Liebe Rivella,
für eine Trauerbewältigung liegt der Tod deiner Großmutter schon zu lange zurück und da passt auch weder der reale Hintergrund noch mit dem Traumgeschehen zusammen. Egal wie sich die Mutter über die Zeit verhält, sie ist dennoch die erste Erfahrung eines Neugeborenen. Von ihr erfahren wir zumindest körperliche Wärme, Nähe und die Stillung unserer elementaren Bedürfnisse nach Nahrung. Selbst wenn dir diese Dinge versagt blieben, solltest Du daran denken, dass Du neun Monate aufs Engste mit ihr verbunden warst.
Ein Kind fordert von seiner Mutter die Erfüllung all´ dieser Bedürfnisse und wird alles Erdenkliche dafür tun, um sich dieser Mutterliebe zu erkaufen. Ein Punkt, der gerade beim Versagen dieser grundlegenden Bedürfnisse eine sehr große Rolle im späteren Leben eines Menschen spielen wird. Was muss ich tun und was ist der Preis, um mir die Zuwendung und Liebe von anderen "erkaufen" zu können, ist eine elementare Triebfeder für jeden Menschen.
An diesem Punkt möchte ich auch einmal einen Gedanken zu deiner Zahnspange mit einbringen. Könnte es nicht sein, dass Du dir nicht mehr perfekt genug für die Liebe und Anerkennung deiner Mutter erscheinst? Ein Gedanke, der sich dann auch auf die erhoffte Zuwendung von anderen ausdehnt.
So bekommt auch die Großmutter in deinem Traum seine ganz eigene Bedeutung als Überich im doppelten Sinne. Die Rolle der Großmutter wird dadurch klarer aber das eigentliche Thema bleibt dennoch ein innerer Konflikt rund um die Gefühlswelt. Du möchtest ein Bedürfnis erfüllen, das an deiner inneren Moral scheitern könnte. Eventuell spielt in dieser Angelegenheit ja auch der Aspekt der Versöhnung mit eine Rolle. Eine Versöhnung, von der Du oberflächlich nichts wissen möchtest, aber nach der Du dich ganz tief in deiner Seele sehnst.
Versöhnung ist mehr ein Akt der Vernunft, mit dem zwar alte Wunden verheilen können, aber dennoch Narben auf der Seele zurückbleiben. Manchmal ist es für die Seele jedoch besser sich nicht zu versöhnen, damit die alten Verletzungen nicht immer wieder aufs Neue aufbrechen und deshalb nicht richtig verheilen können. Das gehört auch zu dem Verhaltensmuster aus der Kindheit, mit dem man versucht sich um jeden Preis an etwas zu klammern, damit kein Krümel an Zuwendung verloren gehen kann.
Meist fürchtet man sich vor der Moral von anderen was denken sie von mir wenn ich mit meiner Mutter nicht versöhnen will? Wenden sie sich dann von mir ab und Versagen mir ihre Zuneigung? "Versuche nicht so zu werden, wie Du gerne von anderen gesehen werden willst", ist eine meiner Lebensmaximen, die mir dazu einfällt.
Du glaubst nicht, wie befreiend diese Einsicht sein kann, wenn Du diesen Gedanken von der Unversöhnlichkeit ganz bewusst annimmst und auch nicht versuchst, diese Haltung gegenüber anderen zu rechtfertigen. Dass ich nicht falsch verstanden werde, Versöhnung ist eine Haltung, die man grundsätzlich anstreben sollte aber halt nicht um jeden Preis.
Merlin