3740 Meter unter dem Meeresspiegel.
"Not even God himself could sink this ship."
Warum denn ausgerechnet dieser Name? Darauf findet man in der gesamten Titanic-Literatur keine Antwort. Bruce Ismay und Lord Pirrie äußerten sich nie dazu, ebensowenig wie zu der bemerkenswerten Auffälligkeit, daß auf das Zeremoniell einer Schiffstaufe verzichtet wurde - und zwar exakt nur bei diesen drei Schiffen der "olympischen Klasse", nämlich der "Olympic", "Titanic" und der "Gigantic". Dem eigentlichen Stapelllauf geht traditionell seit Jahrhunderten die Schiffstaufe voraus, mit den ebenso traditionellen Worten: "Gott segne sie und alle, die mit ihr fahren." Auf diesen symbolischen Beistand meinte man offenbar verzichten zu können, im Gegenteil. Statt der Taufformel gab man die Parole der Unbesiegbarkeit einer erstaunten Weltöffentlichkeit bekannt: "Nicht einmal Gott könnte dieses Schiff versenken." (2)
Wie wir inzwischen wissen, bedurfte es dazu eines Gottes nicht; ein lausiger Eisberg tat diesen Job, und es fällt auf, mit welcher spielerischen Leichtigkeit er es tat.
Nur flüchtig streift ihn die Titanic, kein Frontal-Crash, keine ohrenbetäubende Erschütterung, kein sicht- und hörbares Katastrophen-Szenario. Kate Buss verglich das Kollisionsgeräusch mit dem Kratzen eines Schlittschuhs auf dem Eis (3) Millie Brown hatte den Eindruck, "als wären wir in einen Haufen Kies reingefahren" (4) und Lady Duff Gordon fühlte sich an "einen gigantischen Finger, der die Schiffsseite entlangfuhr" (5) erinnert. Die knirschende Kollision von Natur und Technik fand zwanzig Minuten vor Mitternacht statt, und am sechsten Tag ihrer Jungfernfahrt, um 2:20 in der Früh, versank nicht nur dieses Schiff, sondern eine neue, säkulare Religion: Der Glaube an die Allmacht menschlichen Geistes, der mit Hilfe perfekter Technologien sowohl die Naturgewalten als auch die kontingenten Bedingungen der menschlichen Existenz unter Kontrolle bringt.
(Das, was ich da eingefettet habe, dazu möchte ich später noch was sagen. Duff Gordon hat das natürlich metaphorisch gemeint. Ich finde es aber gar nicht metaphorisch. Sagen wir mal so: der Finger des Schicksals, um die Argumentation nicht zu frühzeitig einer naheliegenden Kritik auszusetzen).
Das folgende ist ein Zitat aus den Gerichtsakten:
Zitat:
Senator Bourne: Sind Sie selbst zu dem Schluß gekommen, daß es ein Individuum gibt, das in irgendeiner Weise für diese Katastrophe verantwortlich gemacht werden kann? Franklin: Ich sehe nicht, wie man irgend jemand beschuldigen könnte. Man hatte den besten Kommandeur, man hatte nur Menschen an Bord, die an dem Schiff interessiert waren. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß nicht jede Vorsichtsmaßnahme getroffen worden war. Es gab keine Anordnungen, das Schiff zu jagen. Es gab nichts, für das man sich hätte schämen können. Senator Bourne: Den einzigen Schluß, den Sie gezogen haben, ist die Tatsache, daß es kein unsinkbares Schiff gibt? Franklin: So sieht es heute, nach dieser Erfahrung, aus. Hätten Sie mich vor einer Woche gefragt, ich hätte nein gesagt. Ich hätte gesagt, wir haben es.
(6)
(Ich mache jetzt hier mal eine klitzekleine Pause, weil ich Angst habe, durch irgendeine technische Panne oder Unachtsamkeit von mir geht der Text verloren. Teil 2 gleich. Das beste kommt noch)