Gewaschen und geschleudert

U

urany

Guest
Diese Welt ist ein Universum. Frühmorgens, bereits ab halb vier, wandert die verbrauchte Traumwäsche wie von unsichtbarer Hand in die Maschine, wird gewaschen, geschleudert, getrocknet und geglättet. Wenn dann um 6 Uhr mit viel Sachverstand der digitale Wecker piepst, ist alles schon erledigt. Aus den dunkeln Nischen deines Kreuzbeins ruft nur wenig später eine alte, freundliche Unke: Kaffee ist fertig. Kaffee ist fertig! Zweimal, zur Sicherheit. Obwohl ja der Wecker nochmals kommen wollen würde.
Wenig später, wenn du das Fenster öffnest, und deinen Max-Havelar-Kaffee schlürfst, geniesst du die frische Luft. Aaah, diese Reinheit, du bist ein guter, guter Kosmos, ich wusste es! Auf keinem der unzähligen Sauerstoff-Molekülen werden lästige, negative Emotiönchen bis zu dir transportiert. Das ist fein. So kann man den Tag beginnen und sich auf den nächsten Orgasmus des Lebens freuen. Danke.
 
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Ja, ja, der Wecker piepst seinen digitalen Orgasmus bis tief in meine Knochen. Ich wollte es nicht anders. Selbst das röcheln und schnarchen mancher könnte als lustvoll gelten, wenn wir es denn wollten. Gestern hatte der Nachbar einen ohrenbetäubenden Ohrenorgasmus beim Mofaschrauben. Ich wäre gerne nicht dabei gewesen. Ich mag nicht alle Orgasmen, die mir geboten werden. Auch wenn ich nicht bei allen nackt und mit Leib und Liebe dazugehören muß. In schwubbelnder Gefühlsüberwallung spitzt das Wasser orgastisch aus dem Wasserkocher - noch die harmlosere Variante. Der rethorische Dauermeditierer klatscht zweimal in die Hände. Muskelkater ziehen durch sein Fleisch, schmerzende Orgasmen der Enthaltsamkeit. Wozu eine sinnliche Nacht, Nachricht, wenn es auch sinnlos geht? Sehnsucht regnet wie Wasser aus Wolken zuerst gedankengefroren, dann langsam aufgetaut, rund werdend und mit einem leisen Plitsch auf einem Blatt auftreffend. Wie dankbar, dass es regnet. Wie dankbar.
Tief zu den Wurzeln rinnt die Feuchte und doch ist es schon die Kälte danach. Als ob, als ob alles dazugehören wollte. Auch ich mache mir jetzt einen Kaffee. Nein, Befriedigung ist nicht da. Nein, so noch nicht. Nein und dabei bin ich guter Dinge, guter Dinge mit all dem, was ich auch noch nicht habe. Vielleicht, vielleicht brauche ich es auch nicht. Nicht mehr. Wir werden sehen. Wir werden spüren. Spüüüüüüüren.
Das Röcheln der Espressokanne ruft mich. Schwarz rinnt die Brühe in die runde Tasse, wärmend, dampfend. Getrockneten Zuckerrohrsaft werfe ich hinzu, ebenso schwarz-braun, tief, breit, malzig schmeckend und Sahne macht das Runde, das Helle dazu. Schlürfend, obwohl ich dafür gehasst werde, schlürfend sitze ich, gedankenverloren am Fenster. Wie schön! Danke schön.
Nein, ich kann mich an keinen Orgasmus erinnern, nein.
Aber das macht nichts, macht nichts.
 
Wie schön, am morgen mit Kaffee-Duft in der Luft ein wenig auf Wolke 8 zu swingen. Wenn der Nachbar vom Parterre dann durch die Haustür in das frische Leben hinaustritt, und das Fenster immer noch offen steht, verändert sich der Modus des molekularen Tanzes jedoch, der ja mit dem Aufwachen schon längst begonnen hat. Der junge Bursche wirkt irgendwie so gerührt, aber gestählt. Sein Ausdruck im Gesicht auf geheimnisvolle Weise urschweizerisch, der Duft des Rasierwassers aber modern, souverän, und bescheiden-cosmopolitisch. Die ersten fremden , aber wirklich sympathisch leuchtenden, universitären Duftmoleküle machen jetzt einen aufsteigendenTanz in der Luft, kreisen ein paar mal um meine Nase herum, wo dann einige davon Zutritt in die Dunkelkammer eines ebenso persönlichen Neuronen-Kollektivs finden und sich dort absetzen wie Staub.
 
Oh, die Liebhaberin der Lüfte schwebt in einem nie gekannten Weg durch jeden noch so kleinen Schlitz, diesmal am Ärmel, rutscht in einem nimmer endenden Strom indifferenter Luftmoleküle zwischen Stoff und Haut, mal blähend, mal flatternd und hier drückt es den Stoff fest auf meine Haut. Luft du Himmlische, Unschuldige. Deine Akte werden erst durch mein Erlebnis mehr. Wir wollen alle ans Mehr - hier ist es.
Wie ein Presslufthammer verstopfen die Duftmarken alten Pommesfettes jeden netten Gedanken obwohl die Sonne scheint. Das ist jetzt schon der dritte Anschlag dieser Art. Der Hühnerhof riecht Gott seis gedankt nicht bis in mein ohne Segel im Sonnenschein dahinrollendes Auto. Gedanken flattern wie Schmetterlinge durch die geöffneten Fenster. Den Boden verlierend, leicht frierend, zieht sich die Haut zusammen, wie ein Frosch kurz vor dem Sprung: Gänsehaut.
Wenn ich einen Film schreiben könnte, so wäre er völlig sureal.
Ich würde den Duft der Häärchen dort, wo der Rücken in die Schluchten der Großen Backen übergeht mit dem liebkosen der Augen einer Blüte, leicht violett, kombinieren und dem haptischen Eindruck der leichten Kühle völlig entspannter Hoden in meiner Hand, ohne jeden weiteren Gedanken einfach der Sinnlichkeit folgen.
Das Leben selbst ist kein Zuckerschlecken, jedenfalls kein immerwährendes, während ich mir ein Sahnebonbon gönne. Der Duft der Nacht ist perfekt zusammen mit der Dunkelheit - was würde ich denn mehr wollen können?
Vielleicht schrecke ich auf, von einem Traum erfreut oder gepeinigt oder an meinem eigenen Schnarchen, wer weiß.
Wer weiß.
 
Die sehr spezielle Geometrie von Lady Black-and-White ist ein Imperium. Sie hat ihr ganzes Material schon gestellt und gehängt, während ich noch immer die letzte Schachtel hineintrage. Frühmorgens füllt sie die antike Lampe mit Sprit, raucht eine dicke Zigarre und bewegt zuerst ihren schwarzen, dann ihren weissen Turm auf gerader Linie vor, während ich draussen vor der Tür, durch liebliche Stimmen angeregt, eine wunderbar sinnlose Hode aus Speckstein schleife, um sie anschliessend in Sonnenlicht marinieren zu lassen.
Von den verkehrsreichen Strassen zwischen ihren Bildern kommt Lärm, und man hört die eifrige Polizei. Specksteine in Bearbeitung mögen das nicht, aber es ist gerade noch möglich, aus dem blumig-impulsierenden Garten eine Stimme zu vernehmen: Das ganze innere Imperium soll mit dem Gartenschlauch abgespritzt werden. Endlich, Wasser! Ein Kosmos von tanzenden Wassertröpfchen zum drin versinken und niemals wieder auftauchen.

:blume:
 
Man sagt, die Liebe ist etwas ganz Privates. Und im Garten von Tante Lila gibt es eine ganz private Datenspur. Das geübte Auge sieht, dass sie es nebst der romantischen Liebe zu ihrem Gatten ab und an gerne in der Phantasie mit hässlichen Bergtrollen getrieben hat. Und: Tante Lila ass gerne Feigen. Ihre sehr persönliche süsse Kammer war von innen mit Spiegeln ausgestattet und stets gut gefüllt, auch mit feinsten Likören. Der Legende nach soll Tante Lila regelmässig mit ihrem goldberandeten Nachthafen in den Garten gegangen sein, um mit dessen gediegenem Inhalt die Rosen zu düngen.
Am Abend strickte sie mit ihrer ganzen Sentimentalität und Phantasie goldene Skarabäen in die Pullover für ihre Neffen und Nichten, bis sie das Haus an den Sohn eines Schokoladenfabrikanten verkaufte und an eine goldene Riviera im Süden der Schweiz zog. Auf dem Zettel, den sie ihm hinterlassen hatte, stand geschrieben, dass man aus den Feigen Likör machen könne, und man müsse die Nüsse rechtzeitig auflesen, weil sonst würden sie die Eichhörnchen nehmen. Der Sohn des Schokoladenfabrikanten soll übrigens bedauerlicherweise sein ganzes Erbe verspielt haben.

Tante Lilas Feigen-Bauch-Gefühl liess sie bis ans Ende des Lebens nicht im Stich. Sie hatte zwar sozusagen noch keine Ahnung von der virtuellen Welt, sagte aber schon damals immer, es wird da einmal noch mehr geben. In gewissem Sinne hatte sie also doch eine Ahnung. Die intuitiven Skarabäen in ihren Pullovern und Schals hatten von daher die Aufgabe, das mentale Erdreich der Stuhl-und-Bank-Generation zu düngen, für die die virtuelle Welt noch eine Art künstliche Welt sein musste.


...
 
Das Para

Dies muss ein Ein
Topf sein
Nie und nimmer
würden in

Gredienzen
sich etwas denken
tun sie ja nur
sich einander
verschenken


:)
 
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Das Leben ist keine Autobahn. Es liegt gleich daneben.

Schau, dieser wundersame Gedanken-Garten ist eine wahre Pracht! Er gehört Mexxy. Wenn du Glück hast, triffst du Mexxy schon morgens um vier, wie sie einen ersten Rundgang durch ihr eigenes Reich macht und ihren Blick bewundernd über die Zöglinge gleiten lässt. Stell ihr irgend eine Frage, und sie wird dir in ihrer ganzen Offenheit begegnen. Atme mit ihr die Formen und Farben des Glücks bis tief in die kleinsten Verästelungen deiner Bronchien hinein, oder lass dir einfach etwas erklären über den ganz besonderen Habitus dieser oder jenen Gedanken-Art. Lass den Blick auch schweifen über ihr liebevoll gepflegtes Neo-Cogitatio-Asylantenheim oder auch von ihr liebevoll genannt „Bio-Topp“.

Wenn Mexxie später mit zarter Hand ihre Gedanken pflückt, riecht es nach Tod. Heute sind es vierundzwanzig und sie kommen alle in den Mixer, zusammen mit viel natürlich geschmolzenem Gletscherwasser, 5 Schokoladen-Globuli Sc 23 und natürlich etwas feinstem Fleur du Sel d’Aigues Mortes. Dort werden sie gnadenlos zerstückelt und anschliessend getrunken.
 
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