Wer frei durch die Wälder streift, wird erschossen!
Im Frühling 2006 wanderte ein Jungbär, Bruno genannt, von Italien in das bayrische Hochgebirge. Bruno war nicht irgendein Waldtier. Im Zeitalter des globalen Megafaunasterbens wurde er zum Symbol. Wildtiere, vom Elefanten bis zum Löwen, die dem Menschen Respekt abfordern und ihn in Staunen versetzen können, werden zunehmend vom Menschen eliminiert.
Nach 170 Jahren Abwesenheit erscheint der alte König der Wälder wieder im bayrischen Gebirge.
Auch der "Heilige" Stuhl deutet das Erscheinen des Bären als Zeichen. Papst Benedikt XVI, selbst aus Bayern stammend, ließ nach seiner Wahl einen Bären in sein Wappen aufnehmen; er bekräftigte das Heimatrecht des Bären im bayrisch-östereichischen Raum und stellte ihn unter seinen Schutz. Der bayrische Umweltminister gibt sich bewusst umweltfreundlich und erklärt am 18. Mai: Der Bär ist in Bayern willkommen. Aber bald schon wird der rote Teppich wieder eingerollt. Anscheinend hat der Jungbär seinen Knigge nicht gelesen und verhält sich nicht wie ein netter Disney-Bär: Nahe der tiroler Grenze räumt er einen Bienenstock aus; in den folgenden Tagen reißt er ein Schaf, frisst einige Hühner und wird gesehen, wie er einem Hasen den Kopf abbeißt. Das bayrische Umweltministerium erklärt Bruno daraufhin zum Schadbären und gibt ihn zum Abschuss frei.
Es dauert nicht lange, da wird sein Name verfremdet. Am 30. Mai mutiert Bruno zu JJ1. Das suggeriert wissenschaftliche Objektivität, denn sie beruht auf Gentests, die den Problembären als Abkömmling einer genetisch nicht einwandfreien Bärenmutter ausmachen: Seine Mutter sei als äußerst lernresistent aufgefallen und habe wenig Scheu vor menschlichen Siedlungen gehabt. Wegen wenigen tausend Euro Sachschaden wird Bruno wie ein entflohener Intensivstraftäter gejagt. Der Einsatz kostete schließlich 70 000 Euro. Das Volk war empört. Für die elektronisch gegängelten, steuerlich geschröpften und gestressten Bürger wird Bruno zum Symbol des freien, natürlichen, der Obrigkeit trotzenden Outlaws.
Derweil werden Experten zitiert, die vom "nicht artgerechten, gestörten Verhalten" des Bären schwafeln. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis er einen Menschen, ein Kind reiße. Dem müsse vorgebeugt werden. Wer überhaupt sind diese Experten? Bruno war ein neugieriger Jungbär, der sich erstmal ein Revier suchte. Wie sollte er sich denn artgerecht verhalten, wenn ständig Jäger, Hunde und Hubschrauber hinter ihm her waren; wie sollte er da in Ruhe Wurzeln, Käfer oder ein verendetes Reh fressen und herumbummeln können? Außerdem war der Winter im hohen Gebirge gerade vorüber, es gab noch wenig zu fressen. Sollte er da etwa einen Bogen um die Schafe machen oder um den Hühnerstall?
Bären gehen Menschen aus dem Weg, langsam und voller Würde. Sie greifen Menschen nicht an, es sei denn man drängt sie in ausweglose Situationen oder man kommt unverhofft zwischen Muttertier und Junges. Über 80% ihrer Nahrung besteht aus pflanzlichem, der Rest sind Tierkadaver, Fische, Insekten, Nagetiere und Pilze.
Wie dem auch sei...am 26. Juni 2006 kam die Nachricht im Radio: Bruno ist tot. In der frühen Dämmerung aus dem Hinterhalt erschossen. Viele Kinder weinten. Der Schuss, der die Lungen Brunos zerfetzte, traf auch viele ins Herz.
Zwei Jahre später wird sein Bruder JJ2 als Risikobär eingestuft, weil er sich einen Kuchen vom Fenstersims schnappte, und in Graubünden erschossen.
Das Problem sind nicht die Bären. Das Problem war und ist die Angst der Menschen. Je weiter der Mensch sich von seinen natürlichen Wurzeln entfernt, umso mehr Angst hat er, umso bedrohlicher wird ihm alles Freie, Wilde, Ungezwungene. Die überzivilisierte, auf technogratischem Größenwahn basierenden Konsumgesellschaft findet in der Natur keine Göttlichkeit und Inspiration mehr, sondern nur noch Fuchsbandwurm, Zecken, Tollwut, BSE, SARS, Vogelgrippe, Hanta-Virus und - unberechenbare Killerbären. Der Bärenmord spiegelt die Angst der Problempolitiker und Schreibtischtäter, die Kontrolle zu verlieren. Was sich nicht kontrollieren lässt, muss eliminiert werden.
Auszug aus "Der Bär" von W-D-Storl
Im Frühling 2006 wanderte ein Jungbär, Bruno genannt, von Italien in das bayrische Hochgebirge. Bruno war nicht irgendein Waldtier. Im Zeitalter des globalen Megafaunasterbens wurde er zum Symbol. Wildtiere, vom Elefanten bis zum Löwen, die dem Menschen Respekt abfordern und ihn in Staunen versetzen können, werden zunehmend vom Menschen eliminiert.
Nach 170 Jahren Abwesenheit erscheint der alte König der Wälder wieder im bayrischen Gebirge.
Auch der "Heilige" Stuhl deutet das Erscheinen des Bären als Zeichen. Papst Benedikt XVI, selbst aus Bayern stammend, ließ nach seiner Wahl einen Bären in sein Wappen aufnehmen; er bekräftigte das Heimatrecht des Bären im bayrisch-östereichischen Raum und stellte ihn unter seinen Schutz. Der bayrische Umweltminister gibt sich bewusst umweltfreundlich und erklärt am 18. Mai: Der Bär ist in Bayern willkommen. Aber bald schon wird der rote Teppich wieder eingerollt. Anscheinend hat der Jungbär seinen Knigge nicht gelesen und verhält sich nicht wie ein netter Disney-Bär: Nahe der tiroler Grenze räumt er einen Bienenstock aus; in den folgenden Tagen reißt er ein Schaf, frisst einige Hühner und wird gesehen, wie er einem Hasen den Kopf abbeißt. Das bayrische Umweltministerium erklärt Bruno daraufhin zum Schadbären und gibt ihn zum Abschuss frei.
Es dauert nicht lange, da wird sein Name verfremdet. Am 30. Mai mutiert Bruno zu JJ1. Das suggeriert wissenschaftliche Objektivität, denn sie beruht auf Gentests, die den Problembären als Abkömmling einer genetisch nicht einwandfreien Bärenmutter ausmachen: Seine Mutter sei als äußerst lernresistent aufgefallen und habe wenig Scheu vor menschlichen Siedlungen gehabt. Wegen wenigen tausend Euro Sachschaden wird Bruno wie ein entflohener Intensivstraftäter gejagt. Der Einsatz kostete schließlich 70 000 Euro. Das Volk war empört. Für die elektronisch gegängelten, steuerlich geschröpften und gestressten Bürger wird Bruno zum Symbol des freien, natürlichen, der Obrigkeit trotzenden Outlaws.
Derweil werden Experten zitiert, die vom "nicht artgerechten, gestörten Verhalten" des Bären schwafeln. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis er einen Menschen, ein Kind reiße. Dem müsse vorgebeugt werden. Wer überhaupt sind diese Experten? Bruno war ein neugieriger Jungbär, der sich erstmal ein Revier suchte. Wie sollte er sich denn artgerecht verhalten, wenn ständig Jäger, Hunde und Hubschrauber hinter ihm her waren; wie sollte er da in Ruhe Wurzeln, Käfer oder ein verendetes Reh fressen und herumbummeln können? Außerdem war der Winter im hohen Gebirge gerade vorüber, es gab noch wenig zu fressen. Sollte er da etwa einen Bogen um die Schafe machen oder um den Hühnerstall?
Bären gehen Menschen aus dem Weg, langsam und voller Würde. Sie greifen Menschen nicht an, es sei denn man drängt sie in ausweglose Situationen oder man kommt unverhofft zwischen Muttertier und Junges. Über 80% ihrer Nahrung besteht aus pflanzlichem, der Rest sind Tierkadaver, Fische, Insekten, Nagetiere und Pilze.
Wie dem auch sei...am 26. Juni 2006 kam die Nachricht im Radio: Bruno ist tot. In der frühen Dämmerung aus dem Hinterhalt erschossen. Viele Kinder weinten. Der Schuss, der die Lungen Brunos zerfetzte, traf auch viele ins Herz.
Zwei Jahre später wird sein Bruder JJ2 als Risikobär eingestuft, weil er sich einen Kuchen vom Fenstersims schnappte, und in Graubünden erschossen.
Das Problem sind nicht die Bären. Das Problem war und ist die Angst der Menschen. Je weiter der Mensch sich von seinen natürlichen Wurzeln entfernt, umso mehr Angst hat er, umso bedrohlicher wird ihm alles Freie, Wilde, Ungezwungene. Die überzivilisierte, auf technogratischem Größenwahn basierenden Konsumgesellschaft findet in der Natur keine Göttlichkeit und Inspiration mehr, sondern nur noch Fuchsbandwurm, Zecken, Tollwut, BSE, SARS, Vogelgrippe, Hanta-Virus und - unberechenbare Killerbären. Der Bärenmord spiegelt die Angst der Problempolitiker und Schreibtischtäter, die Kontrolle zu verlieren. Was sich nicht kontrollieren lässt, muss eliminiert werden.
Auszug aus "Der Bär" von W-D-Storl