U
urany
Guest
Mein lieber Bruder,
Vielleicht meinst du jetzt: Schnee von gestern! Was kümmert uns das
noch? Tatsächlich erinnere ich mich nicht gerne an den Moment. Aber
weißt du, ich möchte es erzählen. Es ist ein dunkler Fleck auf unserer
Beziehungsspur, der bereinigt werden möchte.
Es war ein Nachmittag im Winter. Stunden zuvor hatte es wild zu schneien
begonnen. Gemütlich sassen wir zusammen am Küchentisch bei Brot und
Schokolade und freuten uns über die weisse Schneedecke draussen. Laura
und ich beschlossen, mit dem Schlitten noch zum nahen Hügel zu gehen
und ein paar Abfahrten zu machen bevor es dunkel würde. Dich,
Buckelmännchen, wollten wir nicht dabei haben. Ich weiss wirklich nicht,
was in uns gefahren war, aber wir wollten ohne dich gehen, Bruder. Nicht
zu dritt wollten wir in den Schnee. Auch nicht Laura und du. Laura und
ich! Es war ich glaube es war eine Art Erwachsenenverschwörung, wir
waren ja nicht nur älter als du, wir fühlten uns wohl gerade auch so,
wollten den Kleinen nicht dabei haben, lieber unter uns sein.
Wie soll ich es beschreiben? - es passte dir natürlich nicht. Es gab eine Streiterei.
Kindereien halt. Du wurdest wütend und traurig, hast dich zuerst gewehrt, dann
geschwiegen.
Aber das ist nicht der Punkt. Es war, als wäre hinter diesen Kindereien
etwas Ungutes zu spüren. Ich sah eine Finsternis in deinen Augen, die
mich sehr erschreckte, und die mir der äusseren Situation gar nicht
angemessen schien. Während du schwiegst wurde mir zunehmend
unheimlich zumute. Die Zärtlichkeit des Schnees, die bis in die Zimmer
hineinreichte, war jetzt wie von bleiernen Fäden durchwirkt. Vielleicht lag
Angst in deinem finsteren Ausdruck, leise Panik oder eine ungehörige Wut,
ich wusste es nicht. Die für mich unfassbar bleibenden Gefühle legten sich
wie eine schwere Hülle um unser Beisammensein am Küchentisch.
Schnee von gestern, vielleicht. Doch mich schauderts. Und du weißt, dass
es mich schaudert, Bruder. Natürlich bin ich nicht verantwortlich für deine
Krankheit, aber mich friert es trotzdem beim Erinnern daran, dich aus
unserer Gemeinschaft ausgeschlossen zu haben und dir so ein Gefühl der
Zugehörigkeit oder des Aufgehobenseins genommen zu haben, das du
einige Jahre später wohl für immer verloren hast. Es tut mir leid, bitte
verzeih mir das, Bruder.
Wie geht es dir mein Bruder? Ich grüsse dich zärtlich Buckelmännchen
Deine Schwester
Vielleicht meinst du jetzt: Schnee von gestern! Was kümmert uns das
noch? Tatsächlich erinnere ich mich nicht gerne an den Moment. Aber
weißt du, ich möchte es erzählen. Es ist ein dunkler Fleck auf unserer
Beziehungsspur, der bereinigt werden möchte.
Es war ein Nachmittag im Winter. Stunden zuvor hatte es wild zu schneien
begonnen. Gemütlich sassen wir zusammen am Küchentisch bei Brot und
Schokolade und freuten uns über die weisse Schneedecke draussen. Laura
und ich beschlossen, mit dem Schlitten noch zum nahen Hügel zu gehen
und ein paar Abfahrten zu machen bevor es dunkel würde. Dich,
Buckelmännchen, wollten wir nicht dabei haben. Ich weiss wirklich nicht,
was in uns gefahren war, aber wir wollten ohne dich gehen, Bruder. Nicht
zu dritt wollten wir in den Schnee. Auch nicht Laura und du. Laura und
ich! Es war ich glaube es war eine Art Erwachsenenverschwörung, wir
waren ja nicht nur älter als du, wir fühlten uns wohl gerade auch so,
wollten den Kleinen nicht dabei haben, lieber unter uns sein.
Wie soll ich es beschreiben? - es passte dir natürlich nicht. Es gab eine Streiterei.
Kindereien halt. Du wurdest wütend und traurig, hast dich zuerst gewehrt, dann
geschwiegen.
Aber das ist nicht der Punkt. Es war, als wäre hinter diesen Kindereien
etwas Ungutes zu spüren. Ich sah eine Finsternis in deinen Augen, die
mich sehr erschreckte, und die mir der äusseren Situation gar nicht
angemessen schien. Während du schwiegst wurde mir zunehmend
unheimlich zumute. Die Zärtlichkeit des Schnees, die bis in die Zimmer
hineinreichte, war jetzt wie von bleiernen Fäden durchwirkt. Vielleicht lag
Angst in deinem finsteren Ausdruck, leise Panik oder eine ungehörige Wut,
ich wusste es nicht. Die für mich unfassbar bleibenden Gefühle legten sich
wie eine schwere Hülle um unser Beisammensein am Küchentisch.
Schnee von gestern, vielleicht. Doch mich schauderts. Und du weißt, dass
es mich schaudert, Bruder. Natürlich bin ich nicht verantwortlich für deine
Krankheit, aber mich friert es trotzdem beim Erinnern daran, dich aus
unserer Gemeinschaft ausgeschlossen zu haben und dir so ein Gefühl der
Zugehörigkeit oder des Aufgehobenseins genommen zu haben, das du
einige Jahre später wohl für immer verloren hast. Es tut mir leid, bitte
verzeih mir das, Bruder.
Wie geht es dir mein Bruder? Ich grüsse dich zärtlich Buckelmännchen
Deine Schwester