Der erste Patient
Früh am nächsten Morgen beginnt unser erster Arbeitstag. Keine hundert Meter trennen uns vom Zielort, der Wasserstelle, als plötzlich ein Esel auf der Straße auftaucht, taumelnd. Er fällt nieder, bleibt auf dem Asphalt liegen. Wir können wegen des dichten Verkehrs nicht sofort stehen bleiben, erst an der Wasserstelle, dann jedoch springen wir ohne zu zögern aus dem Wagen, um zu dem Verletzten zurückzukehren. Dr. Dieng und drei Helfer laufen von der Wasserstelle bereits herbei, stützen den Esel und führen ihn aus der Gefahrenzone. Der arme Esel wird untersucht: ein Auto hatte ihn angefahren und der Zusammenprall ließ furchtbare Wunden an beiden Beinen zurück. Dr. Dieng findet aber zum Glück keine weiteren Verletzungen. Der Esel bekommt eine Betäubung, Sekunden später schläft er tief und fest. Dr. Dieng beginnt, die Wunden zu vernähen. Auf der linken Körperseite funktioniert das auch ganz gut: Die Wunden sind zwar tiefer, auch der Muskel ist gerissen, jedoch ist die Stelle eine bessere, weil beim Aufstehen keine direkte Belastung auf die frischen Nähte kommen wird. Rechts sieht die Situation leider anders aus: Die Wunde liegt genau in der Beuge, jede Bewegung wird höllische Schmerzen verursachen - ob die Fäden der Belastung überhaupt standhalten werden?
Der Esel scheint aufzuwachen, seine Bewegungen werden stärker. Dr. Dieng versucht, die umherstehenden Menschen zum Weggehen zu bewegen, um das arme Tier nicht zu erschrecken - ein Versuch, der leider misslingt: Wie in Panik springt der Esel plötzlich auf, knickt ein, alle Belastung liegt auf der vernähten Stelle - und im selben Augenblick reißen die Fäden... furchtbar! Sofort ist unser Team wieder zur Stelle: Erneut dringt die Spritze mit der eilig aufgezogenen Kanüle in die Adern, und fast im selben Augenblick entspannen sich die Bewegungen des Esels. Er knickt wieder ein, findet abermals Erlösung im tiefen Schlaf. Dr. Dieng näht nun an gesunder Haut, zieht die Wunde weit zusammen. So müsste es eigentlich halten, meint er, Sicherheit gäbe es aber nicht.
Inzwischen ist ein Junge vorbei gekommen, mit einer ganzen Schachtel Bananen für den frisch operierten Patienten! Das ist es, was wir meinen, wenn wir davon sprechen, dass es uns langsam gelingt, die Mentalität zu ändern!
Nun können wir einige Minuten verschnaufen - uff, das war ein Arbeitsbeginn! Genauso läuft jeder Tag für das Team, schießt es durch meinen Kopf: Ständig neue Herausforderungen, immense Belastung, immer am Puls des Geschehens - die Arbeit ist eine harte, dazu unter brennend heißer Sonne. Doch auf der anderen Seite kommt die Belohnung sofort: die Dankbarkeit der Menschen für die Rettung ihrer Tiere. Dr. Dieng und unser Team sind hoch angesehen unter der Bevölkerung, gefeierte Helden, bedankt mit freundlichster
Mimik von jedermann (Frauen findet man an diesen Orten nur ganz selten), und sie haben sich diesen Status wirklich verdient...
Ein neuer Hufpfleger für das Team
Der Eselmarkt - Ort des Schreckens
Ein Ort des Schreckens:
Von ihren ehemaligen Besitzern im Stich gelassen und ausgesetzt, warten verletzte Esel auf ihr Ende - nach Jahren härtester Arbeit und Entbehrung, von Schlägen gezeichnet, blutend, humpelnd, zitternd, ängstlich. Sie stehen und liegen inmitten der verwesenden Überreste ihrer Artgenossen, welchen zuvor dasselbe Schicksal widerfahren war.
Wir sind heute am Eselmarkt, einem Ort des Schreckens. Es ist jener Platz, der in meinen persönlichen Erinnerungen den allerschrecklichsten Rang einnimmt. Hier warten verlassene Esel auf ihr Ende, auf Grund von mehr oder minder schweren Verletzungen von ihren ehemaligen Besitzern einfach ausgesetzt. Sie stehen und liegen inmitten der verwesenden Überreste ihrer Artgenossen, welchen zuvor dasselbe Schicksal widerfahren war. Völlig sich selbst überlassen, aufgrund ihrer körperlichen Gebrechen unfähig, die weitere Umgebung nach Essbarem abzusuchen, ergeben sie sich stoisch ihrem Verhängnis. Sie verhungern, langsam und qualvoll. Ohne jemals Hoffnung, Glück oder Freude erfahren zu haben, scheiden sie in einem lautlosen Abschied aus dieser Welt. »Entsorgt«, nicht anders als die Abermillionen Kubikmeter Straßenmüll - all diese todtraurigen Weggenossen nach Jahren härtester Arbeit und Entbehrung, von Gewalt gezeichnet, blutend, humpelnd, zitternd, ängstlich - weggeworfen.
Jedoch, wie sagte der Schweizer Schriftsteller Max Fritsch? -
»Die Unverbindlichkeit, das Schweigen zu einer Untat, von der man weiß, ist wahrscheinlich die allgemeinste Art unserer Mitschuld.«
http://www.freiheit-fuer-tiere.de/vorschau/reise-zu-den-eseln-in-mauretanien.html
Einfach nur zum Weinen .....